Aus dem Facharchiv: Leseranfrage
Oberwellen im Stromnetz
Wie können Oberwellen verringert werden, die offenbar durch einen "Schwarm" an Elektronik, Netzfilter und komplexe Ströme entstehen können?
Frage:
Im Fachbeitrag „Messungen an mehreren Multifunktionsdruckern – Teil 2“ in ep 03/21 [1] kommt mir eine deutlich erkennbare Tatsache leider zu kurz bzw. wird gar nicht beachtet. Im Bild 16 und 17, sowie noch deutlicher im Bild 20 erkennt man eine deutliche Störung des Spannungsverlaufs im Anstieg der Sinuswelle. Im Umkehrschluss bedeutet es, dass viele nichtlineare Verbraucher (Netzteile mit Gleichrichter) im Netz vorhanden sind. Diese dürften so ziemlich alle mit X- und Y-Kondensatoren in ihren Netzfiltern ausgestattet sein. Diese Menge an Kondensatoren selbst reduziert bereits das Absinken der Netzspannung bei Beginn der Lastspitze durch den Multifunktionsdrucker. Dieses Absinken der Spannung reduziert, gebremst durch die Induktivitäten in den Netzfiltern, das weitere Laden der Gleichstromkreise der anderen Geräte im Versorgungsnetz. Dieser „Lastabwurf“ reduziert den Spannungsabfall zusätzlich.Dieser Schwarm an Elektronik und Netzfiltern, verstärkt durch die vielen Y-Kondensatoren zwischen den aktiven Leitern und dem missbrauchten Schutzleiter, führt zu komplexen Strömen auf den (geerdeten) Verbindungen zwischen den Geräten selbst und dem Versorgungsnetz. Zu der berechtigen Kritik an den Messmitteln „Netzanalysator“ anderer Hersteller möchte ich meine Vermutung anbringen, dass diese Bewusst auf eine Messung oberhalb der 49. Oberschwingung verzichten. Viele Kunden wollen das Unheil, vor allem was zwischen 2,5 kHz und 9 kHz geschieht, gar nicht zu Gesicht bekommen.
Antwort:
Im dritten Teil [2] der Serie wird genauer auf die PE-Ströme eingegangen. Diese jedoch müssen deutlich von den Verzerrungen und Oberschwingungen unterschieden werden, die wir in Außen- und Neutralleiter beobachten (siehe hierzu [3]). In der Tat verursachen die „Schwärme“ elektronischer Lasten mit Brückengleichrichtern und Glättungskondensatoren beträchtliche Stromverzerrungen, die sich über die Netz-Impedanzen zu einem gewissen Teil auf die Verläufe der Spannung übertragen. Wie der Anfragende völlig richtig feststellt, sieht man dies im vorliegenden Fall am besten im Bild 20. Dort ist ein „Haken“ in der Spannungskurve an einer Stelle zu sehen, wo die Stromspitze des Fotokopierers noch gar nicht eingesetzt hat. Dieser „Haken“ rührt also von den anderen Schaltnetzteilen her (der beim Fotokopierer beobachtete Phasenanschnitt ist ja eher ungewöhnlich).
Die erwähnten Entstörfilter dürften dagegen keinen messbaren Einfluss auf die Verläufe der Spannung haben. Ich erinnere mich an Werte für die Glättungskapazitäten von 3,3 µF in einer Kompakt-Leuchtstofflampe und 330 µF in einem PC-Netzteil. Dagegen liegen die Entstör-Kapazitäten eher bei 330 nF in „X-Richtung“ zwischen L und N, also liegt hier im Wechselstromkreis nur etwa 1 ‰ der Kapazität, die wir an Glättungskapazität im Gleichrichterkreis vorfinden. Davon ist eine nennenswerte Milderung der „Abplattung“ der Spannungskurve nicht zu erwarten.
Auch kann man hier nicht von „Lastabwurf“ sprechen. Das mit dem Gleichstrom versorgte Gerät wird immer seine Leistung fordern; diese wird in keiner Weise von der Spannungskurve im Wechselstromnetz beeinflusst. Man denke nur an die Weitbereichs-Netzteile, die von 90 V bis 264 V einsetzbar sind! Ist die Spannung geringer, steigt die Stromaufnahme entsprechend. Was sich mit der Spannungskurve verändert, ist lediglich die Form und Lage der Stromkurve vor dem Glättungskondensator innerhalb der Phase. Zwar wird die Scheitelspannung auf dem Glättungskondensator etwas geringer, weil die Spannung auf der Wechselstromseite verflacht, aber dafür wird der Glättungskondensator dann nur in der netzseitigen Strompause etwas weiter entladen: Die Kondensatorspannung pendelt auf etwas niedrigerem Niveau; das ist alles.
Einen Einfluss der Induktivität im Netzfilter auf die Stromkurven in L und N möchte ich ebenfalls ausschließen. Diese Induktivität ist gegen hochfrequente Störungen gerichtet und entsprechend viel zu klein, um bei 50 Hz und deren Harmonischen etwas auszurichten. Zudem ist diese Induktivität für Ströme zwischen L und N gar nicht vorhanden (bifilar gewickelt), sonst triebe der Betriebsstrom den Kern in die Sättigung, und die Drossel wäre auch für HF „lahmgelegt“. Sie richtet sich nur gegen asymmetrische Störungen (L-PE und N-PE).