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Kurzschluss- und Störlichtbogenschutz in NS-Schaltanlagen Teil 1
ep4/2001, 3 Seiten
1 Vermeidung von Kurzschlüssen und Störlichtbögen Der beste Schutz gegen Kurzschlüsse und Störlichtbögen ist deren Vermeidung. Beide Fehlerfälle treten in der Praxis häufig gemeinsam auf: - Ein Störlichtbogen, z. B. infolge einer Überspannung, kann zu einem Kurzschluss führen und - ein Kurzschluss kann Ausgangspunkt für Lichtbögen werden, die bei unsachgemäßem Aufbau durch die Anlage „wandern“. Sowohl die richtige elektrische Dimensionierung (besonders Schaltgeräte) als auch die zweckmäßige mechanische Gestaltung sind gleichermaßen wichtig, um die Anlage vor den Folgen schwerer Fehler zu schützen. 2 Mechanischer Aufbau Folgende Empfehlungen sind beim mechanischen Aufbau als präventive Maßnahmen unbedingt zu berücksichtigen: 1. Einbettung der aktiven Teile (Stromschienen, Klemmstellen), Bild 2. Strenge Einhaltung der „5 Sicherheitsregeln“: Freischalten - Gegen Wiedereinschalten sichern - Spannungsfreiheit feststellen - Erden und Kurzschließen - Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken (BGV A 2 vormals VBG4) durch mechanischen Aufbau. Die Regeln werden am besten durch Einschubbauweise der Betriebsmittel unterstützt, die im Allgemeinen mit höchster Anlagenverfügbarkeit verbunden ist. 3. Schottung der Sammelschienen von Feld zu Feld (Bild ) und Schottung der Funktionsräume (Bild ) innerhalb des Feldes durch Kammerbauweise zur Unterstützung der Sicherheit bei Arbeiten an der Anlage und zur Begrenzung der Lichtbogenwanderung im Falle eines „inneren Fehlers“. Allgemein gilt: Je kleiner die Baueinheiten, um so seltener ist das Arbeiten unter Spannung erforderlich. Typische Formen der inneren Unterteilung nach DIN 0660 T 500 bzw. EN 60439 werden im Teil 2 des Beitrags dargestellt. 4. Konsequente Vermeidung von Umwelteinflüssen wie Staub, Feuchtigkeit, Industrieluft, Ratten, Marder, Insekten usw. Diese Einflüsse verringern die Kriech- und Luftstrecken und damit die Spannungsfestigkeit der Anlage. 5. Exakte Festlegungen für turnusmäßige Inspektionen und Einhaltung dieser betriebsspezifischen Vorschriften einschließlich der vorgesehenen Intervalle 6. Realisierung in Einschubtechnik, so dass Revisionen an Geräten und Anlagenteilen möglich und „Arbeiten unter Spannung“ weitgehend überflüssig sind. Da die Maßnahmen 1, 3 und 6 bei der Ausrüstung zu Mehrkosten führen, sind sie nicht sonderlich beliebt. Man beruft sich auf die VDE-Bestimmungen, die das für PTSK (partiell typgeprüfte NS-Schaltgerätekombinationen nach DIN VDE 0660 Teil 500) und für TSK (typgeprüfte Schaltgerätekombinationen) nicht fordern. Schließlich ist auch eine Störlichtbogenprüfung, die bauliche Sünden aufdecken würde, selbst für TSK nicht vorgeschrieben. Selbst eine bestandene Störlichtbogenprüfung ist keine Garantie für hohe Verfügbarkeit. Primäres Anliegen dieser Prüfung ist der Personenschutz mit Forderungen wie: - Türen und Abdeckungen dürfen sich nicht öffnen. - Sichtfenster, Druckentlastungen und Abdeckplatten dürfen nicht wegfliegen. - Es dürfen keine Löcher in die äußeren Teile der Kapselung gebrannt werden. - Senkrecht angebrachte Indikatoren dürfen sich nicht entzünden. - Der Schutzleiterstromkreis für berührbare Teile der Umhüllung muss funktionsfähig bleiben. Die Kriterien werden sicher am einfachsten erfüllt, wenn die Außenhaut aus gepanzerten Stahlblechen und Beschlägen bestehen würde, aber das ist nicht sinnvoll. Für den Schutz der Anlage und zum Zustand des Energieverteilung Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 4 310 Kurzschluss- und Störlichtbogenschutz in NS-Schaltanlagen (1) W. Pohl, Erkner; U. Thieme, Berlin Hohe Verfügbarkeit beim Betrieb von NS-Schaltanlagen erfordert, dass von der Energieeinspeisung bis zum Verbraucher keine Fehler entstehen. Kurzschlüsse und Störlichtbögen als folgenschwerste Fehler sind nie völlig auszuschließen. Deshalb ist zu sichern, dass selektiv nur fehlerhafte Anlagenteile abgeschaltet und „gesunde“ weiter versorgt werden. Der Beitrag gibt Hinweise, wie Schaltanlagen durch zweckmäßigen elektrischen und mechanischen Aufbau vor den Folgen schwerer Fehler geschützt werden können. Feld-zu-Feld-Schottung störlichtbogensicher beschichteter Sammelschienen für 4000 A Die lichtbogenfest umpresste Feldverteilschiene (hier im Schnitt) bildet eine Barriere zwischen Geräteraum und Sammelschienenraum Kompletter Schaltschrank mit beschichteten Cu-Schienen und mit weißen Isolierteilen abgedeckten Schrauben (potentielle Lichtbogenfußpunkte) Dipl.-Ing. Ulrich Thieme ist Mitarbeiter der AEG Niederspannungstechnik Gmb H, Berlin. Dr.-Ing. Wolfgang Pohl ist Mitarbeiter in einem Ingenieurbüro in Erkner bei Berlin. Autoren eigentlichen elektrischen Teils der Schaltanlage gibt es keine Forderungen, d. h., diese muss nach einer bestandenen Störlichtbogenprüfung nicht mehr verwendbar sein. Wie hoch der Grad der Zerstörung in Wirklichkeit ist, richtet sich nach den gewählten konstruktiven Maßnahmen. Neben der Vermeidung der Entstehung muss auch die Beherrschung auftretender Kurzschlüsse bzw. Störlichtbögen betrachtet werden. 3 Elektrischer Aufbau Wichtigstes (aber nicht einziges) elektrisches Kriterium für die Vermeidung von Kurzschlüssen und Störlichtbögen ist das hinreichende Schaltvermögen der Schaltgeräte, also ein sicheres Abschalten der größtmöglichen Ströme. Das gilt insbesondere für Leistungsschalter, deren eigentliche Aufgabe darin besteht, einen Kurzschlussstrom schnell und gefahrlos abzuschalten, aber selbstverständlich auch für jedes andere Schaltgerät in der Anlage. Einen Strom nicht abschalten zu können, bedeutet fast immer die totale Zerstörung des Schalters infolge des nicht mehr zu löschenden Lichtbogens, im Allgemeinen ein Austreten des Lichtbogens in die Anlage mit mehr oder weniger großen Folgeschäden, je nach Aufbau der Anlage. 3.1 Abschätzung des Kurzschlussstromes Als grobe Abschätzung des auftretenden und vom Leistungsschalter zu beherrschenden Kurzschlussstromes kann die Summe der Kurzschlussleistungen der einspeisenden Transformatoren bei der Wahl der Schaltgeräte herangezogen werden (Tafel ). Diese Faustregel zur Dimensionierung des Schaltvermögens des Einspeiseschalters hat den Nachteil, dass keine Aussagen zur Selektivität gemacht werden können und die Schaltgeräte überdimensioniert werden. Die dämpfende Wirkung der Zuleitungen bleibt unberücksichtigt. Diese Reserve ist sinnvoll, denn im Kurzschlussfall speisen elektrische Energiespeicher - induktive und kapazitive Verbraucher, ganz besonders Elektromotoren - mit in die Kurzschlussstelle ein, „verwandeln“ sich also in Einspeisungen. 3.2 Zeitselektivität Der sicherste Weg, um Selektivität der Abschaltung zu erreichen, ist die hierarchische Staffelung der Auslösezeiten von in Reihe liegenden Leistungsschaltern. Als vorgeordnete Leistungsschalter werden solche benutzt, die den vollen Kurzschlussstrom mehrere hundert Millisekunden (einstellbare Verzögerung der Kurzschlussauslöser) tragen können. Damit wird die sogenannte Zeitselektivität realisiert. In der Praxis sind Staffelzeiten von 50 ... 100 ms zwischen den einzelnen Schaltern bis zu insgesamt 400 ms üblich. Während im Bild zwischen Leistungsschalter für Leitungsschutz A und Anlagenschutzschalter B ohne Verletzung der genannten Selektivitätskriterien nach dem Zufallsprinzip ausgelöst werden kann, müssen Kuppelschalter C in den Staffelplan einbezogen werden. Ein nicht zu vermeidender Nachteil dieser Lösung ist die große dynamische Belastung der betroffenen Anlagenteile und Schalter. Strombegrenzende Leistungsschalter sind dafür allerdings ungeeignet, da diese, wie der Name sagt, den prospektiven Kurzschlussstrom (Kurzschlussstrom ohne strombegrenzende Maßnahmen an der Einbaustelle) nicht entstehen lassen, sondern ihn auf einen deutlich kleineren Wert „begrenzen“. Das können sie aber nur dadurch, dass sie den Kurzschlussstrom nicht bis zum nächsten natürlichen Stromnulldurchgang fließen lassen, wie die sog. Nullpunktlöscher, sondern ihn durch das Einschalten einer zusätzlichen Impedanz in den Stromkreis verringern. Dazu dient hier der eigene Schaltlichtbogen, der extrem schnell gelöscht wird. Das muss in deutlich weniger als der ersten Hälfte einer Halbwelle ((1/50 Hz)/4 = 5 ms) geschehen sein. Anderenfalls ist mit einer Schalterexplosion zu rechnen, denn der Strombegrenzer kann den prospektiven Kurzschlussstrom nicht tragen. Strombegrenzende Leistungsschalter müssen also extrem schnell sein und können deshalb nicht zeitselektiv arbeiten. Wegen dieser Wirkungsweise sind sie bedeutend kleiner als die „robusteren“ zeitselektiven Schalter. Eine Alternative bietet die zeitverkürzende Selektivität, bei der je nach Fehlerort Verzögerungszeiten und somit dynamische Belastungen auf ein Minimum reduziert werden. Nachteilig ist, dass nur gleichartige Schalter eingesetzt werden können, da die Technik nicht genormt ist. Außerdem sind zusätzliche Signalleitungen erforderlich. 3.3 Stromselektivität Die geringsten Anforderungen stellt die Stromselektivität, bei der „nur“ sichergestellt werden muss, dass die Auslöseransprechwerte unter Berücksichtigung der Toleranz ausreichend weit auseinander liegen. Die Stromselektivität funktioniert nur im Überstrombereich sicher. Zur Auswahl selektiv gestaffelter Schalter müssen die Auslösekennlinien der Geräte (mit Toleranzbereich) im gleichen Maßstab vorliegen. Bei Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Einbausituation, d. h. Berechnung der Impedanzen von Kabeln, Leitungen, Stromschienen und Schaltgeräten, können o. g. Gesichtspunkte relativiert und genauere Werte der zu erwartenden Kurzschlussströme ermittelt werden. Der Rechenaufwand ist dafür sehr hoch, die Selektivität wird jedoch nicht automatisch verbessert. Zur Berechnung von Kurzschlussströmen sollten in jedem Fall geeignete Programme benutzt werden (z. B. PROCERA III, KUBS), die die Schaltgerätehersteller kostengünstig zur Verfügung stellen. Der Kurzschlussauslöser muss gemäß VDE 0102 generell so eingestellt werden, dass er beim kleinsten Kurzschlussstrom am Leitungsende des zu schützenden Abschnittes sicher auslöst (häufig einpoliger Kurzschluss unter Berücksichtung der Erwärmung). Damit wird gesichert, dass ein „Kurzschlussstrom“ nicht etwa erst durch den Überlastauslöser erkannt und mit viel größerer Auslösezeit abgeschaltet wird. Keine Probleme in der Erkennung gibt es bei „satten“ metallischen Kurzschlüssen. Ein Lichtbogen bzw. die Erwärmung der Leiterteile führen aber zur Begrenzung des Kurzschlussstromes. Dieser „begrenzte Kurzschlussstrom“ muss immer vom Kurzschlussauslöser erkannt werden, andernfalls besteht Zerstörungsgefahr . Brennt z. B. bei einem 1000-A-Schalter beim 1,5-fachen Nennstrom ein Lichtbogen 100 s, dann entspricht das einer Lichtbogenenergie von etwa 1,5 x In x 20 V x 100 s = 30 kW x 100 s = 3 MWs! Energieverteilung Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 4 312 Tafel Nennleistung, Nennstrom und Kurzschlussstrom bei Un = 400 V für typische Transformatoren SNT IN in A uk N = 4 % uk N = 6 % in kVA I'' k in kA I'' k in kA 400 577 14,4 9,6 500 722 18,0 12,0 630 909 22,7 15,2 800 1155 28,9 19,2 1000 1443 36,1 24,1 1250 1804 45,1 30,1 1600 2309 57,7 38,5 2000 2887 48,1 2500 3608 60,1 3150 4547 75,8 4000 5774 96,2 Kuppelschalter C ist in den Staffelplan einzubeziehen, um Zeitselektivität zu erreichen
Autoren
- W. Pohl
- U. Thieme
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