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Schutzmaßnahmen | Installationstechnik | Wartung und Instandhaltung | Elektrotechnik

Bestandsschutz und Anpassung elektrischer Anlagen

ep9/2001, 3 Seiten

In den ersten beiden Beiträgen wurde erläutert, unter welchen Voraussetzungen eine elektrische Anlage Bestandsschutz hat. Was aber ist zu bedenken, wenn es darum geht, für oder gegen den Bestandsschutz der klassischen Nullung zu entscheiden? Immer wieder entsteht diese Frage, wenn eine bestehende elektrische Anlage erneuert bzw. rekonstruiert werden soll.


1 Festlegungen in den Normen Die Schutzmaßnahme „Nullung“ wird in den „Leitsätzen für Erdung und Nullung in Niederspannungsanlagen“ (VDE 314) erstmals 1924 erwähnt. Im Jahr 1958 wird dann bereits die „Nullung mit besonderem Schutzleiter“1) als eine mögliche Form dieser Schutzmaßnahme in den VDE-Bestimmungen (VDE 0100:1958-11) aufgeführt und für feuergefährdete Betriebstätten 1965 gefordert. Wenig später erfolgt ihre Vorgabe 1970 zunächst für die Anlagen in Gebäuden mit metallenen Leitungen (Gas-Wasser-Heizung) und dann 1973 verbindlich für alle Anlagen in den alten Bundesländern [2]. In den VDE-Bestimmungen 0100:1973-05 [3] heißt es dazu: „Die Nullung wird hergestellt durch das Anschließen der Körper · bei Leitungsquerschnitten unter 10 mm2 Cu über einen besonderen Schutzleiter (heute PE-Leiter, d. A.) an den Nulleiter (heute PEN-Leiter, d. A.) · bei Leitungsquerschnitten ab 10 mm2 Cu auch direkt an den Nulleiter.“ In dem für die Schutzmaßnahmen geltenden DDR-Standard (TGL 0200-602/03 [4]) war eine solche allgemeingültige Festlegung nicht in gleicher Weise enthalten. Hier wurde ein besonderer Schutzleiter, d. h. die stromlose Nullung, nur für besondere Anlagenarten (Räume mit Brandgefährdung, Hebezeuge, Bergbau usw.) sowie ab 1.10.1984 in TGL 9552/06 auch für Küchen und Badezimmer von Wohnbauten gefordert [5]. Das heißt: Stromkreise mit der klassischen Nullung (Nulleiterquerschnitt kleiner 10 mm2 Cu) in Wohnbauten haben aus der Sicht der Normenvorgaben Bestandschutz, wenn sie · in den alten Bundesländern vor dem 1.5.1973 [3] und · in den neuen Bundesländern vor dem 3.10.19902) (Stromkreise in Küche und Bad vor dem 1.10.1984 [5]), errichtet worden sind [6]. Dies gilt im Allgemeinen auch für Anlagen/Stromkreise in denen Leitungen mit Aluminiumadern eingesetzt wurden. Ausgenommen davon wären Anlagenarten, für die das Anwenden von derartigen Leitungen in den Normen ausdrücklich ausgeschlossen war. Sofern für besondere Anlagen bereits vor diesen Zeitpunkten das Anwenden des besonderen Schutzleiters (stromlose Nullung) vorgeschrieben wurde, gelten die Verbindlichkeitstermine der betreffenden Normen. Zu beachten sind weiterhin folgende Feststellungen: 1. Es besteht keine Empfehlung [1][6] oder Forderung [7] für das Anpassen der bestehenden Anlagen mit der klassischen Nullung (PEN-Leiterquerschnitt 10 mm2 Cu) an den aktuellen Stand der Norm [8]. 2. Eine alle Anlagen betreffende Empfehlung oder Forderung für eine solche Anpassung ist auch nicht zu erwarten. Sie müsste im Bereich der Europäischen Union als notwendig angesehen und beschlossen werden. Dieses ist jedoch aus vielen Gründen praktisch unmöglich. 3. Möglich ist, dass eine mit der dafür nötigen Kompetenz und Macht ausgestattete Institution (Versicherung, Behörde, Berufsgenossenschaft, Konzern, Wohnungs-Installationstechnik Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 9 720 Dipl.-Ing. Klaus Bödeker ist freier Fachjournalist, Berlin. Autor Bestandsschutz und Anpassung elektrischer Anlagen Für und gegen die klassische Nullung K. Bödeker, Berlin In den ersten beiden Beiträgen zu diesem Thema [1] wurde erläutert, unter welchen Voraussetzungen eine elektrische Anlage Bestandsschutz hat. Was aber ist zu bedenken, wenn es darum geht, für oder gegen den Bestandsschutz der klassischen Nullung zu entscheiden? Immer wieder entsteht diese Frage, wenn eine bestehende elektrische Anlage erneuert bzw. rekonstruiert werden soll. Prinzipdarstellung für das vorübergehende Nutzen des Schutzleiters (PE) einer 5-adrigen Steigleitung als PEN-Leiter L1 L2 L3 N PEN oder PE PEN PEN PEN 1) 1) Wohnungsverteiler WV PAS Kellergeschoss neue Endstromkreise alte Endstromkreise Hausanschluss 1) Geräte, die über Wasserleitungen, Metallkonstruktionen o.ä. einen Erdkontakt des PEN-Leiters/Schutzleiters verursachen, sollten unbedingt über Stromkreise mit dem TN-S-System angeschlossen werden. PEN weitere mögliche Ausführung Information im Verteiler ! Achtung! Stromkreise xx noch nicht umgestellt! 1) Bezeichnet wurde bzw. wird diese Form der Nullung auch als „stromlose Nullung“, „Nullung mit getrennten Leitern“ oder „moderne Nullung“ und heute als TN-S-System. 2) Ausnahmen siehe [4]. genossenschaft) diese Anpassung in ihrem Wirkungsbereich auf Empfehlung ihrer verantwortlichen Elektrofachkraft verordnet und durchsetzt. Somit hängt das Schicksal jeder Anlage mit der klassischen Nullung, die geprüft, geändert oder erweitert wird, ausschließlich davon ab · ob die jeweils verantwortliche Elektrofachkraft eine Anpassung an die aktuellen Normen als erforderlich ansieht oder nicht und · ob der Betreiber/Besitzer dieser Anlage der Empfehlung der Elektrofachkraft folgt oder nicht. 2 Bewerten bestehender Anlagen mit klassischer Nullung Vor dem Beantworten der Frage, ob das Ablösen der klassischen Nullung (TN-C-System) durch eine andere Schutzmaßnahme gegen den elektrischen Schlag zu empfehlen ist, muss von der zuständigen Elektrofachkraft geprüft und entschieden werden, ob die betreffende Anlage insgesamt · zum gegenwärtigen Zeitpunkt Funktion und Sicherheit zuverlässig gewährleistet und · den Anforderungen gewachsen sein wird, die künftig auftreten werden und · ob trotz etwaiger Änderungen an der Anlage nach wie vor ein PEN-Leiter (Nulleiter) zur Verfügung steht, um die Stromkreise mit der klassischen Nullung anschließen zu können (Bild ). Sind diese Voraussetzungen gegeben, so hängt die Entscheidung für oder gegen die klassische Nullung davon ab, ob im jeweils vorliegenden Fall die Schwachstellen dieser „Nullung ohne besonderen Schutzleiter“, bzw. die dadurch unter bestimmten Umständen eintretenden Gefährdungen und Installationstechnik Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 9 Tafel Bei der Entscheidung über den Verbleib der Schutzmaßnahme klassische Nullung zu beachtende Zusammenhänge Vorgang im Normalbetrieb Mögliche Auswirkungen der Schutzmaßnahme klassische Nullung Beanspruchung der Festigkeit und der erhöhte Übergangswiderstände, Erwärmung, Kontaktgabe der Klemmstellen des Schutz- Entstehen einer Unterbrechung leiters durch last- bzw. temperaturbedingte Ausdehnung der Werkstoffe Bereits erfolgte, nicht zu tolerierende Alterung Fehler und Ausfälle werden wahrscheinlicher bezüglich · Sicherheit · Funktion Betriebsströme im PEN-Leiter und den mit unkontrollierte Stromflüsse in Gebäuden ihm verbundenen leitenden Systemen · Erwärmungen/Funkenbildung an Kontaktstellen · Störungen durch elektromagnetische Felder (Schäden an Hardware, Software) Der PEN-Leiter kann oftmals nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zur Isolationswiderstandsmessung freigeschaltet werden, Fehler bleiben bestehen Einsatz von FI-Schutzschaltern zum Brand- Sicherheitsniveau kann nicht den aktuellen Mögschutz nicht möglich und zum Zusatzschutz lichkeiten entsprechend erhöht werden nur mit hohem Aufwand möglich Ortsfeste Geräte mit Anschluss an leitende Betriebsströme in den leitenden Systemen Systeme Vorgang/Zustand im Fehlerfall Auswirkung PEN-Leiter-Unterbrechung Personengefährdung · Spannungsverschiebung Funktionsbeeinträchtigung und Schäden an · Fehlerspannung zwischen Schutzleiter/ Geräten mit Folgen für die Personensicherheit Gerätekörpern und anderen Systemen Vertauschung der Leitungsadern an einer Körper der Geräte der Schutzklasse I stehen Steckdose/am Verteiler, die nicht erkannt unter Spannung wird, da sie keine direkte Auswirkung auf die Funktion der Geräte hat Erwärmung Alterung auch der Isolation und der Geräte in der Umgebung Kontaktunterbrechung/Kurzschluss-Brand Reparaturen noch lohnenswert? Austausch von Steckdosen usw. ohnehin erforderlich? Künftig zu erwartende Anforderungen Auswirkung Veränderung der Gebrauchsgewohnheiten der Schwachstellen der Anlage werden höher Nutzer beansprucht · mehr und/oder leistungsstärkere Geräte Funktionsstörungen, Datenverluste · mehr und/oder komfortablere elektronische Produktionsausfall durch Störungen aus der Geräte Anlage Höheres Sicherheitsbedürfnis Verlust an Gebrauchswert der Anlage · allgemein · bei Nutzer-/Mieterwechsel die dann möglichen Folgen besonders zur Wirkung kommen können (Tafel ). Nachfolgend dazu einige Bemerkungen: Zunahme elektronischer Einrichtungen. Es ist sicher, dass schon jetzt und noch mehr in den kommenden Jahren/Jahrzehnten, elektronische Einrichtungen in allen Gebäuden zum Einsatz kommen. Damit entstehen neue Bewertungsmaßstäbe auch für die ortsfesten elektrischen Anlagen. Die Vernetzung der neuen Informationstechnik schafft zusätzlich zum Potentialausgleich unkontrollierbare Wege und Wirkungsmöglichkeiten für Ableit- und Fehlerströme. Und, sind in diesen Gebäuden noch die klassische Nullung bzw. der PEN-Leiter im Einsatz, so wird noch dazu ein Teil des Betriebsstroms über alle die Elektronik umgebenden leitenden Systeme des Hauses und die Schirme ihrer Datenleitungen zurückfließen. Störungen sind vorprogrammiert. Irgendwann wird ein Versagen der (Elektro-)Technik zu Folgen führen, deren Kosten weit über denen der Umstellung auf die Nullung mit gesondertem Schutzleiter liegen. Dass der PEN-Leiter aus diesem Grund künftig nur bis in den Keller und nicht mehr in den zentralen Zählerschrank oder Wohnungsverteiler gelangen sollte, zwingt dann über kurz oder lang jeden Betreiber einer klassisch genullten Anlage zur Umstellung bis in das letzte klassisch genullte Wohnzimmer. Jeden Betreiber einer elektrischen Anlage rechtzeitig auch über diese zu erwartende Entwicklung zu informieren und gegebenenfalls auf dringenden Änderungsbedarf aufmerksam zu machen, das ist Aufgabe der Elektrofachkraft, die eine solche Anlage zu beurteilen hat oder auf andere Weise mit ihr in Kontakt kommt. Vertrauen auf sichere Installation. Nach der Rekonstruktion einer elektrischen Anlage geht jeder nichtfachkundige Nutzer davon aus, dass ihm nun eine erneuerte und somit völlig sichere Installation zur Verfügung steht. Er vertraut der Elektrofachkraft, sie ist für ihn der Garant für 100%tigen Schutz vor den Gefahren der Elektrizität [10]. Dieser Umstand ist von der Elektrofachkraft zu bedenken, wenn sie die bestehenden alten Stromkreise beurteilt und sich für den Bestandsschutz entscheiden will. Vertauschen der Adern. Zu berücksichtigen ist, dass Installationen mit der klassischen Nullung in Wohnräumen vielfach vorhanden sind, aber trotz tragischer Einzelfälle keinesfalls als Unfallschwerpunkt bekannt wurden. Zu beachten ist jedoch bei dem Bewerten dieser Situation, dass ein Vertauschen der beiden Adern an einer Steckdose nicht zum Versagen eines an diese Steckdose angeschlossenen Geräts führt, aber bei Geräten der Schutzklasse I eine unmittelbare Gefahr hervorruft. Dies ist ein wesentlicher Nachteil der klassischen Nullung. Da Eingriffe von Elektrolaien an Steckdosen, eine unzureichende Prüfungen nach Änderungen [11] und der fahrlässige Verzicht der Anlagenbetreiber auf Wiederholungsprüfungen keine Seltenheit sind, besteht hier eine Schwachstelle, die künftig zunehmend unangenehme Konsequenzen hervorrufen kann (s. Pressemeldung). Bei der Entscheidung der Elektrofachkraft über das Schicksal der Stromkreise mit klassischer Nullung wird somit auch die Qualität der Wartung der Anlagen durch den Betreiber mit beachtet werden müssen. Insgesamt gesehen ist zu erkennen, dass unsere gute alte Schutzmaßnahme klassische Nullung in Anbetracht der aktuellen Entwicklung nun langsam aber sicher den Anspruch auf Bestandsschutz verlieren muss. Es ist Aufgabe der jeweils verantwortlichen Elektrofachkraft, mit Augenmaß zu entscheiden, ob im Einzelfall bereits ein dringender Handlungsbedarf besteht oder zur Zeit noch nicht. Immer aber sollte der Betreiber nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass eine solche Anlage über kurz oder lang umzurüsten ist, um den wachsenden Sicherheitsanforderungen zu entsprechen. Der Betreiber muss wissen und bedenken, dass sich anderenfalls seine Wohnungen dann irgendwann nicht mehr „ ... in einem zu dem vertragsmäßigen Gebrauch geeigneten Zustand ...“ (BGB § 536) befinden werden. 3 Anschluss von Stromkreisen mit klassischer Nullung Die im Abschn. 2 dieses Beitrags skizzierte Entwicklung wird im Allgemeinen nur etappenweise erfolgen. Einer der dringendsten Schritte ist das Verstärken der Steigleitungen. Aus den oben angeführten Gründen sollte aber die neue Installation bis zu den Wohnungsverteiler unbedingt mit 5-adrigen Systemen vorgenommen werden, d. h. unter Verwendung eines gesonderten Schutzleiters (PE). Anderenfalls wird dann sehr wahrscheinlich, und lange vor einem altersbedingten Versagen dieser Steigleitung, ihr nochmaliges Auswechseln erforderlich sein. Um den normgerechten Anschluss der verbleibenden Stromkreise mit der klassischen Nullung zu ermöglichen, muss dann eine der beiden im Bild gezeigten Möglichkeiten gesichert werden [9]. Wichtig ist, dass diese von einer üblichen Anlage abweichende Verfahrensweise für jede Elektrofachkraft erkennbar ist, die mit dieser Anlage dann zu tun haben wird. Das heißt: · Kennzeichnung der PEN/PE-Leiter entsprechend ihrer Funktion. · Angebracht werden muss ein deutlich sichtbarer Hinweis wie „Achtung, Stromkreise xx mit der Schutzmaßnahme TN-C-System sind noch nicht umgestellt“. Literatur [1] Bödeker, K.; Senkbeil, H.: Bestandsschutz, Anpassung elektrischer Anlagen - Verantwortung der Elektrofachkraft. Elektropraktiker, Berlin 55(2001)7, S. 552-553. - Entscheidung ohne großen Aufwand? Elektropraktiker, Berlin 55(2001)8, S.644-645. [2] Rudolph, W.: Einführung in die VDE 0100. VDE-Schriftenreihe Nr. 39. Berlin-Offenbach: vde-verlag. [3] DIN VDE 0100:1973-05 Bestimmungen für das Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V. [4] TGL 200-0602/03 Schutzmaßnahmen in elektrotechnischen Anlagen; Schutz beim Berühren betriebsmäßíg nicht unter Spannung stehender Teile. [5] TGL 9552/06 Elektrische Anlagen in Wohnbauten. [6] Entscheidung des Komitees 221 der DKE zur Anpassung bestehender elektrischer Anlagen in den neuen Bundesländern und im Ostteil Berlins. Beiblatt 2 zu DIN VDE 0100 vom Oktober 1992. [7] Anhang 2 zur BGV A2 (VBG 4) zur Anpassung bestehender Anlagen. [8] Schröder, B.: Verbindlichkeit von Festlegungen der DKE. Elektropraktiker, Berlin 47(1993)9, S. 714. [9] Rudolph, W.; Schulze, B.: Neuinstallation bei teilweisem Belassen von zweiadrigen Endstromkreisen. Elektropraktiker, Berlin 48 (1994)7, S. 561. [10] Schliephacke, J.: In der Praxis nicht bestanden; Garantenverantwortung. Elektropraktiker, Berlin 55(2001)5, S. 410-411. [11] Bödeker, K.: In der Praxis nicht bestanden; Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Elektropraktiker, Berlin 55(2001)3, S. 238-239. Installationstechnik Elektropraktiker, Berlin 55 (2001) 9 722 Ein zweijähriges Kind erlitt einen tödlichen elektrischen Schlag, als es mit nackten Füßen auf einen Dreifachverteiler trat und sich gleichzeitig an einem Zentralheizkörper abstützte. Ursache war ein Vertauschen der Leitungsadern in der Steckdose, an der die Anschlussleitung des Dreifachverteilers angesteckt war. Pressemeldung

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  • K. Bödeker
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