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Schutzmaßnahmen | Schaltanlagen | Elektrotechnik

Kurzschluss- und Störlichtbogenschutz in NS-Schaltanlagen Teil 2

ep5/2001, 3 Seiten

Störfälle sind in NS-Schaltanlagen nie völlig auszuschließen. Die Auswirkungen dieser Störungen sind durch konstruktive Maßnahmen zu begrenzen. Der abschließende Teil zeigt, welche Belastungen auftreten können und wie sich Schäden begrenzen lassen.


Energieverteilung Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 5 401 4 Anlagenbelastung im Störfall Kurzschlüsse und Störlichtbögen stellen die größte Belastung für die Anlage dar, da sie sowohl hohe dynamische Kräfte an den Metallteilen als auch durch hohe Temperaturen und infolge der Erwärmung der Luft explosionsartige Druckerhöhung zur Folge haben. 4.1 Temperatur Die Lichtbogenspannung beträgt etwa 20 V. Bei einem 30-kA-Kurzschluss ist damit überschlägig eine Wärmeleistung von rund 600 kW zu erwarten (entspricht 10.000 Glühlampen!). Wenn durch den brennenden Lichtbogen die umgebende Luft ionisiert ist und durch das Abschmelzen von Material an den Lichtbogenfußpunkten leitfähige Gase entstanden sind, muss mit weiteren parallelen und/oder mit einer Aufteilung in mehrere in Reihe geschaltete Lichtbögen gerechnet werden. Im schlimmsten Fall zünden weitere Lichtbögen an anderen Außenleitern und es kommt zum dreiphasigen Kurzschluss. Dabei kann sich der Lichtbogen je nach Geometrie entweder an einer Stelle mit hoher Feldstärke „festbeißen“ oder sich fortbewegen. Ausbreitungsgeschwindigkeiten von mehr als der Schallgeschwindigkeit werden erreicht (bis zu 500 m/s). Der Lichtbogen wird dabei zwar abgekühlt, aber es besteht die Gefahr, dass die Sekundärtechnik zerstört wird. Abhilfe schafft hier die Kammerbauweise, deren Ausführungsformen Bild zeigt. Der Lichtbogen bleibt dabei auf seinen Entstehungsort begrenzt. 4.2 Kraftwirkung Ebenso verheerend sind die Wirkungen von Kräften am Sammelschienensystem bei Störungen. Im Extremfall können die Kräfte Größenordnungen bis zu mehreren 10 MN je Meter Stromschiene mit einer Frequenz von 100 Hz erreichen (10 MN entsprechen der Kraft, mit der eine Masse von 1 t auf ihre Unterlage wirkt). Die Kräfte sind also größer als die eigene Gewichtskraft und in der Wirkung stärker als ein Erdbeben. Die Kräfte auf parallele, stromführende Leiter sind dem Quadrat des Stromes direkt proportional und dem Abstand zwischen den Leitern umgekehrt proportional. Eine Beispielrechnung verdeutlicht die Kraft zwischen zwei mit gleichem Strom durchflossenen Leitern. (Dieser Fall tritt im Drehstromsystem wegen der Phasenverschiebungen nur bei Leiterschleifen auf.) Mit den Werten l = 1 m, a = 125 mm, I = 220 kA, µ0/(2 · ) = 2 · 10-7 Vs/Am ergibt sich die Kraft Sie entspricht der Kraft, mit der eine Masse von rund 7,9 t auf ihre Unterlage drückt. Beim Kurzschluss sind die Kräfte abhängig vom Stoßkurzschlussstrom, der in den ersten, entscheidenden Millisekunden fließt, und damit vom Phasenwinkel zwischen Strom und Spannung sowie vom zufälligen Kurzschlusszeitpunkt. Im Bild ist die Abhängigkeit des Stoßkurzschlussstromes „aus der Sicht“ von L2 (Leiterbezeichnung gemäß Bild ) dargestellt. l I 77440 N. Kurzschluss- und Störlichtbogenschutz in NS-Schaltanlagen (2) W. Pohl, Erkner; U. Thieme, Berlin Störfälle sind in NS-Schaltanlagen nie völlig auszuschließen. Die Auswirkungen dieser Störungen sind durch konstruktive Maßnahmen zu begrenzen. Der abschließende Teil zeigt, welche Belastungen auftreten können und wie sich Schäden begrenzen lassen. Dipl.-Ing. Ulrich Thieme ist Mitarbeiter der AEG Niederspannungstechnik Gmb H, Berlin. Dr.-Ing. Wolfgang Pohl ist Mitarbeiter in einem Ingenieurbüro in Erkner bei Berlin. Autoren 100 120 140 160 180 200 220 240 260 270 280 300 320 340 100 150 200 250 360 Ieff Imax L1/kA Imax L2/kA Imax L3/kA 300 100 -100 -200 -300 0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40 60000 40000 20000 -20000 -40000 -60000 F (3pol) F (L2/L3) Stoßstrom in Abhängigkeit vom Einschaltwinkel für cos = 0,2 und Ikeff = 100 kA Zeitlicher Verlauf der Kurzschlussströme und Kräfte für ein Strom schienensystem mit a = 125 mm und l = 1m Energieverteilung Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 5 402 Am Sammelschienensystem rüttelt bei einem 3-poligen Kurzschluss zusätzlich die Kraft zwischen L1 und L3, die aber bei herkömmlicher Anordnung wegen des größeren Abstandes „nur“ halb so groß ist. Ob diese Werte erreicht werden hängt vom Einschaltwinkel beim Kurzschließen ab. Für cos wurde in Übereinstimmung mit DIN VDE 0660 Teil 100 Tabelle 16 (Allgemeine Bedingungen für Kurzschlussprüfungen, Leistungsfaktoren für Prüfkreise) der Wert 0,2 (für Prüfströme > 50 kA) angenommen, denn im Kurzschlussfall sind die ohmschen Widerstände relativ klein gegenüber den Induktivitäten. Im Bild sind die zeitliche Verläufe der Ströme und der Kräfte bei einem dreiphasigen Kurzschluss für eine reales Stromschienensystem mit einer Länge von 1 m und einem Abstand der Außenleiter von 125 mm bei einem Stoßkurzschlußstrom von 220 kA dargestellt. Man entnimmt der Darstellung das sicher nicht vermutete Ergebnis: Die zerstörerische Wirkung des dreipoligen Kurzschlusses ist nur unwesentlich größer als beim zweipoligen, da sich die Wirkung von anziehenden und abstoßenden Kräften teilweise aufhebt. 5 Schadensbegrenzung 5.1 Lichtbogenwächter Eine Möglichkeit der Schadensbegrenzung bei einem Störlichtbogen ist, insbesondere wenn die konstruktiven Maßnahmen 1 und 3 (s. Teil 1) nicht genutzt wurden, der Einsatz von Lichtbogenwächtern. Das ist besonders dann zweckmäßig, wenn die Zeitselektivität eine lange Lichtbogenbrenndauer hervorrufen würde, und/oder der Lichtbogen den Kurzschlussstrom derart begrenzt, dass sich eine ähnlich lange Auslösezeit ergeben würde. Mit Lichtbogenwächtern ist es möglich, zwischen Störlichtbögen und Schaltlichtbögen zu unterscheiden. Die Auslösung wird dabei solange verzögert, bis alle Ströme in den Außenleitern einen Nulldurchgang absolviert haben (d. h. nach etwa zwei Halbwellen). Unter Berücksichtigung der Eigenzeit des Schutzorganes ist dabei mit Ausschaltzeiten um 50 ms zu rechnen. In dieser Zeit könnte ein Lichtbogen unter (für ihn) günstigen Verhältnissen etwa 17 m zurücklegen. Ohne Störlichtbogenerkennung werden in NS-Anlagen Abschaltzeiten bis zu 400 ms erreicht. Bei einem Kurzschlussstrom von 100 kA ergibt sich dabei eine „Zerstörungsenergie“, die zum Teil im Lichtbogen zunächst als Wärme (100 kA x 20 V x 400 ms = 0,8 MWs) und zum anderen Teil durch Magnetwirkung direkt als Kraftwirkung freigesetzt wird. 5.2 Sammelschienenschutzrelais Technisch zweckmäßiger wäre der Einsatz eines Sammelschienenschutzrelais, das Einspeise- und Abgangsströme vergleicht. Damit liegt frühzeitig, d. h. ehe der Schaden bedrohliche Ausmaße erreicht, die Information vor, dass es sich um einen Schaltanlagenfehler handelt. Obwohl der Aufbau selektiv ist, wird unverzögert abgeschaltet. Die dynamischen Kräfte können auf diese Weise klein gehalten werden. Nachteilig ist allerdings der große Aufwand. Deshalb hat diese Methode z. Z. in NS-Anlagen keine Bedeutung. 6 Unterteilung in Funktionsräume Bild zeigt eine Klassifizierung verschiedener Ausführungsformen für die innere Unterteilung in Funktionsräume. Diese Unterteilung ist zwar in den Normen nicht zwingend vorgeschrieben, kann aber mehrere Aufgaben erfüllen. Zur Einhaltung der Forderungen nach BGV A2 ist es erforderlich, entweder alles abzuschalten (selten möglich) oder alle zu einem Verbraucher gehörigen Betriebsmittel in einem definierten Bereich (z. B. auf einer eigenen Montageplatte) unterzubringen, um das problemlose Abdecken und Abschranken zu ermöglichen. Der „funktionelle Raum“ wird dabei nicht durch Wände abgeschlossen. Obwohl in der Norm nicht zwingend vorgeschrieben, sind einzelne Türen für die sich zusammen mit der inneren Unterteilung ergebenden Betriebsräume zweckmäßig. Eine durchgehende Tür über die gesamte Front wäre mit obiger Forderungen ebenso vereinbar wie das völlige Fehlen der Tür. Letzteres ist natürlich nicht zeitgemäß und würde selbst das Sicherheitsempfinden ansonsten unkritischer Zeitgenossen stören. Dabei bringt eine offensichtliche Gefahr oft eine kleinere Unfallursache mit sich als vermeintliche Sicherheit. Der Gesamtaufwand zur Absicherung eines Arbeitsortes durch Türen ist jedoch geringer. In der Norm nicht berücksichtigt ist die Schottung der Feldverteilschiene. Sie kann in verschiedenen Ausführungsformen realisiert werden (Bild ). Die einfachste denkbare Anordnung (Form 1, Funktionseinheiten 2 und 3, v. l. n. r.) lässt es zu, ohne getrennte Verteilschiene zu arbeiten. Die Sammelschiene ist Haupt- und Verteilschiene in einem. Bei Ausschreibungen wird nicht selten eine Trennung in die durch die gesamte Anlage verlaufenden Hauptschiene und die jewei- Typische Formen der inneren Unterteilung durch Abdeckungen und Trennwände gemäß EN 439-1/A1: Stand 1999 Anhang D (informativ) Energieverteilung Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 5 403 ligen Feldverteilschienen verlangt. Dabei ist zusätzlich eine Schottung der Verteilschienen zwischen den einzelnen Abgängen möglich, um den für die Verbreitung von Störlichtbögen innerhalb des Feldes anfälligen Raum zu beherrschen. Unter diesem Blickwinkel bietet Form 2b einen höheren Schutz als Form 3a, da bei letzterer abgangsseitige Probleme bis zur Hauptsammelschiene übergreifen können. Am oberen Ende der Sicherheitsskala findet man Schaltschränke in Einschubtechnik, deren Türverriegelungen bei eingeschaltetem Einschub nur mit einem Werkzeug geöffnet werden können. Prinzipiell sind bei dieser Technik nur freigeschaltete Anlagenteile zugänglich und das Feststellen der Spannungsfreiheit überflüssig. Trotz der damit verbundenen idealen Möglichkeiten für die gezielte, zeitsparende Revision von Anlagenteilen und dem hohen Sicherheitsstandard ist diese Technik (noch) nicht vorgeschrieben. Ein weiteres Sicherheitsmerkmal ist die elektrische Schottung. Dabei handelt es sich um spezielle Wände, die durch ihre hohe thermische, mechanische und elektrische Festigkeit eine Barriere für Störfälle bilden. Mit dieser Maßnahme ist es möglich, eventuelle Störfälle auf ihren Entstehungsort zu begrenzen (Bild ). Das empfindlichste Bauteil ist dabei die Sammelschiene selbst. Deshalb ist es üblich, neben der Unterteilung innerhalb der Felder nicht nur einen großen Durchbruch für das Schienensystem vorzusehen, sondern unter Verwendung einer isolierenden Durchführung für jeden einzelnen Außenleiter eine Barriere zu schaffen, die falls ein innerer Fehler entstehen sollte, den Fehler auf das Entstehungsfeld begrenzt. Da es grundsätzlich besser ist, die Entstehung eines Lichtbogens zu vermeiden, können die Kupferschienen mit einer speziellen Beschichtung versehen werden. Dabei handelt es sich nicht um eine herkömmliche Isolation, die Berührungsschutz zum Ziel hat, sondern es soll die Entstehung von Lichtbogenfußpunkten (für einen Störlichtbogen sind mindestens zwei erforderlich) vermieden werden. Bei konsequenter Verwirklichung dieses Grundsatzes werden auch die Schraubverbindungen (an denen die höchsten Feldstärken auftreten) mit Isolierstoffabdeckungen versehen. Komplizierter ist die Situation bei Feldverteilschienen, wo im Raster regelmäßige Abgriffe aus den Gerätefächern erforderlich sind und aus dem Sammelschienenraum eingespeist werden muss. Hier hilft nur eine Einbettung in Kunststoff. Optimalen Schutz bietet auch hier die Kombination aller Maßnahmen (Bild ). Obwohl diese Vorteile in der Praxis hinlänglich bekannt sind, fällt bei der Planung oder spätestens beim Bau elektrischer Anlagen aus Kostengründen die Entscheidung für weniger Sicherheit. Diese „Einsparungen“ werden teuer. Der Betreiber zahlt sie später durch höhere Aufwendungen während der gesamten Anlagenlebensdauer nach. Dass sich durch Anlagen mit einem hohen Sicherheitsstandard Betriebsunterbrechungen (Umrüstung, Inspektion, Fehlersuche/ -beseitigung) und damit Ausfallzeiten im technologischen Prozess sowie Wartungskosten auf ein Mindestmaß reduzieren lassen, ist heute leider nicht immer ein Bewertungskriterium. 7 Zusammenfassung Der elektrische Aufbau und die mechanische Ausführung bestimmen gleichrangig die Sicherheit von NS-Schaltanlagen. Allgemeine Grundregeln und Erfahrungen zu beiden Aspekten wurden in der gebotenen Kürze erläutert. Dabei zeigte sich, dass Steuerungsanlagen und Schaltanlagen nur den Wortstamm „Anlagen“ gemeinsam haben. In der Konstruktion unterscheiden sie sich wesentlich. Wenn die Autoren dazu angeregt haben, den einen oder anderen Sicherheitsaspekt noch einmal zu durchdenken, haben sie ihr Ziel erreicht. Dass diese Überlegungen nicht neu sind und schon unsere Großväter beschäftigt haben, zeigt der „gekapselte Schaltapparat“ im Bild . Literatur [1] BGV A 2 Elektrische Anlagen und Betriebsmittel (VBG4). [2] VDE 0102 Leitsätze für die Berechnung der Kurzschlußströme. [3] IEC439 (DIN VDE 0660 T 500). [4] IEC 1641 Verhalten bei inneren Fehlern. [5] VDE 0660 Prüfung von Leistungsschaltern. Schematischer Aufbau eines Abgangsfeldes Die Philosophie der unterteilten Funktionsräume mit Schottung ist nicht neu, wie die „eisengekapselten Schaltapparate“ (AEG 1939) zeigen - lediglich die Materialien waren andere: Gusseisen und Keramik Störlichtbogensichere Ausführung von Haupt- und Verteilschienen (Ansicht von hinten)

Autoren
  • W. Pohl
  • U. Thieme
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