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Schaltanlagen | Arbeits- und Gesundheitsschutz

Störlichtbögen - Schutz vor thermischen Gefahren

ep8/2008, 5 Seiten

Bei Arbeiten an elektrischen Anlagen bestehen grundsätzlich die Risiken einer Körperdurchströmung sowie eines Störlichtbogens. Das Unfallgeschehen belegt, dass Personen vor allem vor Verbrennungen infolge thermischer Lichtbogenwirkungen zu schützen sind. Das Tragen von PSA, getestet gemäß dafür genormter Prüfverfahren, kann diese Gefährdungen weitgehend eingrenzen.


Stand der Normung In der Normung beschränkte man sich hinsichtlich dieser elektrischen Risiken lange Zeit ausschließlich auf den Berührungsschutz. In Bezug auf den Lichtbogenschutz und die Anwendung von persönlichen Schutzausrüstungen (PSA) bestehen bei vielen Anwendern nicht zuletzt deshalb noch Informationsdefizite oder Unsicherheiten. Die Normung auf dem Gebiet des Personenschutzes vor Störlichtbögen bezieht sich gegenwärtig ausschließlich auf die thermischen Gefahren. Besonderes Augenmerk gilt dem so genannten Box-Test, der für die Prüfung und Zertifizierung von Schutztextilien und Schutzkleidung international genormt ist und sich auch im Hinblick auf andere PSA eignet. Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen Störlichtbögen besitzen gravierende direkte und indirekte Wirkungen, aus denen sich beträchtliche Risiken für Personen ergeben. Diese erhöhen sich noch deutlich, wenn beispielsweise bei Arbeiten die Anlagen geöffnet und direkte Expositionen möglich sind. Es sind Personenschäden zu erwarten, deren Umfang und Grad vor allem von der Leistung und Energie abhängen, die während der Fehlerdauer in den Lichtbögen umgesetzt werden [1]. Der Lichtbogenschutz ist seit einiger Zeit ein wesentlicher Aspekt der Planung und Konstruktion von Elektroenergieanlagen. In den vergangenen Jahren rückt berechtigterweise auch der Personenschutz immer stärker in den Fokus der Unternehmen und Anwender, die elektrotechnische Arbeiten in diesen Anlagen ausführen oder ausführen lassen. In der Normung widerspiegelt sich diese Entwicklung erst nach und nach. Gefährdungsbeurteilung Es ist die gesetzliche Pflicht jedes Arbeitgebers, für jeden Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen und Beschäftigte vor erkennbaren Gefahren zu schützen, ggf. durch geeignete PSA. Bei Arbeiten an oder in elektrischen Anlagen kann eine Gefährdung durch Störlichtbögen meist nicht ausgeschlossen werden. Das trifft insbesondere dann zu, wenn die allgemeinen technischen Schutzmaßnahmen wie Abdeckungen und Türen vorübergehend entfernt oder geöffnet werden. Dies ist bei Arbeiten unter Spannung (AuS) oder in der Nähe aktiver Teile der Fall. Maßnahmen des Personenschutzes Gefährdungen von Personen sind an erster Stelle durch technische Mittel wie Anlagengestaltung, Kurzschluss-Selektivschutz, spezielle Schutzeinrichtungen und organisatorisch-methodische Maßnahmen (Sicherheitsregeln, Anweisungen) zu vermeiden. Sind die Gefahren dadurch nicht vollständig auszuschließen, muss der Beschäftigte durch geeignete PSA vor den Auswirkungen dieser Gefahren geschützt werden. PSA decken damit ein verbleibendes, mehr oder weniger großes, Restrisiko ab (Bild ). Sie sind aber praktisch unverzichtbar, da bei elektrotechnischen Anlagen immer ein Gefahrenpotential durch Störlichtbögen existiert. Das gilt z. B. auch für Schaltanlagen, die nach den bestehenden Normen - EN 62271-200 bzw. VDE 0671 Teil 200 (Typprüfung Mittelspannungsanlagen) oder EN 60439-1 bzw. VDE 0660 Teil 500 Beiblatt 2 (Sonderprüfung Niederspannungsanlagen) - hinsichtlich Lichtbogenfestigkeit geprüft sind, und nachgewiesen ist, dass die Wirkungen von Störlichtbögen auf das Innere der Anlage begrenzt bleiben und damit Lichtbogenschutz für Personen bei geschlossener Anlage besteht. Zu den PSA gehören vor allem flammhemmende Arbeitsanzüge, Arbeitsschutzhandschuhe und -schutzhelme sowie Gesichtsschutzschalen. Als Mindestanforderung für elektrotechnische Arbeiten ist somit grundsätzlich das Tragen eines flammhemmenden Arbeitsanzuges zu sehen, wenn weitere Gefährdungen ausgeschlossen werden können. Anforderungen an PSA und deren Prüfung PSA müssen die Verletzungsgefahr für Personen bei technischen Fehlern und persönlichen Fehlhandlungen auf ein mögliches Minimum oder ein akzeptables Maß begrenzen. Physikalisch betrachtet, hat die PSA die Energien, die bei einem Lichtbogenfehler auftreten und auf Personen einwirken können - Einwirk- bzw. Durchgangsenergie - soweit zu reduzieren, dass physiologische bzw. pathologische Grenzwerte der Expositionsgrößen nicht überschritten werden. Hinsichtlich der thermischen Risiken durch Störlichtbögen muss die PSA in Analogie zum Hitzeschutz verhindern, dass Hautverbrennungen zweiten Grades auftreten können - so genanntes Stoll-Kriterium [2]. Praktisch bedeutet Personenschutz gegenüber Störlichtbögen, dass PSA entweder eine ausreichende Begrenzung der möglichen Einwirkenergien (Durchgangsenergien) garantieren muss oder dass die betreffenden Arbeiten prinzipiell ausgeschlossen werden müssen. Es ist deshalb notwendig, die Eignung von PSA nachzuweisen. Dazu sind in reproduzierbaren Prüfungen reale Lichtbogenbeanspruchungen nachzubilden. Hitzeschutz allein nicht ausreichend Der Nachweis des Hitzeschutzes, der Hitzebeständigkeit bei Flammeneinwirkung, ist im Hinblick auf die Beurteilung des Schutzes vor thermischen Lichtbogenrisiken nicht ausreichend. Bei Lichtbogeneinwirkung bestehen grundsätzlich andere Beanspruchungsverhältnisse. Es liegen sehr viel höhere Einwirkenergien vor. Auch ist die Art des Energieeintrags verschieden, der Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 8 687 Störlichtbögen - Schutz vor thermischen Gefahren Bei Arbeiten an elektrischen Anlagen bestehen grundsätzlich die Risiken einer Körperdurchströmung sowie eines Störlichtbogens. Das Unfallgeschehen belegt, dass Personen vor allem vor Verbrennungen infolge thermischer Lichtbogenwirkungen zu schützen sind. Das Tragen von PSA, getestet gemäß dafür genormter Prüfverfahren, kann diese Gefährdungen weitgehend eingrenzen. BETRIEBSFÜHRUNG Autor *) Priv.-Doz. Dr.-Ing. habil. Holger Schau, Technische Universität Ilmenau, Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik *) Der Autor leitet die internationalen Projektteams zur Betreuung der Normen IEC 61482-1-2 und IEC 61482-2; er ist Mitglied des DKE UK 214.3 „Arbeiten unter Spannung“ und der IEC-Tams zur Überarbeitung von IEC 60903 und IEC 61482-1-1. Personenschutz bei geschlossener Anlage bei geöffneter Anlage räumliche Begrenzung zeitliche Begrenzung Begrenzung Einwirkenergie Konstruktion Prüfung Schutzeinrichtungen persönliche Schutzausrüstungen Technische Maßnahmen zum Personenschutz vor Gefährdungen durch Störlichtbögen in sehr starkem Umfang in Form von Strahlung erfolgt. Es bestehen Einwirkungen durch heiße Metallspritzer und glühende Metallpartikel infolge von Elektrodenprozessen und andere Einflüsse.Die Nichtentflammbarkeit und thermische Beständigkeit der PSA und der Materialkomponenten ist ebenfalls eine wesentliche Anforderung des Lichtbogenschutzes. Darüber hinaus ist im Zusammenhang mit der Schutzwirkung vor allem der Wärmedurchgang von Bedeutung. Prüfziel: Lichtbogenbeständigkeit und Schutzwirkung PSA müssen eine ausreichende Lichtbogenfestigkeit sowie Lichtbogenschutzwirkung aufweisen. In der Prüfung muss der Nachweis geführt werden, dass · PSA oder deren Materialkomponenten thermische Beständigkeit gegenüber Lichtbögen besitzen und die Wirkungen von Störlichtbögen nicht verschlimmern · ein definiertes Schutzniveau erreicht wird: Verhindern von Hautverbrennungen 2. Grades durch Begrenzen der Einwirk-oder Durchgangsenergie. In Übereinstimmung mit der EU-Direktive für PSA 89/686/EEC sind diesbezüglich Mindestanforderungen sowie Schutzpegel zu definieren, die eine Klassifizierung der PSA erlauben. Die Schutzpegel müssen sich an: · den praktisch relevanten Netz-, Anlagen- und Expositionsbedingungen · der Realisierbarkeit durch die PSA im Zusammenhang mit der Trageakzeptanz orientieren. Prüfungen zur Zertifizierung von PSA erfordern neben der Reproduzierbarkeit auch eine statistische Sicherheit des Prüfergebnisses. Lichtbogenvorgänge sind stochastischer Natur und unterliegen starken Streuungen. Prüfmethodik und -bedingungen Diese müssen die praktischen Erfordernisse abdecken und ausgehend von den relevanten Netz-und Anlagenbedingungen sowie Expositionsszenarien ausgewählt und festgelegt sein. Da es diesbezüglich eine riesige Vielfalt und Bandbreite der Parameter gibt, haben Aufbau und Prüfparameter zumindest sicherzustellen, dass die Übertragbarkeit der Prüfergebnisse auf praktische Anwendungsfälle nicht grundsätzlich eingeschränkt ist. Es sind damit keine spezifischen Bedingungen abzubilden, sondern worst-case-Szenarios. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Probenanordnung und die Einwirkmechanismen. Nicht genormte Verfahren Zur Überprüfung des Verhaltens von PSA unter Lichtbogeneinwirkung werden in Deutschland seit Jahren eine Reihe nicht genormter Verfahren angewendet, z. B.: · der Arc-Man-Test · Test mit Hausanschlusskasten (RWE) · Prüfaufbau IPH usw. Es handelt sich dabei um verschiedene Prüfungen, mit deren Hilfe spezielle Bedingungen der Exposition, beispielsweise bei Energieversorgern, abgebildet werden. Man benutzt dafür unterschiedliche Einstellungen der Prüfkreisparameter und Anordnungen mit dem Ziel, spezifische Einsatzfälle, z. T. unter Extrembedingungen, nachzubilden. Es gibt bisher keine physikalischen Vergleichsbetrachtungen zu diesen Verfahren und deren Parametern; z. T. sind Aufbauten und Verfahren auch nicht vergleichbar. Daher sind sie nicht zur Zertifizierung geeignet und lassen keine Verallgemeinerungen zur Anwendbarkeit der getesteten PSA, die über die spezifischen Prüfbedingungen und -parameter hinausgehen, zu. Jedoch können sie ergänzende Aussagen zu speziellen Einsatzfragen der PSA liefern. In den Tests, in denen keine Ermittlung der Einwirk- oder Durchgangsenergie erfolgt, wird allerdings lediglich die Lichtbogenfestigkeit geprüft. Damit ist eine Bewertung der Schutzwirkung der PSA grundsätzlich nicht möglich, und eine wesentliche Forderung der EU-PSA-Direktive nicht erfüllt. Genormte Prüfverfahren Mit dem Box-Testverfahren nach IEC 61482-1-2 ist seit Januar 2007 (Bild ) ein genormtes und international harmonisiertes Prüfverfahren für Schutzkleidung verfügbar [3]. Damit existiert eine einheitliche Grundlage, Textilien und Schutzkleidung unter praxisrelevanten Bedingungen auf ihre Beständigkeit und Schutzwirkung gegenüber den thermischen Wirkungen eines Lichtbogens zu prüfen und zu bewerten. Mit der Prüfung wird insbesondere festgestellt, ob das getestete Material oder Kleidungsstück den Sicherheitsanforderungen einer definierten Schutzklasse entspricht. Der Box-Test ist als deutsche Norm DIN IEC 61482-1-2 (VDE 0682-306-1-2) ratifiziert und als EN 61482-1-2 auch im CENELEC-Bereich standardisiert. Diese Norm ergänzt den IEC-Standard 61482-1 um ein Prüfverfahren, das sich in Europa für die Prüfung von Textilmaterial und Schutzkleidung durchgesetzt und bewährt hat. Der bisherige Prüfstandard IEC 61482-1 beinhaltete ausschließlich ein Verfahren, das auf die Bestimmung einer Materialeigenschaft für flammhemmendes Material, den so genannten ATPV (arc thermal performance value), ausgerichtet ist (ATPV-Test). Diese Prüfung entstammt dem nordamerikanischen Standardwerk und wird vor allem in den USA und Kanada praktiziert. Die Norm wird gegenwärtig überarbeitet und zukünftig den Teil 1-1 des Standards bilden [4]. ATPV- und Box-Test Im Hinblick auf die thermischen Risiken durch Störlichtbögen gibt es zwei genormte und international harmonisierte Verfahren. Sie sind als Prüfnormen für Schutzkleidung ausgewiesen. Beide Prüfverfahren, der ATPV-Test sowie der Box-Test, können optional angewendet werden. Der ebenfalls in Vorbereitung befindliche Teil 2 des Standards IEC 61482-2 [5] wird neben allgemeinen textilen Eigenschaften Lichtbogenfestigkeit und -schutz als wesentliche Anforderungen an Schutzkleidung vorschreiben und eine der beiden Prüfungen zum Nachweis fordern. Die beiden Prüfverfahren unterscheiden sich prinzipiell - d. h. in Prüfaufbau, Parametern und Verfahrensweg sowie in der Zielrichtung. ATPV-Test nach IEC 61482-1-1 In den Prüfungen werden an einer offenen Lichtbogenanordnung Kennwerte für den Wärmedurchgang bestimmt. Der Prüfkreis erfordert eine Mittelspannungsquelle (z. B. 6 kV) und speist eine zweiphasige vertikale Anordnung von Stahlelektroden mit einem Abstand von 300 mm, zwischen denen ein Lichtbogen gezündet wird. Die Stahlelektroden bilden den Mittelpunkt der kreisförmigen Anordnung der Proben- und Sensorhalterungen. Drei vertikale Probenhalterungen, die im Umkreis der Lichtbogenelektroden in einem Winkelabstand von 120° angeordnet und mit Kalorimetern zur Messung der Durchgangsenergie bestückt sind (6 Kalorimeter), dienen der Aufnahme der Prüfexemplare. Der Abstand zur Lichtbogenachse beträgt ebenfalls 300 mm. Seitlich der Probenhalterungen - jeweils links und rechts - befinden sich Monitorsensoren (Kalorimeter) zur Messung der direkten Einwirkenergie [4]. Bei einer Prüfung werden mindestens 7 „Schüsse“ pro Variante durchgeführt. Es wird jeweils ein prospektiver Prüfstrom von 8 kA eingestellt. Die Prüfdauer Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 8 688 BETRIEBSFÜHRUNG Schutztextilien und Schutzkleidung IEC 61482 Teil 1 Prüfverfahren Teil 1-1 ATPV-Test Teil 1-2 Box-Test Teil 2 Anforderungen ATPV, EBT50 ATPV oder EBT50 4cal/cm2 oder Klasse 1 Klasse 1 oder Klasse 2 Norm IEC 61482 für Schutzkleidung gegen thermische Gefahren von Lichtbögen wird von Schuss zu Schuss geändert, bis die gemessene Durchgangsenergie dem Grenzwert für das Einsetzen von Hautverbrennungen zweiten Grades (Stoll-Kriterium) entspricht. Es erfolgt eine statistische Auswertung mit „logistischer Regression“ zur Ermittlung der 50%igen Wahrscheinlichkeit für die thermischen Kenngrößen. Damit sind für eine Prüfung mindestens 21 Exemplare einer PSA erforderlich. In der Prüfung werden der ATPV (arc thermal performance value) bzw. der Kennwert der so genannten Aufbrechgrenze EBt sowie der HAF (heat attenuation factor) bestimmt. ATPV. Der ATPV gibt als Materialkennwert die Einwirkenergie an, die bei Verwendung der PSA mit 50%iger Wahrscheinlichkeit zu Hautverbrennungen zweiten Grades führt, ohne dass ein Aufbrechen vorliegt. EBt50. Der Kennwert EBt50 ist dagegen die Einwirkenergie, die mit 50%iger Wahrscheinlichkeit ein Aufbrechen (Zerstörung) des Materials bewirkt. Dieser Kennwert findet in der Charakterisierung Anwendung, wenn infolge Lochbildung ein ATPV-Wert nicht bestimmbar ist. HAF. Der HAF kennzeichnet die Schutzwirkung, indem der prozentuale Anteil der Einwirkenergie bestimmt wird, der bei einem Einwirkenergieniveau, das dem ATPV entspricht, durch die PSA abgehalten wird. Die statistische Auswertung führt zu Kennwerten, die eine Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Hautverbrennungen 2. Grades von 50 % beinhalten. Das ist nach EU-PSA-Richtlinie 89/686/ EEC nicht erlaubt. Das ATPV-Verfahren kann somit in Europa nicht zur Zertifizierung von PSA angewendet werden. Der ermittelte Materialkennwert ATPV ermöglicht den Vergleich unterschiedlicher Materialien untereinander. Anhand von Referenzwerten (Mindest-ATPV-Werte), die in nordamerikanischen Vorschriften und Empfehlungen für eine große Anzahl von Tätigkeiten und Anlagenarten vorgegeben werden (Gefährdungsbeurteilung), kann die Eignung der PSA festgestellt werden. Diese Verfahrensweise ist in Europa nicht üblich und nicht untersetzt. Der Box-Test nach IEC 61482-1-2 ist daher auf Praxisbelange und -bedingungen in Europa zugeschnitten. Nur dieses Verfahren ist bezüglich Zertifizierung von PSA zum Schutz vor Störlichtbögen relevant. Box-Test nach IEC 61482-1-2 Das Verfahren beinhaltet die Prüfung von Materialien und Kleidung zur Feststellung der Schutzklasse. Es sind zwei Schutzklassen definiert, die sich in der Größe der Lichtbogenenergie und der Einwirkenergie unterscheiden (Tafel ). Prüfaufbau des Box-Tests Die Prüfbedingungen werden durch die Höhe des prospektiven Prüfstromes (4 kA oder 7 kA) eingestellt. Der Lichtbogen wird in einem 400-V-AC-Prüfkreis gezündet und brennt senkrecht über eine Zeitdauer von 500 ms zwischen zwei Elektroden, die von einer Box umgeben sind (Tafel ). Der Elektrodenabstand beträgt 30 mm. Die untere Elektrode besteht aus Kupfer, die obere aus Aluminium. Die Elektroden sind von einer Prüfbox umgeben, die den Elektrodenraum durch ihre parabolische Querschnittsform dreiseitig umschließt und nur eine Öffnung in Richtung der Probenanordnung bietet. Die Box besteht aus Gips und ist nach oben und unten durch mit Gips ausgekleidete Isolierstoffplatten abgeschlossen (Bild und ). Die Probenhalterung ist mit zwei Kalorimetern zur Messung der Durchgangsenergie ausgestattet und in einem Abstand von 300 mm zur Lichtbogenachse auf der geöffneten Boxseite angeordnet. Für die Lichtbogenwirkung ergibt sich eine Richtcharakteristik: die Lichtbogenwirkungen werden in Richtung der Probenhalterung und Messstelle fokussiert. Die Einwirkenergie auf die Probe ist etwa dreimal so hoch wie bei einem offenen Lichtbogen ohne Box. Prüfverfahren In den Prüfungen werden Lichtbogenenergie, Einwirkenergie (Test ohne Probe) und Durchgangsenergie (Tests mit Probe) (Bild ) gemessen. Diese Größen dienen einerseits zur Überprüfung der Einhaltung der Prüfbedingungen und charakterisieren andererseits die Expositionsbedingungen, unter denen die Prüfstücke Lichtbogenschutz bieten. Eine Materialprüfung umfasst eine Serie von jeweils 4 Lichtbogentests. Komplette Anzüge werden mit Zubehör (z. B. Nähte, Taschen, Verschlüsse) im Hinblick auf den Einfluss dieser Accessoires geprüft (Bild ). Mit der Messung des Wärmedurchgangs (Messung der Durchgangenergie auf der Probenrückseite) wird in der Materialprüfung eingeschätzt, ob bei der Einwirkenergie der betreffenden Schutzklasse Hautverbrennungen zweiten Grades verhindert werden. Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 8 689 BETRIEBSFÜHRUNG Prinzipieller Box-Test-Aufbau -5 0 5 10 15 20 25 s 35 Zeit Temperaturanstieg Stoll-Kriterium Kalorimetermesswerte Durchgangsenergie Textilprobe mit negativem Testergebnis: Aufbrechen (Lochbildung) und Übersteigen der Stoll-Grenzwerte Quellen: TU Ilmenau Prüfaufbau zum Kleidungs-Box-Test mit Prüfpuppe Tafel Prüfbedingungen für den Box-Test Schutz- Einwirk- Lichtbogen- Proben- Lichtbogen- Prüfklasse energie energie abstand zeit strom 1 423 kJ/m2 318 kJ 300 mm 500 ms 4 kA 2 135 kJ/m2 158 kJ 300 mm 500 ms 7 kA Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 8 690 BETRIEBSFÜHRUNG Außerdem erfolgt eine visuelle Beurteilung der Prüfmuster anhand der Kriterien Nachbrennen, Durchschmelzen, Lochbildung, Versprödung und Schrumpfen (Bild ). Die Grundphilosophie der Prüfung besteht darin, zunächst die Beständigkeit und Schutzwirkung des Materials oder der Materialen einer Kleidung unter definierten und reproduzierbaren Bedingungen nachzuweisen und anschließend die Kleidung hinsichtlich ihres Gesamtverhaltens und des Funktionserhalts von Bestandteilen und Ausstattungselementen zu beurteilen. Prüfbedingungen Aufbau und Parameter des Prüfverfahrens repräsentieren typische Verhältnisse des Niederspannungsbereichs - Anlagen bis 1 kV. Durch den Prüfaufbau werden Expositionsszenarien abgebildet, wie sie in realen Niederspannungssystemen (z. B. Hausanschlusskästen, Kabelverteilerschränken, Unterstationen) bestehen, wenn der elektrische Lichtbogen (Plasma- und Gaswolke) frontal auf eine Person gerichtet ist („worst case“). Die thermischen Effekte eines Lichtbogens, die aus Strahlung und Konvektion resultieren, werden durch den Boxaufbau auch im Zusammenhang mit den ggf. verstärkenden Wirkungen von Seiten- und Rückwänden einer Anlage berücksichtigt. Zusätzlich finden die thermischen Wirkungen von Metallspritzern und Metalldampf, die unter praktischen Bedingungen die Störlichtbogenvorgänge begleiten, Beachtung. Weiterentwickeltes Prüfverfahren Das Verfahren stellt die Weiterentwicklung der Prüfungen dar, die in CLC TS 50354:2001 (zuvor: ENV 50354) festgelegt waren. Die ausschließlich visuelle Einschätzung eines Prüfexemplars wurde um die beschriebene Wärmeflussmessung erweitert. Durch Vergleich zwischen Wärmeflusswerten ohne und mit Probenwirkung (direkte Einwirkenergie und Durchgangsenergie) wird darüber hinaus die Materialwirkung quantifiziert. Die elektrischen und thermischen Kennwerte der Prüfanordnung besitzen aufgrund der stochastischen Brenn- und Transmissionsverhältnisse der Lichtbögen deutliche Streubereiche. Anhand statistisch gesicherter Langzeit-Mittelwerte für diese Kenngrößen wird eine Qualitätssicherung der Prüfungen realisiert. Die Testerfahrungen belegen, dass die Prüfungen sehr praxisnah sind und eine hohe Reproduzierbarkeit besitzen. Das Verfahren liefert eine einheitliche Prüf- und Bewertungsbasis für Schutzkleidung. Mit der Wärmeflussmessung ist die Schutzwirkung eines Textils gegen Verbrennungen 2. Grades der Haut eindeutig bestimmbar. Die Auswahl einer geeigneten Schutzkleidung für die Anwender kann somit auf Prüfergebnisse eines Lichtbogentests gestützt werden. Die erforderliche Schutzklasse ergibt sich aus der Gefährdungsbeurteilung anhand der zu erwartenden Einwirkenergien. Schutzklasse 1. Die Schutzklasse 1 stellt die Mindestanforderung des Lichtbogenschutzes dar und wird im allgemeinen durch Kleidung aus schwer entflammbarem Material mit Flächengewichten ab ca. 250-280 g/m2 erreicht. Schutzklasse 2. Für Schutzklasse 2 ist ein Flächengewicht von ca. 560 g/m2 erforderlich, was in der Regel mit mehrlagigen Kleidungen realisiert wird. Hand-, Gesichts- und Kopfschutz Bisher keine genormten Prüfverfahren Im Gegensatz zu Flammen hemmender Kleidung existieren für Schutzhandschuhe und andere PSA (Kopf- und Gesichtsschutz) in den internationalen Normen bisher weder konkrete Anforderungen an den Lichtbogenschutz noch Prüf- und Bewertungsverfahren. Die zur Zeit stattfindende Revision des internationalen Standards für isolierende Schutzhandschuhe IEC 60903, die im Rahmen der üblichen Überarbeitungszyklen erfolgt, befasst sich deshalb auch mit der wichtigen Forderung des Lichtbogenschutzes. Dabei wird diskutiert, die Anforderungen an isolierende Schutzhandschuhe um den Aspekt der Festigkeit und des Schutzes gegen thermische Wirkungen elektrischer Lichtbögen (electrical arc thermal resistance and protection) zu erweitern. Es gibt Vorschläge, zum Nachweis dieser Anforderung ebenfalls optional den ATPV-Test nach IEC 61482-1-1 sowie den Box-Test nach IEC 61482-1-2 in jeweils adaptierter Form vorzusehen. Damit wird eine harmonisierte Grundlage für die Prüfung und Bewertung von isolierenden Schutzhandschuhen auch im Hinblick auf den Schutz vor den thermischen Risiken durch Störlichtbögen entstehen. In der Überarbeitung der amerikanischen Norm ASTM D120 wird ein zum ATPV-Test analoges Prüfverfahren für Handschuhe entwickelt und verankert werden. Das Box-Test-Verfahren ist grundsätzlich ebenfalls für praxisrelevante Prüfungen an Handschuhen geeignet (Bild ). Für die Prüfung von Materialkomponenten, die für die Fertigung von Handschuhen vorgesehen sind (z. B. bei Lederhandschuhen), ist der Box-Test in gleicher Weise wie für Textilien anwendbar: Sie können als Flächengebilde an der Prüfplatte des Material-Box-Tests geprüft werden. Unter Verwendung spezifischer Handschuhhalterungen sind die kompletten Handschuhe prüfbar (Bild ). Neben den Lichtbogenklassen 1 und 2 (analog Kleidungsprüfung) erscheint für Handschuhe eine Klasse 3 mit höherer Einwirkenergie (760 kJ/m2) gerechtfertigt zu sein. Diese ergibt sich bei verkürztem Abstand der Proben zum Lichtbogen (150 mm gegenüber 300 mm) bei einer Lichtbogenenergie, die der Klasse 1 entspricht (158 kJ). Auch hinsichtlich des Kopf- und Gesichtsschutzes ist eine Prüfung mittels Box-Test mit einer Kopfnachbildung oder einem Testkopf geeignet, der die Proben aufnimmt. Zur Prüfung von Visieren wird die Probe (Kombination Helm/Visier) so angeordnet, dass die Visiermitte auf die horizontale und ver- Schutzjacke nach Test: der mehrlagige Aufbau verhindert durchgängige Lochbildung und ggf. das Überschreiten des Stoll-Grenzwertes a Box-Test-Anordnung zur Visierprüfung Fotos: TU Ilmenau b Helm-Visier-Kombination nach Klasse-2-Test Beispiel einer bestandenen Lichtbogen-Klasse-2-Prüfung eines Latexhandschuhs Probenhalterungen für den Box-Test an Schutzhandschuhen mit Kalorimetern BETRIEBSFÜHRUNG tikale Lichtbogenachse zentriert ist. Es wird die Durchgangsenergie mittels Kalorimeter gemessen, das sich hinter dem Visier im Zentrum der Vorderfläche der Kopfnachbildung befindet - ebenfalls zentriert auf die Lichtbogenachsen, Abstand zur vertikalen Lichtbogenachse 300 mm - um die Gefahr für Hautverbrennungen im Gesichtsbereich (Mund/Nase) zu bewerten (Bilder a und b). Denkbar ist auch ein Prüfkopf, der mit mehreren Kalorimetern ausgerüstet ist (Mund/Nase, Augen, Kinnbereich). Die Zentrierung des Visiers auf die horizontale Lichtbogenachse bewirkt, dass die Lichtbogenauswirkungen gerichtet auf das Visier erfolgen. Für die Prüfung des Helmes ist eine Variation der Proben-bzw. Prüfkopfanordnungshöhe erforderlich, ebenso zur Beurteilung des Einwirkens der Plasma-und Gaswolke unter das Visier. Hierzu sind allerdings noch gezielte Untersuchungen erforderlich, um begründete Festlegungen treffen zu können. In der Überarbeitung der Norm EN 166 zum Gesichtsschutz gibt es gegenwärtig Fachdiskussionen, derartige Prüfungen zum Nachweis von Anforderungen des thermischen Lichtbogenschutzes vorzusehen. Zusammenfassung Störlichtbögen stellen ein potentielles Risiko für Personen dar. Die Lichtbogenwirkungen werden durch die Lichtbogenenergie bestimmt, die im Fehlerfall umgesetzt wird. Die Einwirkenergie ist die Größe, auf deren Grundlage die Gefährdungsbeurteilung erfolgen muss. Bei Gefahr direkter Exposition macht sich der Einsatz persönlicher Schutzausrüstungen erforderlich, um die Personengefährdungen zu reduzieren. Im Zusammenhang mit Arbeiten an, in oder in der Nähe elektrischer Anlagen kommt den thermischen oder kalorimetrischen Wirkungen von Störlichtbögen und deren Beherrschung durch PSA eine besondere Bedeutung für den Personenschutz zu. In den international harmonisierten Normen gibt es Festlegungen zu Lichtbogenprüfungen an Schutzkleidung und zukünftig auch zu den Anforderungen an die Schutzkleidung gegen die thermischen Gefahren durch Lichtbögen. Der in IEC 61482-1-2 verankerte Box-Test mit Wärmeflussmessung ist praxisorientiert und gut reproduzierbar. Er hat sich zudem praktisch bewährt. Auch für andere persönliche Schutzausrüstungen wie Schutzhandschuhe, Gesichtsschutzschirme und Schutzhelme ist der Nachweis der Schutzwirkung durch Prüfung mit Wärmedurchgangsmessung notwendig. Aufbau und Verfahren des Box-Tests können die Grundlage auch für diesbezügliche Prüfungen bilden. Literatur [1] Schau, H.; Haase, J.: Wirkungen von Störlichtbögen bei Fehlern in Niederspannungsanlagen. VDE-Fachtagung „Arbeiten unter Spannung“, 9./10. Okt. 2003, Dresden, Tagungsband S. 67-79. [2] Stoll, A. M.; Chianta, M. A.: Method and rating system for evaluation of thermal protection, Aerospace Medicine Band 40 (1969) 11, S. 1232-1238. [3] IEC 61482-1-2: 2007-01: Live working - Protective clothing against the thermal hazards of an electric arc, Part 1: Test methods - Method 2: Determination of arc protection class of material and clothing by using a constrained and directed arc (box test) [Arbeiten unter Spannung - Schutzkleidung gegen die thermischen Gefahren eines elektrischen Lichtbogens - Teil 1: Prüfverfahren - Verfahren 2: Bestimmung der Lichtbogen-Schutzklasse des Materials und der Kleidung unter Verwendung eines gerichteten Prüflichtbogens (Box-Test), identisch mit EN 61482-1-2 und DIN IEC 61482-1-2 (VDE 0682-306-1-2)] [4] IEC 61482-1-1 (in Vorbereitung): Live working - Protective clothing against the thermal hazards of an electric arc, Part 1: Test methods - Method 1: Determination of the arc rating (ATPV or EBT) of flame resistant materials for clothing. IEC-Projekt 78/710/CDV, 2008. [5] IEC 61482-2 (in Vorbereitung): Live working - Protective clothing against the thermal hazards of an electric arc. Part 2: Requirements, IEC-Projekt 78/706/CDV, 2008. GMC-I Gossen-Metrawatt Gmb H Thomas-Mann-Str. 16-20 90471 Nürnberg Germany Fon: +49 911 8602-111 Fax: +49 911 8602-777 www.gossenmetrawatt.com info@gossenmetrawatt.com Prüfungs-Profis. Die neuen Messgeräte der PROFITEST Master-Serie bieten Ihnen entscheidende Pluspunkte bei der Prüfung von Schutzmaßnahmen in elektrischen Anlagen. In der täglichen Praxis überzeugen sie durch vielseitige Leistung, maximale Präzision und absolute Zuverlässigkeit. Und durch innovative Ergonomie - beispielsweise das besonders große, schwenkbare Display. PREMIERE!

Autor
  • H. Schau
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