Für die anlagenweite Datenkommunikation sind Ethernet-basierte Kommunikationssysteme wie Profinet heute die erste Wahl. Das liegt nicht nur an den deutlich höheren Übertragungsraten im Vergleich zu seriellen Feldbussen, sondern auch an der größeren Flexibilität. Verschiedene Protokolle laufen parallel und die Topologie lässt sich nahezu beliebig erweitern. Diese Vielfalt führt jedoch zu einer höheren Komplexität, die sich bereits bei der Abnahme bemerkbar macht.
Im Vergleich zu seriellen Feldbussen liegt der Vorteil von Ethernet-basierten Systemen klar auf der Hand: Einfacheres Engineering, höhere Datenraten, skalierbare Echtzeitfähigkeit sowie mehr Möglichkeiten und Flexibilität bei der Netzwerkarchitektur. Bei der Abnahme solcher Systeme nach einer Neuinstallation oder Anlagenerweiterung scheiden sich allerdings die Geister. In der täglichen Praxis ist hier eine große Bandbreite zwischen zwei Extremen feststellbar:
Einerseits wird davon ausgegangen, man könne auf eine Abnahme komplett verzichten, wenn man prinzipiell nur zertifizierte Kabel, Leitungen, Steckverbinder und Geräte miteinander verbindet. Das andere Extrem sind Meinungen, dass jede Leitung aufwendig vermessen werden muss, was entsprechend enorme Kosten verursacht. Die Anlagenbetreiber sind zwischen den gegensätzlichen Aussagen hin- und hergerissen.
„In den Montage- und Aufbaurichtlinien der Profibus/Profinet Nutzerorganisation werden zwar entsprechende Vorgaben gemacht, trotzdem sehen wir in der Praxis vor Ort eine große Unsicherheit“, stellt Hans-Ludwig Göhringer vom Unternehmen IVG Göhringer entsprechend fest. IVG Göhringer hat sich über viele Jahre ein umfassendes Know-how im Bereich der Instandhaltung von industriellen Netzwerk- und Feldbusinstallationen erarbeitet. Das Unternehmen wird häufig als Troubleshooter zu Anlagen gerufen, die aufgrund von Bus- oder Netzwerkproblemen ausgefallen sind.
Vom Troubleshooting zur Abnahme
Dass sich das Unternehmen jetzt neben der Instandhaltung auch mit der Abnahme befasst, war ein kleiner Schritt.
„Für uns ist das technisch nichts Neues. Auch am Ende eines jeden Troubleshooting-Einsatzes erfolgt eine Abnahme, um dem Kunden die Beseitigung der Fehler nachzuweisen“, erläutert Hans-Ludwig Göhringer. Während einige Abnahmemessungen im Kundenauftrag durchgeführt wurden, entstand die Idee, ein standardisiertes Abnahmekonzept für Feldbussysteme zu entwickeln. Ziel war es, dem Anwender einfache Checklisten und Werkzeuge in die Hand zu geben, mit denen er eine Abnahme machen kann, ohne dass er ein ausgewiesener Feldbusspezialist ist und in teure Messgeräte und Schulungen investieren muss.
App-gestützte Sichtprüfung
Bei der Neuinstallation oder der Erweiterung von industriellen Netzwerken gibt es einige Möglichkeiten, Fehler zu machen. Dazu zählen die Schwachstellen, die auf einer fehlerhaften Planung oder Installation beruhen. Häufige Fehler sind falsche Teilnehmer-Adressen, Standard-Netzwerkkabel statt Profinetkabel, eine nicht richtig ausgeführte Abschirmung oder ein fehlender Potentialausgleich (Bild 1).
Bild 1: Ein Standard-Patchkabel als potentielle Fehlerquelle (Bild: IVG Göhringer)
„Auf Erdungsprobleme treffen wir recht häufig“, berichtet Hans-Ludwig Göhringer aus seiner Tätigkeit als Troubleshooter und erläutert dazu: „Für die Störsicherheit von industriellen Netzwerken ist eine gute Erdung und ein optimaler Potentialausgleich enorm wichtig. Andernfalls fließen Ausgleichströme über die Schirmung der Netzwerkleitung und setzen diese außer Funktion.“ Die meisten dieser Fehler lassen sich durch eine visuelle Inspektion bzw. Sichtkontrolle feststellen.
Dafür hat IVG Göhringer ein softwaregestütztes Verfahren konzipiert. Die darauf basierende IVGNetApp (Bild 2) gibt dem Anwender einen strukturierten und fundierten Prozess vor und unterstützt damit eine systematische Vorgehensweise. Die App ist neben Profinet auch für Profibus, Interbus, CAN und AS-Interface verfügbar und berücksichtigt die Besonderheiten der einzelnen Netzwerk- und Bussysteme.
Per Tablet und App kann das Anlagenpersonal die geführte Sichtprüfung selbst erledigen und die erkannten Fehler beheben. Optional bietet IVG Göhringer als Dienstleistung eine kostenpflichtige Auswertung anhand der erfassten Daten an. Diese umfasst eine detaillierte Auswertung mit ausführlichen Hinweisen und Expertentipps zur Fehlerbeseitigung.
Wärmebild-Dokumentation
Anhand der App können die Anwender auch kritische Stellen per Wärmebild-Kamera prüfen und dokumentieren (Bild 3). Durch einen Wärmestau und den damit verbundenen Temperaturanstieg sinkt die Lebensdauer der Mikroelektronik erheblich. Es gilt die Faustformel, dass sich die Lebensdauer hochempfindlicher Elektronik je 7 bis 10 °C höherer Betriebstemperatur jeweils halbiert.
Bild 3: Wärmebild am Beispiel eines offenen Schulungskoffers bei 20°C Umgebungstemperatur (Bild: IVG Göhringer)
Dabei ist es unerheblich, ob die entwickelte Wärme eines Gerätes nicht richtig abgeführt wird oder ob ein System durch zu wenig Abstand von anderen Baugruppen, beispielsweise Netzgeräte oder Leistungselektronik, mit Strahlungswärme beaufschlagt wird.
Kundenspezifische Anpassung
In der aktuellen Version lässt sich die App an Kunden- oder Werksnormen anpassen, so dass diese gleich mitgeprüft werden. Das können interne Vorgaben von Anlagenbauern sein oder Vorschriften eines Endkunden, der alle Anlagen nach einem einheitlichen Standard geprüft haben möchte.
Bei vielen Automobilherstellern sind solche betriebsinternen Normen anzutreffen. Die App „Profinet VW Chemnitz“ ist ein Beispiel für eine kundenspezifische Variante der IVGNetApp. Damit kann eine Profinet-Installation nach Werksnorm abgenommen werden, ohne tiefe Fachkenntnis dafür zu haben.
Die App unterstützt nicht nur bei der Abnahme: Sie hilft auch bei der vorbeugenden Instandhaltung, um die Anlagenverfügbarkeit zu verbessern und Anlagenstillstände zu vermeiden. Die App steht für das Betriebssystem Android zum kostenlosen Download im Google-Play-Store zur Verfügung.
Wer zur SPS IPC Drives nach Nürnberg fährt, kann sich zudem direkt bei IVG in Halle 2 am Stand 261 informieren.