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Bild 2: Messung der Ladungsenergie eines PE-Gasrohres (Quelle: F. Florschütz; A. Aumann; BG ETEM)
Elektrosicherheit | Betriebsführung und -Ausstattung | Schutzmaßnahmen

Aus dem Facharchiv: Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit, Betriebsführung

Personengefährdung durch elektrostatische Entladung - Wie gefährlich elektrostatische Entladungen für Menschen sind

19.08.2019

Den „elektrischen Schlag“ beim Anfassen einer Türklinke oder einer Autotür hat im Alltag jeder schon einmal erlebt. Diese elektrostatischen Entladungen werden eher als lästig empfunden und weniger als bedrohlich oder gar gefährlich.

Ganz anders verhält es sich in der Arbeitswelt. Hier sind elektrostatischen Entladungen ein erhebliches Risiko. Die Auswertung der Unfallstatistik der Unfallversicherungsträger zeigt sogar, dass elektrostatische Entladungen eine relativ häufige Personengefährdung mit steigender Tendenz darstellen. In Handwerk und Industrie stellen elektrostatische Entladungen (ESD, Electro Static Discharge) ein erhebliches Risiko für die Produktion und die dort beschäftigten Menschen dar – vor allem, wenn mit brennbaren oder explosionsfähigen Stoffen umgegangen wird. Daher werden im Explosionsschutz große Anstrengungen unternommen, um elektrostatische Aufladungen als potentielle Zündquelle in einer explosionsfähigen Atmosphäre zu vermeiden. Besteht jedoch keine Explosionsgefahr, werden sie in der Regel nicht als unmittelbare Gefährdung für den Menschen, sondern wie im Alltag viel mehr als ein harmloses Phänomen wahrgenommen. Dies führt dazu, dass elektrostatische Entladungen nur teilweise im Fokus von Gefährdungsbeurteilungen stehen. Unfälle durch elektrostatische Entladungen führen aber oft zu Krankschreibungen, Arbeitsausfällen und Verunsicherung bei den Beschäftigten. Die Auswertung der Unfallstatistik der Unfallversicherungsträger (Bild 1) zeigt, dass elektrostatische Entladungen eine relativ häufige Personengefährdung mit steigender Tendenz darstellen. Auch wenn die Gefahren durch die elektrostatische Entladung und die maximal zulässigen Grenzwerte bekannt sind, ist die Beurteilung einer elektrostatischen Auf- bzw. Entladung am Arbeitsplatz nicht einfach zu realisieren.

Wie elektrostatische Aufladungen entstehen

Elektrostatische Aufladungen entstehen durch Reibung, Kontaktieren und Auseinanderziehen von Isolierstoffen bzw. elektrisch isolierten Stoffen. Dies ist z. B. durch Umspulen von Papier- und Kunststofffolien, aber auch durch Reibung von Gummirädern auf Isolierböden oder Umfüllen von Schüttgütern und Flüssigkeiten gegeben. Elektrostatische Aufladungen werden auch durch Versorgungs- und Prüfspannungen an elektrischen Bauelementen und Betriebsmitteln erzeugt. Typische Aufladungsobjekte sind hier Kondensatoren, elektrische Leitungen, Wicklungen in Motoren und Transformatoren. Eine mangelhafte Entladung dieser Bauteile führt oft zu elektrischen Unfällen durch Berühren.

Grenzwerte für elektrische Körperdurchströmung

Um die Ursachen der Gefährdungen zu verstehen, sollen als erster Schritt die Grenzwerte für elektrostatische Ladungen hinsichtlich der elektrischen Körperdurchströmung dargelegt werden. Tabelle 1 zeigt Grenzwerte elektrischer Größen, welche in Vorschriften und Regelwerken benannt sind. Es wird deutlich, dass in den jeweiligen Regelwerken die Grenzwerte durchaus voneinander abweichen. Hinsichtlich der elektrischen Gefährdung kann als Grenzwert die elektrische Ladung von 50 µC und auch der Wert der elektrischen Energie von 350 mJ zugrunde gelegt werden. Als vereinfachte Betrachtung kann der restriktivere Wert im jeweiligen Anwendungsbereich herangezogen werden. Für eine genauere Betrachtungsweise empfiehlt es sich, oberhalb von 15 kV den Wert von 350 mJ und unterhalb von 15 kV den Wert von 50 µC anzuwenden. Unterhalb der Spannungswerte von DC 60 V kann die elektrische Körperdurchströmung als gering gefährdend eingestuft werden.

Methoden zur Messung der Ladungsenergie

Messung mit dem Coulombmeter

Die elektrische Ladung kann mit einem Coulombmeter gemessen werden. Der Messbereich der aktuell verfügbaren Messgeräte liegt üblicherweise im Nanocoulomb-Bereich. Diese Art von Messgeräten werden deshalb eher in speziellen Elektrolaboren zur Ermittlung von ESD-Kenngrößen eingesetzt und sind in der betrieblichen Praxis mit einem Messbereich von 50 µC und höher sehr selten verfügbar.

Messung von Kapazität und Isolationswiderstand

Eine sehr einfache Methode, die Gefährdungen durch die Elektrostatik zu ermitteln, ist die Berechnung der Ladungsenergie bzw. der übertragenen Ladung auf Basis der Messung der Kapazität des Objektes. Die Kapazität des Messobjektes wird mit einem Kapazitäts-Messgerät (z. B. Digitalmultimeter) gemessen. Die maximale Auflade-Spannung am Objekt kann zum Beispiel auf Basis der Durchschlagsspannung oder der anzuwendenden Prüfspannung bestimmt werden. Soll die Ladungsspeicherfähigkeit eines Objektes abgeschätzt werden, ist die Kenntnis des Isolationswiderstands nicht unwesentlich. Liegt dieser im hohen Gigaohmbereich, so ist mit gespeicherten Aufladungen zu rechnen. Andernfalls ist eine Speicherung von Ladungsenergie aufgrund der Entladung innerhalb des Mediums nicht zu erwarten. Die Messung des Isolationswiderstands erfolgt mit speziellen Isolationswiderstandsmessgeräten. Hierbei ist die jeweilige Messspannung zu beachten, da der Isolationswiderstand spannungsabhängig ist. Weiterhin ist auch die Anordnung und Form der Messelektroden für das Messergebnis maßgebend. Isolationswiderstandsmessgeräte beinhalten meist einen Kapazitivmesser und sind u. a. auch in Digitalmultimetern integriert.

Messungen durchführen und auswerten

Mit den zuvor beschriebenen Messmethoden wurden in folgenden Branchenzweigen bzw. Tätigkeitsbereichen Messungen durchgeführt:
  • Foliendruckereien;
  • Großtransformatorenherstellung;
  • Elektromotorenfertigung;
  • Kabelfertigung;
  • Photovoltaikanlagen;
  • Montage von Kunststoffrohren unter Beachtung von Explosionsschutzmaßnahmen.

Beispielhafte Messungen und deren Ergebnisse

Die gezeigten Messergebnisse stellen Orientierungswerte für die jeweiligen Objekte dar. In den Fällen, in denen die Messung mit dem Oszilloskop und dem Digitalmultimeter durchgeführt wurden, ergaben sich stets die gleichen wirksamen Kapazitätswerte. Hierdurch wird die Anwendbarkeit der Messmethoden bestätigt. Es zeigt sich an den Objekten der Großtransformatoren, Elektromoren und Energiekabeln, dass Grenzwerte für die elektrischen Gefährdungen bei Umwälzvorgängen und elektrischen Mess- und Prüfvorgängen überschritten werden. Darüber hinaus wird deutlich, dass eine Überschreitung in der Regel nur an großen Kontaktflächen von Isolierstoffen und Metallen entstehen. Einzelne Isolierstoffe bergen in der Regel einzelne Ladungsnester, welche in den meisten Fällen zu keiner Überschreitung der Grenzwerte für die elektrischen Gefährdungen führen. Die Beurteilung der Gefährdung durch Zündenergien soll in diesem Fachbeitrag nachrangig betrachtet werden. Am Beispiel der Kunststofffolien und des PE-Gasrohres (Bild 2) wird jedoch deutlich, dass durch die Entladung einzelner Ladungsnester die Werte von gasspezifischen Mindestzündenergien meist unterschritten werden. Eine gleichzeitige Entladung von mehreren Ladungsnestern kann jedoch leicht zur Überschreitung von Mindestzündenergien führen. Des Weiteren wurde bei folgenden Messobjekten eine selbständige Wiederaufladung bzw. die Entstehung von Restladungen beobachtet und messtechnisch nachgewiesen:
  • Elektro-Großmotor;
  • Elektro-Kleinmotor;
  • Photovoltaikanlage.
Bei der selbstständigen Wiederaufladung erfolgt eigenständig eine teilweise Aufladung des Messobjekts trotz kurzzeitiger niederohmiger und vermeintlich vollständiger Entladung. Dieses Phänomen wird in der Fachliteratur als dielektrische Relaxation beschrieben. Die Ursache hierfür wird durch das Vorkommen von Raumladungen in den tiefen Isolierschichten und Veränderungen von Molekulargefügen durch elektrostatische Spannungen erklärt, welche nur über sehr lange Zeitvorgänge abgebaut werden können. Bei Auflade-Vorgängen ist dieses Phänomen als sogenannte dielektrische Absorption zu beobachten. Elektrostatische Restladungen aufgrund der dielektrischen Relaxation sind nach mehreren Stunden und Tagen messbar und für den Menschen spürbar. Bild 1: Entwicklung von Unfällen durch elektrostatische Entladungen (Foto: F. Florschütz; A. Aumann; BG ETEM; ep)

Tabelle 1 {1} Grenzwerte elektrostatischer Ladungen

Literatur: [1] DIN EN 50191 (VDE 0104):2011-10 Errichten und Betreiben elektrischer Prüfanlagen.
[2] DIN EN 61140 (VDE 0140-1):2016-11 Schutz gegen elektrischen Schlag – Gemeinsame Anforderungen für Anlagen und Betriebsmittel.
[3] Technische Regel für Gefahrstoffe 727 – Vermeidung von Zündgefahren infolge elektrostatischer Aufladungen (TRGS 727); Ausgabe: Januar 2016; GMBl 2016 S. 256-314 [Nr. 12-17] (vom 26.04.2016); berichtigt: GMBl 2016 S. 623 [Nr. 31] (vom 29.07.2016).
[4] DIN EN 61010-1 (VDE 0411-1):2011-07 Sicherheitsbestimmungen für elektrische Mess-, Steuer-, Regel- und Laborgeräte – Teil 1: Allgemeine Anforderungen.
[5] DGUV Vorschrift 3 Unfallverhütungsvorschrift Elektrische Anlagen und Betriebsmittel vom 1. April 1979 in der Fassung vom 1. Januar 1997 mit Durchführungsanweisungen vom Oktober 1996; aktualisierte Nachdruckfassung Januar 2005.
[6] DIN VDE 0105-100 (VDE 0105-100):2015-10 Betrieb von elektrischen Anlagen – Teil 100: Allgemeine Festlegungen. Autor: F. Florschütz, A. Aumann Der vollständige Artikel ist in unserem Facharchiv nachzulesen.