Sicherheitstechnik
|
Betriebsführung
Sicherheitstechnische Praxis und Auswirkungen - Teil 6: Sachverständige beeinflussen Gerichtsverhandlungen
ep5/2010, 2 Seiten
Ausgangsbasis Auftrag. Es sollte eine Video- Überwachungsanlage für ein unübersichtliches Firmengelände neu installiert werden. Dazu ließ sich der Auftraggeber, ein deutscher markengebundener Autohändler, von mehreren Anbietern beraten und Angebote ausarbeiten. Abgrenzung. Da für die Überwachung entlang der Außengrenze des Grundstücks eine Videosensorik notwendig war, ergaben sich entsprechend hohe Angebotssummen. Der Auftraggeber erweckte daraufhin den Anschein, dass der Preis des in die engere Wahl gekommenen Errichters zu hoch sei und wollte auf die Videosensorik verzichten. Er wurde korrekt darüber beraten, dass der von ihm gewünschte Einsatz der Bewegungserkennung, die in den angebotenen Multiplexern bereits integriert war, für den Außenbereich ungeeignet sei und zu häufigen Fehlalarmen führen werde. Ferner erfolgte die Vorführung einer bestehenden Anlage mit Sensorik. Trotzdem hatte der Auftraggeber den Auftrag lediglich unter Einsatz der Bewegungserkennung erteilt. Des Weiteren wurde der Markenhändler darauf hingewiesen, dass die vorhandene Außenbeleuchtung nicht ausreiche und angepasst werden müsse. Dieses erfolgte schriftlich. Bis hierher war alles, was den Errichter betraf, korrekt abgelaufen. Falsche Erwartungshaltung. Nach der Fertigstellung des Gesamtsystems wollte der Auftraggeber nichts mehr von den Hinweisen des Errichters wissen und präsentierte seine eigenen Vorstellungen. Die nun geäußerten Vorgaben hatte der Auftraggeber aber nachgeschoben, denn sie waren von ihm vorher nicht schriftlich festgehalten worden. Offensichtlich war es sein Ansinnen, dass der Errichter - und zwar ohne zusätzliche Vergütung - einen teuren Videosensor einbaue und die Beleuchtung anpasse. Rechtsstreit Da der Kunde die Leistungen - trotz der von ihm selber unterschriebenen mängelfreien Abnahme - nicht bezahlen wollte, kam es zum Rechtsstreit. Mangels eigener Fachkenntnisse beauftragte das Gericht einen speziell für den Videobereich zugelassenen vereidigten Sachverständigen. Über die erbrachten Leistungen erstellte dieser zwei Gutachten. Das Erste basierte ausschließlich auf die Sichtung der zur Verfügung gestellten Unterlagen. Beim zweiten Gutachten kam es nach der „Besichtigung“ des Objektes inhaltlich zu einer Kehrtwende um 180°. Mängel in den Gutachten Um die Qualität der Gutachten beurteilen zu können, mit denen hier Gerichte in ihrer Urteilsfindung unterstützt werden sollten, werden nur die gravierendsten Fehleinschätzungen und Falschaussagen wiedergegeben und kommentiert: Angaben zur Beleuchtung. Im ersten Gutachten hieß es: „Somit ist festzustellen, dass die Mängelsituation in der Niederlassung ... nur durch eine entsprechende Beleuchtung zu überwinden ist.“ Im zweiten Gutachten dagegen hieß es dann: „Im vorliegenden Gutachten ist nach erfolgter Ortsbesichtigung festzustellen, dass die vorliegenden Probleme im Wesentlichen nun doch durch Fehler bei den Einzelkomponenten verursacht sind“. Und zwei Seiten weiter: „Somit ist festzustellen, dass die Fehlfunktionen nur durch folgende Maßnahmen zu überwinden sind: ... Überarbeitung des bisherigen Beleuchtungskonzeptes.“ Der Gutachter erwähnte nicht die · Verantwortlichkeiten: Die Beleuchtungssituation war ausschließlich vom Kunden geschaffen, zu verändern und zu verantworten. Die Notwendigkeit einer bauseitigen Anpassung der Beleuchtung an die Videotechnik wurde ja vom Kunden schriftlich bestätigt. · beschreibende Situation: Das Gelände war mit einer Vielzahl unterschiedlichster Leuchten ausgestattet, wodurch extrem unterschiedliche Einflüsse auf die Kameras und damit auf die Videobilder einwirkten. Einige Leuchten waren nur punktuelle Strahler (Bild ). · mangelhafte Wartung: Einige Leuchten waren nicht in Betrieb. Bei einigen Leuchten war anhand der Leuchtmittelfärbung der seit langer Zeit überfällige Leuchtmittelwechsel erkennbar. Mehrere Leuchten hatten schon längere Zeit kein Reinigungsmittel gesehen, so dass sich die Lichtfarbe aufgrund des Moosansatzes bereits deutlich ins grünliche verschob (Bild ). · fehlenden Messungen: Es wurde nicht eine einzige Beleuchtungsmessung durchgeführt, um die Beleuchtungssituation fachgerecht bewerten zu können. Angaben zur Kameratechnik. In keinem der beiden Gutachten konnte der Sachverständige die korrekte Anzahl der tatsächlich vorhandenen Kameras angeben. Mal wurde „mehr als 20“ geschrieben, dann waren es „22 Stück“, wogegen die tatsächliche Anzahl 24 hätte lauten müssen. Unerwähnt blieb auch, dass der Gutachter bei der Besichtigung der Anlage nicht ein Kameragehäuse öffnete, um feststellen zu können, welche Kameras tatsächlich montiert wurden. Hier reichte ihm die Vorlage von Leistungsverzeichnis und Materiallisten, denn: „Es wird im Gutachten davon ausgegangen, dass die Komponenten gemäß Angebot Fa. ... vom ... auch geliefert und installiert wurden.“ Die Ungenauigkeit der Angaben in den Gutachten zeigten sich auch durch: „Die 22 1/2“ Kameras CD-9752 (Hersteller wurde kurzfristig nicht ermittelt, was aber Elektropraktiker, Berlin 64 (2010) 5 408 BETRIEBSFÜHRUNG Sicherheitstechnische Praxis und Auswirkungen Teil 6: Sachverständige beeinflussen Gerichtsverhandlungen A. Kraheck, Troisdorf In einer losen Beitragsfolge [1-5] werden authentische Praxisbeispiele gezeigt. In [5] ging es um die Auswirkungen fehlerhafter Gutachten, wenn darin staatlich anerkannte Sachverständige die Mängelfreiheit von Leistungen bescheinigen. In diesem Beitrag geht es umgekehrt darum, wie man sich davor schützen bzw. dagegen wehren kann, wenn mängelfreie Leistungen durch fehlerhafte Gutachten vor Gericht zu mangelhaften Leistungen deklariert werden. MEISTERWISSEN Autor Adolf Kraheck, Troisdorf, ist freier Fachautor auf dem Gebiet unabhängiger sicherheitstechnischer Beratung und Planung. Schwierige Beleuchtungssituation für eine Videoüberwachungsanlage Offensichtliche Verschmutzung der Leuchten wegen der vorliegenden Spezifikationen nicht wichtig ist) sind ..." Die Kameras wurden somit ausschließlich aufgrund von Produktunterlagen bewertet, obwohl vom ersten Beweisbeschluss des Gerichtes und der Erstellung des ersten Gutachtens immerhin fünf Monate vergingen (beim zweiten Gutachten waren es über sieben Monate). Angaben zur Zentrale. Im zweiten Gutachten hieß es: „Die Zentrale ist im Eingangsbereich des Verwaltungsgebäudes beim Pförtner untergebracht. Sichtbar waren dabei nur die zwei Überwachungsmonitore und ein Bedienteil.“ Beim Pförtner wurde nur der Überwachungsplatz eingerichtet. Die Zentrale der Video-Überwachungsanlage war dagegen in einem abgesetzten anderen Gebäude untergebracht. Die eigentliche Zentralentechnik hatte der Gutachter nie gesehen, wodurch er das Zusammenspiel aller Komponenten dann auch völlig falsch beschrieb. Angaben zu Sichtgeräten. Im zweiten Gutachten hieß es: „Die Monitore sind relativ klein (12“) und zusätzlich von schlechter Qualität hinsichtlich der Kontrastwirkung." Es fehlte die Bewertung der Monitorgröße hinsichtlich der Einhaltung der Vorschriften über Bildschirmarbeitsplätze. Größere Monitore waren aufgrund des vom Kunden vorgegebenen Arbeitsplatzes nicht möglich, da der erforderliche Mindestbetrachtungsabstand nicht einzuhalten war. Der Gutachter bemängelte die Qualität der (Röhren-)Monitore, verschwieg aber gleichzeitig, dass diese bereits seit über einem Jahr im Dauerbetrieb genutzt wurden, was insbesondere an den deutlichen Einbrennspuren auf den Bildröhren zu erkennen war. Begrifflichkeiten. In beiden Gutachten war der Sachverständige nicht in der Lage, die Funktionsprinzipien „Aktivitätenerkennung“, „analoger Videosensor“ und „digitaler Videosensor“ auseinander zu halten. Dabei stand bereits in der ausführlichen Angebotsbeschreibung des Errichters, dass die eingesetzten Multiplexer nur eine Aktivitätenerkennung haben; also gleichzusetzen mit einem vereinfachten analogen Videosensor, der zudem für Außenanwendung nicht geeignet ist. Formfehler. Der Sachverständige ging so weit, in einem Gutachten zu behaupten, die Video-Überwachungsanlage sei mit Mängeln abgenommen worden, obwohl allen Beteiligten das Abnahmeprotokoll vorlag, in dem der Kunde die Mängelfreiheit bescheinigte. In [5] wurde bereits im Zusammenhang mit der Beauftragung eines Gutachters festgestellt, dass es entsprechende Grundregeln gibt, an die sich ein Sachverständiger zu halten hat. Der hier tätige Gutachter hatte allgemeine Grundsätze außer acht gelassen, indem er nicht die Begriffe Auftraggeber/Auftragnehmer oder Kunde/Errichter verwendete, sondern bei jeder Gelegenheit das Autohaus als solches inkl. der betreffenden Automobilmarke nannte, während die zweite Partei - wenn überhaupt - lediglich der Errichter war. Beide Gutachten bestanden zum überwiegenden Teil aus Mutmaßungen und Spekulationen. Streitpunkt Beleuchtung Die notwendige Beleuchtung für eine Videoüberwachung ist immer wieder ein Diskussionspunkt. Hier bietet sich die Möglichkeit, auf berufsgenossenschaftliche Regelwerke zu verweisen, nach denen - auch bei einem Autohaus - die Innen- und Außenbereiche mit einer Mindestbeleuchtung auszuleuchten sind. Somit ist der Auftraggeber für die Bereitstellung dieser Mindestbeleuchtung zuständig und verantwortlich. Im vorliegenden Fall ergaben die Messungen und die in Augenschein genommenen Lampenabdeckungen (mit ihrem grünen Schein) sowie die vielen ausgefallenen Leuchtmittel, dass der Auftraggeber bereits seit einiger Zeit seinen Verpflichtungen nicht nachkam. Während die Mindestbeleuchtungsstärke von 5 Lux hätte vorherrschen müssen, war nicht einmal 1 Lux messbar. Mit der heutigen Kameratechnik ist es durchaus möglich, mit der vorgegebenen Mindestbeleuchtung auszukommen. Der Auftraggeber kann jedoch nicht seine Beleuchtung auf Kosten des Errichters der Videoüberwachungsanlage sanieren lassen, es sei denn, diese Leistung wird korrekt vergütet. Befähigung des Gutachters Ein Blick auf die Internetseite des Sachverständigen ließ keine Beziehung zur Video-Überwachungstechnik erkennen - allenfalls zur Videotechnik im Zusammenhang mit Fernsehstudios, Schnittplätzen, Präsentationen usw. Die Seiten füllenden Referenzlisten zeigten ausschließlich Projekte aus dem Bereich ELA und Studiotechnik. Es fand sich keins aus dem hervor ging, dass es sich um ein Projekt mit sicherheitstechnischen Anlagen handelte. Ein weiteres Indiz mangelnder Fachkompetenz war der Sachverständigenstempel. In diesem stand „Sachverständiger für Elektroakustik, insbesondere Beschallungs-, Mischpult-, Video-und Alarmanlagen“, wonach Video- und Alarmanlagen Spezialgebiete der Elektroakustik zu sein scheinen. Dies wird auch im Gutachten deutlich: „Der Verfasser des Gutachtens ist hauptsächlich im akustischen Bereich tätig, so dass ihm ein Vergleich erlaubt sei ...“ Systematischer Betrugsversuch? Dank Internet sind geeignete Informationen zur Verbesserung eigener Rechtspositionen zu finden. Manche Informationen finden sich dort allerdings nicht. Durch Recherchen nach dem Abschluss des Verfahrens hat sich folgender Sachverhalt gezeigt. Ein weiterer Autohandel (des gleichen Markenherstellers) hat in einem nur wenige Kilometer entfernten Ort die gleiche Masche mit einem anderen Facherrichter abgezogen. Auch hier wurde versucht, im Nachhinein mittels eines Rechtsstreites eine hochwertige Video-Überwachungsanlage zum Preis der beauftragten einfacheren Anlage zu erhalten. Randnotiz. Da die zuständige IHK diesem Fall mit Uneinsichtigkeit gegenüberstand, wird der besagte Gutachter noch heute u. a. von einem Verband aus der Sicherheitsbranche gelistet. Zusammenfassung Ein Errichter, der sich gegenüber seinem Kunden im Recht fühlt und dies auch ist, kann durch ein Gerichtsverfahren selber quasi zum „schwarzen Schaf“ gestempelt werden. Es soll nicht verallgemeinernd gesagt werden, dass derjenige, der sich auf ein Gutachten verlässt, generell verlassen ist. Gutachten sollten aber immer mit der entsprechenden Vorsicht und Zurückhaltung betrachtet werden. Insbesondere ist dabei immer zu überprüfen, ob sie nicht mit Mängeln behaftet sind, die zumindest nach menschlichem Ermessen bzw. entsprechend dem eigenen Bildungsstand auch für einen Laien zu erkennen sind. In Zweifelsfällen sollte fachkundiger Rat eingeholt werden, bevor es vor Gericht eine Bruchlandung gibt. Dabei reicht oft die Unterstützung eines Außenstehenden, der die Probleme von einer neutralen, dritten Seite betrachten kann. Literatur [1] Kraheck, A.: Meisterwissen: Sicherheitstechnische Praxis und Auswirkungen; Teil 1: Probleme mit der Brandmeldung. Elektropraktiker Berlin 63 (2009) 12, S. 952-954. [2] Kraheck, A.: Meisterwissen: Sicherheitstechnische Praxis und Auswirkungen; Teil 2: Unnötige Gefahrquellen im Hotelzimmer. Elektropraktiker Berlin 64 (2010) 1, S. 37. [3] Kraheck, A.: Meisterwissen: Sicherheitstechnische Praxis und Auswirkungen; Teil 3: CO2-Feuerlöscher im Serverraum. Elektropraktiker Berlin 64 (2010) 2, S. 123-125. [4] Kraheck, A.: Meisterwissen: Sicherheitstechnische Praxis und Auswirkungen; Teil 4: Sicherheitsleuchten zur Kennzeichnung von Fluchtwegen. Elektropraktiker Berlin 64 (2010) 3, S. 210-211. [5] Kraheck, A.: Meisterwissen: Sicherheitstechnische Praxis und Auswirkungen; Teil 5: Staatlich anerkannte Sachverständige - Obacht bei Gutachten. Elektropraktiker Berlin 64 (2010) 4, S. 301-303. Elektropraktiker, Berlin 64 (2010) 5 409 BETRIEBSFÜHRUNG Videotürsprechanlagen Fortsetzung
Ähnliche Themen
Autor
- A. Kraheck
Downloads
Laden Sie diesen Artikel herunterTop Fachartikel
In den letzten 7 Tagen:
Sie haben eine Fachfrage?