Praxistipps nach Praxisrecht
Lockert der „Lockout“ auch die Vergabebestimmungen?
Die Auslegungen der Vergabevorschriften bspw. aus Vergabeverordnung (VgV) und Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) sollten bereits jetzt weiter reichen als vor Covid-19. Das betrifft vor allem die unbestimmten Rechtsbegriffe, die nicht auf absolute Rechtsfolgen abstellen, sondern unter Umständen auf mehrere Optionen („es kommt darauf an“).
Nach § 74 VgV (Wahl der Verfahrensart) werden Architekten- und Ingenieursleistungen in der Regel im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach § 17 oder im wettbewerblichen Dialog nach § 18 vergeben. Fraglich ist, ob Covid-19 bereits jetzt diese Regel weit auslegen oder gar aussetzen lässt. So könnten Planungsleistungen derzeit frei vergeben werden, wenn auf Grund von Covid-19 weitergehende Verfahren sinnlos sind und nicht zum Ziel führen können.
Im Landesrecht bestimmt § 50 UVgO „Öffentliche Aufträge über Leistungen, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflichen Tätigen angeboten werden, sind grundsätzlich im Wettbewerb zu vergeben“. Es darf im speziellen Fall auch hier durchaus angenommen werden, dass Covid-19 das „Tor der Grundsätzlichkeit“ aushebelt. In der Folge wären auch hier freie Vergaben bis zu einem Schwellenwert von 214 T€ (netto) möglich, wenn nichts anderes mehr geht. § 50 UVgO bestimmt im Satz 2 weiter: „Dabei ist so viel Wettbewerb zu schaffen, wie dies nach der Natur des Geschäfts oder nach den besonderen Umständen möglich ist.“ Unter Bedingungen des Lockout sollte im Einzelfall davon ausgegangen werden dürfen, dass damit die „besonderen Umstände“ und die „Natur des Geschäftes“ gemeint sind, nach denen der Wettbewerb für Planungsleistungen auf das erforderliche Maß beschränkt werden darf. Im Einzelfall wäre auch hierdurch die freihändige Vergabe von Planungsleistungen und solchen der Objektüberwachung in Zeiten von Covid-19 zu begründen, damit Planung und Bau nicht stillstehen.
„Höhere Gewalt“ bei laufenden Planungs- und Bauverträgen
Die Corona-Krise kann nur auf den ersten Blick als ein typischer Fall der „höheren Gewalt“ einzuordnen sein. Vorsicht ist geboten. Unter „höherer Gewalt“ versteht die Rechtsprechung ein Ereignis, welches keiner Sphäre einer der Vertragsparteien (also weder AN noch AG) zuzuordnen ist, sondern von außen auf die Lebensverhältnisse der Allgemeinheit oder einer unbestimmten Vielzahl von Personen einwirkt und objektiv unabwendbar sowie unvorhersehbar ist [1].
Mit der Einordnung der Covid-19-Krise als Pandemie durch die WHO vom 11.03.2020 dürfte deshalb zunächst von „höherer Gewalt“ auszugehen sein [2]. Allerdings ist die Covid-19-Krise für Verträge, welche hiernach oder bereits kurz zuvor geschlossen wurden, wohl nicht mehr als „unvorhersehbar“ einzustufen. Hätten tatsächlich AN und AG bereits im Januar 2020 [3] erahnen können bzw. müssen, dass sich Covid-19 nicht auf den fernöstlichen Raum der Erde beschränken lässt?
Quellen
BGH, Urteil vom 22.04.2004 III ZR 108/03
WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus hat am 30. Januar 2020 den Ausbruch des Neuartigen Coronavirus (2019-nCoV) zu einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite erklärt. Siehe www.euro.who.int
Siehe die Meldung vom 12.03. WHO erklärt COVID-19-Ausbruch zur Pandemie unter ?www.euro.who.int
Leinemann, R. (Hrsg.): VOB/B Kommentar, ?7. Aufl., Werner Verlag, Düsseldorf 2020, § 6 VOB/B Rz. 47. n
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Im Falle widriger Zeiten ist ein (Schutz)Schirm manchmal (
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Verbote bis zur Unverst
- U. Greiner Mai