Lichtkonzepte, die sich am Verlauf des Tageslichts und seinen Wirkungen auf den Menschen orientieren, können maßgeblich zu unserem Wohlbefinden beitragen. Sie fördern Leistung und Konzentration ebenso wie den Schlaf-Wach-Rhythmus, was mittlerweile durch wissenschaftliche und praktische Studien nachgewiesen ist [1].
Der Beitrag geht auf die Entwicklung und den Stand von Forschung, Technik und Normung im Bereich nicht-visueller Lichtwirkungen ein und zeigt die aktuellen Anwendungsmöglichkeiten auf.
Es sind schon über 20 Jahre vergangen, seit durch die Arbeiten von Brainard [2] und Thapan [3] im Jahr 2001 nachgewiesen wurde, dass es im menschlichen Auge eine vorher unbekannte Art von Lichtrezeptor gibt.
Einleitung (Grundlagen)
Dieser damals entdeckte Lichtrezeptor bewirkt unter anderem, dass Licht mit hohen Blauanteilen in der Nacht die Ausschüttung des Hormons Melatonin ins Blut verhindert. Damals eine unglaubliche Entdeckung, da man dachte, vom Auge schon alles zu wissen. Diese sogenannten „intrinsisch photosensitiven retinalen Ganglienzellen“ (ipRGC) wurden inzwischen nicht nur beim Menschen, sondern bei nahezu allen Wirbeltieren nachgewiesen.
Hormonelle Wirkung
Melatonin wirkt beim Menschen als Schlafhormon. Die beobachtete Melatoninunterdrückung funktioniert am stärksten mit Licht, das – ähnlich wie natürliches Tageslicht – hohe Anteile bei Wellenlängen um 440 – 540 nm aufweist. Das Wort „intrinsisch“ soll verdeutlichen, dass die Lichtempfindlichkeit dieser Ganglienzellen von einem eigenen in diesen Zellen enthalten lichtempfindlichen Protein herrührt – dem Melanopsin. Etwa 2 – 3 % aller Ganglienzellen in der Netzhaut enthalten das Photopigment Melanopsin und sind damit selbst lichtempfindlich.
Das Absorptionsspektrum von Melanopsin (Bild 1b) ist die Basis für die Bewertung von Licht hinsichtlich seiner nicht-visuellen Wirkungen. Nicht-visuelle Wirkungen von Licht werden daher auch melanopische Wirkungen genannt. Nur blaue und grüne Spektralanteile tragen zu den melanopischen Wirkungen bei.
Lage und Empfindlichkeit der Zellen
Auch die Lage der retinalen Ganglienzellen im Auge ist anders als die der Zapfen, welche für Helligkeits- und Farbsehen am Tag verantwortlich sind. Während letztere im Zentrum der Netzhaut in der Sehgrube (Fovea) konzentriert sind, um ein scharfes Abbild von Objekten zu ermöglichen, sind die melanopsinhaltigen Ganglienzellen, welche die biologische Wirkung vermitteln, über die gesamte Netzhaut verteilt und tragen nicht direkt zur Wahrnehmung eines Bildeindrucks bei.
Die Empfindlichkeit der ipRGC ist im unteren und nasalen Bereich der Retina höher als im oberen Bereich. Sie werden daher von dem natürlichen Tageslicht, das von oben und aus einem großen Raumwinkelbereich kommt, besonders gut stimuliert [4].
Um die Rezeptoren im unteren Bereich anzuregen, muss das Licht somit bevorzugt aus dem oberen Halbraum kommen (Bild 2). Dies entspricht genau dem Gesichtsfeld, aus dem im Freien auch der größte Teil des Tageslichts ins Auge fällt.
Kunstlicht, das eine hohe melanopische Wirkung haben soll, muss somit neben dem hohen Blauanteil auch diese räumliche Lichtverteilung simulieren. Dafür sind größere helle Lichtflächen, wie sie durch indirekte Beleuchtung erreicht werden können, erforderlich. Flächenhafte Leuchten an der Raumdecke oder helle, angestrahlte Wände sind dafür geeignet. Insbesondere zum Ausschluss von Störungen wie Blendung muss auch berücksichtigt werden, dass Auge und Kopf nicht statisch sind, sondern sich in ständiger Bewegung befinden.
Lichtexposition und Zeit
Ein dritter wesentlicher Gesichtspunkt ist die zeitliche Struktur der Lichtexposition für nicht-visuelle Wirkungen. Die natürliche Aufgabe des nicht-visuellen Systems ist es, die biologischen Funktionen des Körpers mit den Verläufen von Tag und Nacht in der Natur zu synchronisieren.
So bewirkt helles Licht am Morgen und Vormittag eine Synchronisierung der biologischen Rhythmen mit dem Tag-Nacht-Verlauf. Wir sind am Tag wach und leistungsfähig und werden zum Abend hin müde, um zu schlafen.
Darüber hinaus bewirken die hohen blauen Anteile und die Helligkeit am Tag die Aufrechterhaltung der Aktivierung und Leistungsfähigkeit über den Verlauf des Tages. Ohne entsprechendes Licht besteht das Risiko, müde und unkonzentriert zu werden.
Bedeutung für den Menschen
Zwar dachte man in den ersten Jahren nach Entdeckung dieser Wirkungsmechanismen, dass es möglich sei, mit hellem Licht auch in der Nacht die Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Das geht jedoch nicht ohne negative Auswirkungen auf das Schlafverhalten. Ein stabiler Tag-Nacht-Rhythmus erfordert neben der Helligkeit einer tageslichtähnlichen Beleuchtung auch Ruhe und möglichst Dunkelheit in der Nacht.
In der heutigen 24-h-Gesellschaft entfernen wir uns in zunehmendem Maße vom natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus. Menschen verbringen im Durchschnitt etwa 90 % der Zeit in Innenräumen ohne klaren Bezug zum Tageslicht – insbesondere in der dunkleren Jahreszeit. Am Abend hingegen sind wir häufig hohen Lichtniveaus ausgesetzt, die das biologische System durcheinanderbringen können. Müdigkeit, Antriebslosigkeit und verringerte Leistungsfähigkeit am Tag – gleichzeitig Schlafstörungen in der Nacht – mit Folgen bis hin zu Depressionen oder Burnout kommen vor. Daher ist eine ausreichende Helligkeit und ein am natürlichen Tageslichtverlauf orientiertes Lichtniveau auch im Innenbereich von hoher Bedeutung für Gesundheit und Wohlbefinden. Dies ist mit der bisher üblichen Beleuchtung, die nur auf eine Unterstützung von ausreichendem Sehen ausgelegt ist, im Allgemeinen nicht erreichbar.
Autor: D. Lang
Literatur:
[1] Siehe z.B. das EU-Projekt SSL-erate 2013-16: Lighting For Health And Well-Being In Education, Work Places, Nursing Homes, Domestic Applications and Smart Cities. Verfügbar unter: http://lightingforpeople.eu/ human-centric-lighting-downloads/
[2] Brainard, G. C. et al.: Action Spectrum for Melatonin Regulation in Humans: Evidence for a Novel Circadian Photoreceptor; The Journal of Neuroscience, August 15, 2001, 21(16):6405–6412.
[3] Thapan, K.; Arendt, J. and Skene, D. J.: An action spectrum for melatonin suppression evidence for a novel non-rod, non-cone photoreceptor system in humans, The Journal of Physiology 2001, 535 (1) 261.
[4] Glickman, G. et al.; Inferior Retinal Light Exposure Is More Effective than Superior Retinal Exposure in Suppressing Melatonin in Humans; Journal of Biological Rhythms, Vol. 18, No. 1, 71-79 (2003)
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Bild 1: Für das im Bild a) gezeigte Spektrum entspricht die im Bild b) dargestellte blau-grüne Fläche der melanopischen Strahlungsgröße (Quelle: Lang/ep)