Aus dem Facharchiv: Elektropraxis
Schaltanlagen ohne F-Gase
Weltweit steht Schwefelhexafluorid (SF6) als Isoliergas im Mittelspannungsbereich in der Diskussion. Zwar ist es ungiftig, nicht brennbar und reaktionsträge, aber dafür ein 23 500-mal so starkes Treibhausgas wie CO2, falls es in die Atmosphäre gelangt. Alternativen in Form weniger klimaschädlicher Fluoridgase sind zwar verfügbar, auf lange Sicht ist ökologisch wie ökonomisch jedoch der Umstieg auf ein völlig fluoridfreies System sinnvoll. Eine innovative Lösung setzt auf reine Luft in Verbindung mit einer Shunt-Vakuumtechnologie.
Mittelspannungsnetze übernehmen den Energietransport auf der lokalen Ebene und werden meist im Bereich von 10 bis 20 kV betrieben. Sie speisen Mittelspannung/Niederspannung-Transformatoren, die wiederum die Haushalte versorgen, oder übertragen den Strom an größere Verbraucher, etwa Industrieanlagen. Erneuerbare Energien sind zudem häufig direkt an ein regionales Mittelspannungsnetz angeschlossen. In all diesen Situationen kommen Schaltanlagen zum Einsatz. Um den sicheren Betrieb der Anlagen zu gewährleisten, ist insbesondere der Schutz vor Kurzschlüssen oder Störlichtbögen von entscheidender Bedeutung. Dafür setzen die meisten Hersteller seit den 1980er Jahren das künstliche Gas SF6 (Schwefelhexafluorid) zwecks Isolierung ein. Es ist ungiftig, nicht brennbar sowie reaktionsträge und eignet sich daher hervorragend als Isoliergas.
Im Hinblick auf die Bewältigung des Klimawandels besitzt SF6 jedoch einen entscheidenden Nachteil: Im Vergleich zu CO2 ist das klimaschädliche Potential (global warming potential, GWP) von SF6 ganze 23 500-mal größer. Falls bei unsachgemäßer Befüllung, durch Leckagen oder bei der Entsorgung ausgedienter Schaltschränke SF6-Gas entweicht, kann es also großen Schaden anrichten. Das ist besonders bedeutsam, wenn man die Rolle des Stromnetzes in der Energiewende bedenkt: Grüner Strom soll zunehmend die klimaschädlichen fossilen Energieträger ablösen.
Es ist also eine Alternative gesucht, denn die Einspeisung erneuerbarer, dezentraler Energien erfordert eine Vielzahl neuer Schaltschränke, die möglichst nicht mit SF6 betrieben werden sollten – grüne Energie braucht eine grüne Netzinfrastruktur. Hinzu kommt, dass die weltweite Nutzung von SF6 in der Mittelspannung möglicherweise ganz enden soll. Die EU beispielsweise arbeitet bereits seit 2015 an der stufenweisen Abschaffung von fluoridhaltigen Gasen, vor allem in Kühlmitteln. Und auch in Deutschland wurden erste Maßnahmen ergriffen: Dienststellen des Bundes ist seit dem 1. Januar 2022 die Anschaffung SF6-isolierter Mittelspannungsschaltanlagen nur in Ausnahmefällen erlaubt.
Alternative Isoliergase
Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags nennt in einem Bericht von 2020 drei Alternativen für SF6. Zunächst sind das Fluornitril (C4-PFN) und Fluorketon (C5-PFK), also andere Fluoridgase, die ein geringeres GWP als SF6 haben. Angesichts der regulatorischen Entwicklung bezüglich fluoridhaltiger Gase auch auf EU-Ebene ist jedoch ein baldiges Verbot sämtlicher F-Gase, nicht nur SF6, in elektrischen Anlagen denkbar. Zudem erfordern Recycling oder Zerstörung von F-Gasen am Ende der Anlagenlebensdauer zusätzlichen Aufwand, etwa den Transport in und die Bearbeitung durch eine Wiederaufbereitungsanlage. Darin würden sich die alternativen Gase also nicht von SF6 unterscheiden.