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Technische Entwicklungen in der Elektrotechnik - Teil 5: Spezielle Frequenz für die Eisenbahn
luk6/2009, 2 Seiten
Es begann mit Gleichstrom Ein Elektrofahrzeug benötigt steuerbare Motoren. Dies ist nötig, um anfahren und bremsen, aber auch um die Fahrgeschwindigkeit einstellen zu können. Versuchen Sie sich in die Lage der Ingenieure zu versetzen, die Ende des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gearbeitet haben. Wechselstrommotoren waren praktisch nicht oder nur in wenigen Stufen einstellbar. Leistungselektronik gab es noch nicht, die ab den 1930er-Jahren verfügbaren Quecksilberdampf-Stromrichter waren für einen Einsatz auf Fahrzeugen wegen der Größe und mechanischen Empfindlichkeit denkbar ungeeignet. Versuche mit Drehstrommotoren und entsprechend drei Fahrleitungen (die um 1900 stattfanden) wurden später nicht weiter verfolgt. Praktikable Lösungen wurden nicht gefunden. Gleichstrommaschine. Es blieb also nur der Weg, Gleichstrommotoren zu verwenden. Bei den Fahrzeugen musste damit berücksichtigt werden, dass die Versorgungsspannung gleich der Nennspannung der Motoren ist, Transformatoren sind ja nicht einsetzbar. Bei den Motoren ist zu berücksichtigen, dass die Baugröße beschränkt ist. Sie müssen im Fahrgestell zwischen den Rädern eingebaut werden. Somit ist die Spannung auf etwa 600 V begrenzt, in Ausnahmefällen bei Lokomotiven auch bis etwa 1500 V. Energieversorgung. Für die Wahl der Spannung waren auch Sicherheitsüberlegungen für die Fahrleitung maßgebend. Nach Versuchen mit anderen Varianten, z. B. einer Stromzuführung in einer in der Mitte des Gleises in das Gleisbett eingelassenen und so nicht ohne Hilfsmittel berührbaren Stromschiene, hat sich die Oberleitung durchgesetzt. Bei S- und U-Bahnen sind auch seitlich angebrachte Stromschienen üblich. Entsprechend den Einsatzbedingungen sind so Fahrleitungsspannungen von unter 500 V für Trolleybusse üblich, wo ja zwei Fahrleitungen geführt werden müssen und wo der Einbau des Fahrmotors besonders schwierig ist. Etwa 600 V werden für Straßenbahnen gewählt. Höhere Spannungen kommen bei S-Bahnen (750 V, Berliner S-Bahn) und Lokomotiven in Frage, diese Fahrzeuge verfügen über ein eigenes Gleisbett [1]. Motortyp. Für den Fahrbetrieb sind Motoren erforderlich, die einerseits ein hohes Drehmoment bei kleinen Drehzahlen bereitstellen. So lässt sich der Anfahrvorgang bewerkstelligen und es können auch ansteigende Strecken befahren werden. Andererseits sollen bei geringerer Belastung für die Fahrt mit konstanter Geschwindigkeit entsprechend höhere Drehzahlen zu erreichen sein. Als geeigneter Motortyp bot sich der Gleichstrom-Reihenschlussmotor [2], [3] an, der genau diese Forderungen erfüllt. Steuerung. Zur Steuerung der Motoren wurden geniale Schaltungsvarianten entwickelt, die durch wahlweise Reihen- und Parallelschaltung der Fahrmotoren die Variation der Spannung zur Drehzahlstellung [4] wirtschaftlich ermöglichte. Dies wurde mit Widerstandsstufen vorzugsweise für das Anfahren und das Bremsen ergänzt. Begrenzte Reichweite. Die relativ geringe Spannung des Fahrdrahtes begrenzt die Reichweite der Trassen. Der hohe Strom, der vor allem im elektrischen Vollbahnbetrieb zu erwarten ist, führt zu wirtschaftlich nicht vertretbaren Energieverlusten. Der Ausweg, die Strecken mit Einspeisungen in kurzen Abschnitten zu versehen, ist allenfalls im innerstädtischen Bereich und bei Industriebahnen zu vertreten. So gab es z. B. in den Braunkohlen-Tagebauen Bahnen für den Abraum- und Kohletransport, die mit Gleichstromlokomotiven arbeiteten. Für den Vollbahnbetrieb ergab sich bereits früh die Notwendigkeit, mit Wechselstromspeisung und einem Transformator auf dem Triebfahrzeug höhere Spannungen am Fahrdraht zu ermöglichen. 16 2/3 Hz am Fahrdraht Die Speisung des Fahrdrahtes mit Wechselspannung stieß beim Stand der Technik um das Jahr 1900 auf die Schwierigkeit, Wechselstrommotoren für den Bahnbetrieb zu bauen. Natürlich war bekannt, dass ein Motor, der nach dem Prinzip des Gleichstrom-Reihenschlussmotors gebaut aber entsprechend dimensioniert ist, auch mit Wechselspannung betrieben werden kann. Da in der Erregerwicklung der gleiche Strom wie in der Ankerwicklung fließt (Bild ), entsteht auch ein (pulsierendes) Drehmoment, das immer in die gleiche Richtung zeigt [5]. Bei einem Nebenschlussmotor würden sich Schwierigkeiten ergeben, da der Strom in der Erregerwicklung gegenüber dem Ankerstrom phasenverschoben wäre. Solche Reihenschlussmotoren werden heute im kleinen Leistungsbereich beispielsweise für Elektrowerkzeuge eingesetzt. Für den Antrieb von Lokomotiven kommen sie jedoch so nicht in Frage. Die Leistung einer Lokomotive beträgt weit über 100 kW. Selbst bei Aufteilung auf vier Fahrmotoren kann ein solcher Motor nicht sinnvoll gebaut werden. Der Grund ist hauptsächlich der induktive Widerstand der Erregerwicklung, der den Strom begrenzt und so im Anfahrbetrieb hinderlich ist, wenn ein großes Drehmoment erforderlich wird. Außerdem verursacht er erhebliche veränderliche Blindleistung, die die Fahrleitung zusätzlich belastet und so zu veränderlichem Spannungsfall und zusätzlicher Verlustleistung führen würde [5]. Sie ist auf dem Fahrzeug nur schwierig zu kompensieren. Ein Ausweg wird dadurch gefunden, dass die Frequenz herabgesetzt wird. Dadurch sinkt der induktive Widerstand, und die Probleme werden so entschärft. So begründet sich die Einführung der Frequenz 16 2/3 Hz, also 1/3 der üblichen Netzfrequenz. Motoren, die dafür gebaut werden, werden „Bahnmotoren“ genannt. In dieser Reihe [7 bis 10] wird der Frage nachgegangen, warum sich die Elektrotechnik gerade so entwickelt hat, wie wir sie heute kennen. Bei der Elektrifizierung der Eisenbahn in Deutschland wurde für die Fahrdrahtspannung eine andere Frequenz gewählt, als sie im öffentlichen Netz üblich ist. Der letzte Teil der Beitragsserie klärt, warum dieser Aufwand getrieben wurde. Elektrotechnik Technische Entwicklungen in der Elektrotechnik Teil 5: Spezielle Frequenz für die Eisenbahn F a c h w i s s e n L e r n f e l d e r 6 - 1 3 LERNEN KÖNNEN 6/09 Erregerwicklung Wechselstrom-Reihenschlussmotor Elektrotechnik F a c h w i s s e n L e r n f e l d e r 6 - 1 3 10 LERNEN KÖNNEN 6/09 Allerdings hat die herabgesetzte Frequenz auch einen Nachteil. Der Zweck der Speisung mit Wechselspannung besteht darin, höhere Fahrdrahtspannungen (üblicherweise im zweistelligen kV-Bereich) zu verwenden, die dann auf dem Triebfahrzeug durch einen Transformator auf die für den Motor geeignete Spannung (wenige 100 V) herabgesetzt werden kann. Genau bei dem Transformator liegt nun das Problem. Für Transformatoren ist eine Frequenz von etwa 50 Hz optimal. Bei niedrigerer Frequenz wird der Transformator erheblich größer. Diesen Nachteil musste man in Kauf nehmen. Er wurde auch nicht als so entscheidend angesehen, da die Lokomotive ohnehin ein bestimmtes „Dienstgewicht“ benötigt, um die erforderliche Reibung zwischen Rad und Schiene zu gewährleisten. Der Transformator übernahm insofern die Rolle des Kessels der Dampflokomotive. Bewertung der Entwicklung Heute verfügt man über leistungsfähige Bauelemente und Geräte der Leistungselektronik, die es ermöglichen, Motoren jeden Typs verlustarm zu steuern. Dabei ist es gleichgültig, ob primär Gleichspannung oder Wechselspannung benutzt wird. Damit muss der Fahrmotor nicht unbedingt ein Gleichstrom-Reihenschlussmotor oder ein Bahnmotor sein. Es kann der Motortyp gewählt werden, der für den Einsatz als Fahrmotor am geeignetsten ist. Bei modernen Triebfahrzeugen ergeben sich dabei vorzugsweise drei Varianten. 1. Es wird nach wie vor ein Gleichstrom-Reihenschlussmotor gewählt. Die Steuerung erfolgt allerdings mit einem leistungselektronischen Stellglied, einem so genannten Gleichstrom-Pulssteller (DC-Chopper). Diese Lösung wird gelegentlich bei der Modernisierung vorhandener Triebfahrzeuge gewählt. Eine solche Modernisierung ist meist nur dann wirtschaftlich, wenn die Fahrmotoren erhalten bleiben. 2. Als Fahrmotoren werden Asynchronmaschinen eingesetzt. Sie haben - wie auch Synchronmaschinen - den Vorteil, dass sie eine kleinere Baugröße aufweisen und durch den Wegfall des Kommutators besonders robust und wartungsarm sind. Die Motoren werden durch Wechselrichter [6] gesteuert. Diese Variante wird bei Neubauten bevorzugt. 3. Bei neueren Entwicklungen kommen permanenterregte Synchronmaschinen [2] zum Einsatz. Sie bieten gegenüber den Asynchronmaschinen Vorteile hinsichtlich der Verlustleistung und der Regelbarkeit. Diese Möglichkeiten können bei allen Triebfahrzeugen, also bei Straßenbahnen, S-Bahnen und U-Bahnen als auch bei Vollbahnen genutzt werden. Gegenüber der klassischen Methode der Steuerung mit Schaltungsvariation und Widerständen haben diese drei Varianten Vorteile. Die Energieeffizienz steigt durch den Wegfall der Anfahrwiderstände und die regelmäßig genutzte Möglichkeit, beim Bremsen die freiwerdende Energie in den Fahrdraht zurück zu speisen. Bei Widerstandssteuerung wurde diese Energie in Bremswiderständen (die mit den Anfahrwiderständen identisch sein können) in Wärme umgewandelt. Außerdem steigt der Fahrkomfort durch geringeren Ruck und Stoß. Mit welcher Spannungsart der Fahrdraht das Fahrzeug versorgt ist unter diesen Gesichtspunkten zweitrangig. Zur Speisung der leistungselektronischen Geräte wird Gleichspannung benötigt, gleich ob es sich um Pulssteller oder um Wechselrichter handelt. Diese Gleichspannung wird durch einen Gleichrichter an Bord erzeugt. Davon ausgehend könnte das Fahrleitungsnetz der Bahn auch mit Wechselspannung von 50 Hz gespeist werden. Jedoch sind die vorhandenen Anlagen so umfangreich, dass eine Änderung des Systems, die Auswirkungen auf nahezu alle Betriebsmittel hätte, Kosten verursachen würde, die durch Effekte nicht zu rechtfertigen wären. Insofern werden bei den Nahverkehrs-Fahrzeugen auch die Gleichstromsysteme beibehalten. Literatur [1] Schmidt, P. u. A.: Energieversorgung elektrischer Bahnen. Berlin: Verlag Technik 1975. [2] Mierke, W.: Synchronmaschine I und II. Elektropraktiker Berlin 58(2004) 5/6 Lernen und Können S. 10-11. [3] Fuest, K.: Elektrische Maschinen und Antriebe. Friedr. Vieweg & Sohn 1989. [4] Schönfeld, R.: Grundlagen der automatischen Steuerung. Leitfaden und Aufgaben aus der Elektrotechnik. Berlin: Verlag Technik 1984. [5] Habiger, E., Schönfeld, R., Stock, W., Zenkel, D.: Die Technik der elektrischen Antriebe. Berlin: Verlag Technik 1963. [6] Mierke, W.: Frequenzumrichtertechnik. Elektropraktiker Berlin 56(2002) 7, Lernen und Können S. 12-14. [7] Mierke, W.: Technische Entwicklungen in der Elektrotechnik; Teil 1: Gleichspannung und Wahl der Nennspannung. Elektropraktiker Berlin 63(2009)2, Lernen und Können S. 7-8. [8] Mierke, W.: Technische Entwicklungen in der Elektrotechnik; Teil 2: Statische Elektrizität und Wahl der Netzfrequenz. Elektropraktiker Berlin 63(2009)3, Lernen und Können S. 8-10. [9] Mierke, W.: Technische Entwicklungen in der Elektrotechnik; Teil 3: Dreiphasige Systeme. Elektropraktiker Berlin 63(2009)4, Lernen und Können S. 9-10. [10] Mierke, W.: Technische Entwicklungen in der Elektrotechnik; Teil 4: Blindleistung. Elektropraktiker Berlin 63(2009)5, Lernen und Können S. 9-10. W. Mierke
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- W. Mierke
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