Aus dem Facharchiv: Elektropraxis
Normen – anerkannte Regeln der Technik?
Das zunächst simpel klingende Thema birgt bei genauerer Betrachtung genügend Zündstoff bezüglich der immer wieder geführten Debatte, welchen juristischen Stellenwert private technische Regeln haben.
Als Jurist sucht man Lösungen gewöhnlich in Gesetzen. Diesbezüglich lässt der Gesetzgeber einen im Stich, wenn man von § 49 Abs. 1 und Abs. 2 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) absieht. Doch dazu später. Da es an gesetzlichen Definitionen mangelt, wurde von der Rechtsprechung immer wieder ausgeführt, welchen Stellenwert technische Regelwerke haben.
Die Idee zu diesem Artikel entstand, da gerade auf Seiten der technischen Fachkräfte keine Klarheit herrscht, wie private technische Regelwerke, insbesondere die DIN- und VDE-Vorschriften, juristisch einzuordnen sind. Darüber hinaus beherrschen Techniker oft juristische Auslegungsregeln nicht. Das soll niemandem zum Vorwurf gemacht werden. Gleichwohl ist ein Mindestmaß an juristischem Sachverstand erforderlich, um im Zweifelsfall zu beurteilen, ob eine technische Regel anzuwenden ist. Wenn es zum Beispiel in der Verlautbarung des DKE/K251 vom 11.03.2019 zu DIN EN 62305-2 (VDE 0185-305-2):2013-02 [1] Blitzschutz, Teil 2: Risiko Management einleitend heißt: „Grundsätzlich ist die Anwendung von Normen freiwillig“, dann handelt es sich dabei um eine Aussage, die derart allgemein gehalten ist („grundsätzlich“), dass sie keinen praktischen Nutzen hat. Durch diesen Einleitungssatz werden die danach folgenden, sehr aufschlussreichen Erläuterungen, zu sehr relativiert.
Wenn vorgegeben wird, die Musterbauordnung habe Gesetzeskraft, dann zeigt dies, dass zumindest eine unpräzise Betrachtungsweise vorliegt. Die Musterbauordnung (MBO) wird von der Bauministerkonferenz beschlossen. Die Fassung vom November 2002 wurde zuletzt durch den Beschluss vom 13.05.2016 geändert. Die MBO stellt eine Empfehlung an die Gesetzgeber der einzelnen Bundesländer dar, denen es jedoch freisteht, die Vorschläge, die sich aus der MBO ergeben, zu übernehmen. Wenn gesetzliche „und“- bzw. “oder“ Verknüpfungen nicht differenziert betrachtet werden, dann zeugt das von einem Mangel an Kenntnis der juristischen Interpretationsregeln. Einem Elektrotechniker darf das jedoch nicht passieren, da er mit „und“- bzw. „oder“ Verknüpfungen in der Elektrotechnik vertraut sein sollte.
Wenn beispielsweise behauptet wird, es gäbe keinen Bestandsschutz, bedeutet dies, dass weder die grundgesetzliche Eigentumsgarantie noch die speziellen Regelungen der Landesbauordnungen bekannt sind, aus denen sich der Regelfall des Bestandsschutzes ergibt. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Das Ziel dieses Artikels ist es, die Sinne für zivilrechtliche Haftungsfallen zu schärfen und davor zu bewahren, einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ausgesetzt zu werden.
VDE-Vorschriftenwerk – angewandt im Blitzschutz
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass zunächst im VDE-Vorschriftenwerk nachgeschlagen werden muss, ob eine bauliche Anlage mit einem Blitzschutzsystem zu versehen ist. Die VDE-Vorschriften sind erst am Ende einer Untersuchungskette heranzuziehen. Zur Erinnerung soll dargestellt werden, was unter dem VDE-Vorschriftenwerk zu verstehen ist. Dazu wird die VDE 0022:2008-08 [2], die die „Satzung für das Vorschriftenwerk des VDE Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik e.V.“ darstellt, näher betrachtet. Das VDE-Vorschriftenwerk umfasst laut Definition die Satzung als solche, die VDE-Bestimmungen, die VDE-Leitlinien, die VDE-Vornormen, die VDE-Anwendungsregeln sowie die Beiblätter des VDE-Vorschriftenwerkes. Die VDE 0022 kennt den Begriff „Verlautbarung“ noch nicht einmal. Deswegen sind Verlautbarungen der DKE als gegenstandslos zu betrachten. Im Rahmen des VDE-Vorschriftenwerkes sind die VDE-Bestimmungen von besonderer Bedeutung, da sie unter Ziff. 3.1. wie folgt definiert sind: