
Elektromobilität
Freies Laden für freie Bürger? Im Prinzip ja, aber ...
Die Kleinstaaterei bei den Ladesäulen wird abgeschafft. Ob Vattenfall, RWE oder EnBW – der Zwang zum Vertrag soll fallen. Doch der Teufel steckt im Detail.
Anfrage an Radio Jerewan:
Stimmt es, dass man demnächst E-Autos in Deutschland an jeder öffentlichen Ladestation aufladen kann, egal, welcher Betreiber den Strom liefert?
Antwort:
Im Prinzip ja.
Aber es sind nicht alle öffentlichen Ladestationen gemeint, nur die neu errichteten.
Und Sie müssen ein Smartphone, eine Kreditkarte oder ein Konto bei PayPal besitzen.
Und Sie brauchen ein Telefonnetz, um das Smartphone benutzen zu können.
Und Sie müssen die Tarife für nicht vertragsgebundene Kunden akzeptieren.
Und Sie sollten kein E-Auto mit CHAdeMO-Stecker fahren.
Alles andere stimmt.
Warum muss die Ladesäulenverordnung vom Februar 2016 schon wieder nachgebessert werden?
Weil die Geschichte der Ladesäulenverordnung eine kurze, aber heftige Geschichte voller Irrtümer und Fehlentscheidungen ist.
Seit der Veröffentlichung des Referentenentwurfs Anfang 2015 hagelte es von allen Seiten Protest. Experten, Vereine, Verbände und Lobbyisten beklagten (nicht zu Unrecht) eine typisch deutsche Überregulierung. Beispielsweise werden gebührenpflichtige und fristgebundene Anzeige- und Prüfnachweise verlangt, die es in keinem anderen EU-Land gibt.
Auf der anderen Seite wurde vom Wirtschaftsministerium ein Fakt ausgeklammert, der den E-Autofahrer besonders interessiert: Die diskriminierungsfreie Nutzbarkeit aller öffentlichen Ladestationen in allen Bundesländern.
Diskriminierungsfrei bedeutet: kein Vertragszwang mit dem Betreiber der Ladesäule.
Wenn der Autofahrer Pech hat, kann es ihm passieren, dass er mit allerletzter Akkuladung zur öffentlichen Ladesäule rollt. Dort regiert Vattenfall. Der E-Mobilist ist aber Ladesäulenkunde bei RWE.
Tja. Keine Vattenfall-Card, kein Strom.
Dieses Szenario schreckt Interessenten mehr vom Kauf eines E-Autos ab als die begrenzte Reichweite. Doch das Wirtschaftsministerium konnte darin kein Problem erkennen. Die Verordnung wurde am 28. Oktober 2015 beschlossen.
In § 2 (9) steht folgender Halbsatz:
"[...] befahren werden kann; unterschiedliche Arten der Authentifizierung, Nutzung und Bezahlung sowie alle Maßnahmen, die ausschließlich oder überwiegend dazu bestimmt sind, anderen Fahrern von Elektromobilen den Zugang zum Ladepunkt zu verwehren, bleiben für die Zuordnung eines Ladepunkts als öffentlich zugänglich außer Betracht."
Der zustimmungspflichtige Bundesrat zog die Notbremse. Die Bundesländer Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern beantragten eine Verschiebung des Beschlusses auf 2016. Am 26. Februar 2016 stimmte der Bundesrat der Ladesäulenverordnung mit zwei Änderungen zu (hier als PDF). Beide betreffen den diskriminierungsfreien Zugang zu Ladestationen.
Zu § 2 (9) stellt der Bundesrat lapidar fest:
"In § 2 Nummer 9 ist nach den Wörtern 'befahren werden kann;' der zweite Halbsatz zu streichen."
So einfach kann's gehen.
Warum wird die Ladesäulenverordnung gerade jetzt diskutiert?
Für die Überarbeitung der Ladesäulenverordnung setzte der Bundesrat unter Punkt 3 c) eine Frist:
"Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die fehlenden Regelungen in einvernehmlichem Zusammenwirken von Bund, Ländern, Kommunen und Marktteilnehmern bis zum 18. November 2016 in einer Folgeverordnung zu regeln."
Das ist der Grund, warum Gabriels Ministerium hektisch wird. Der Termin ist nicht mehr weit und der Gesetzgebungsprozess eine zähe Angelegenheit.
Werden durch die Folgeverordnung alle öffentlichen Ladestationen in Deutschland frei nutzbar sein?
Das Wirtschaftsministerium hat sich lange dagegen gesträubt, per Verordnung eine einheitliche, ohne Vertragszwang nutzbare Ladeinfrastruktur zu dekretieren. Doch der Druck der Bundesländer war zu groß, die zersplitterte Ladesäulenlandschaft aufzugeben.
Gabriels Referenten haben aber noch andere Pfeile im Köcher.
Zwar mussten sie bei der Schaffung neuer Ladesäulen-Fürstentümer kapitulieren. Doch der Weg in die Ladefreiheit ist jetzt mit kleinen Gemeinheiten gespickt.
Die Folgeverordnung gilt ausdrücklich nicht für bestehende Ladestationen. Davon gibt es bundesweit über 6.000. Die Stationen, die bisher Vertragskunden vorbehalten waren, bleiben auch künftig für andere Nutzer gesperrt. Zumindest so lange, bis der Anbieter seine Ladestation freiwillig öffnet.
Die Zugangsfreiheit setzt ein Smartphone voraus. Das hat nicht jeder, und es will auch nicht jeder. Andere Systeme, beispielsweise auf RFID-Basis, sind nicht Bestandteil der Folgeverordnung, sie müssen deshalb von den Betreibern nicht angeboten werden.
Ein Smartphone braucht ein Netz. Die lückenhafte Netzabdeckung und die permanenten Netzausfälle bei den Marktführern Telekom, Vodafone und O2 machen ein verlässliches Laden in jeder Region Deutschlands zum Lottospiel.
Die Betreiber dürfen auch in Zukunft Verträge anbieten. Dann existieren an der Ladesäule zwei Tarife: einer mit Rabbat für die Vertragskunden, einer mit Aufschlag für die Laufkundschaft. Schon jetzt verlangen Anbieter wie RWE hohe Preise für den Ladestrom (Preisübersicht). Mit 30 Cent/kWh liegt RWE über dem durchschnittlichen Strompreis für Privathaushalte (25 Cent/kWh), dazu kommt eine Grundgebühr von 4,95 Euro/Monat.
Und wenn man trotzdem glücklich und zufrieden ist und mit dem E-Auto durch Deutschland braust, sollte man keinen CHAdeMO-Stecker verwenden müssen.
In der Ladesäulenverordnung schreibt das Wirtschaftsministerium drei Systeme als Mindestanforderung vor: Kupplungen Typ 2 für Normal- und Schnellladung mit Wechselstrom, Kupplungen Combo 2 für Normal- und Schnellladung mit Gleichstrom – und der gute alte Schukostecker (Normalladung mit Wechselstrom) für Autofahrer mit ganz viel Zeit.
CHAdeMO-Kupplungen für Gleichstromladungen werden weder in der Ladesäulen- noch in der Folgeverordnung erwähnt. Auch der Bundesrat mahnte keine Ergänzung an. Weil die Ladesäulenverordnung nur Combo 2 vorschreibt, bricht für Autos mit CHAdeMO-Steckern eine schwere Zeit an. Kein Anbieter ist per Ladesäulenverordnung gezwungen, mehr als Typ 2 und Combo 2 zu installieren.
Über die Gründe muss man nicht lange spekulieren.
- CHAdeMO ist der gemeinsame Standard der asiatischen Pkw-Hersteller Mitsubishi, Nissan, Toyota, Kia und Subaru. Combo 2 wird von VW und BMW genutzt.
- CHAdeMO ist serienmäßig an Bord, Combo 2 nur gegen Aufpreis.
- CHAdeMO ist bei ca. 70 Prozent der E-Autos Standard, Combo 2 bei weniger als 10 Prozent.
Die Entscheidung gegen CHAdeMO und für Combo 2 ist reine Wirtschaftspolitik.
Doch es gibt einen Hoffnungsfunken. Städten und Gemeinden ist es nicht untersagt, ihre Ladestationen über die Mindestanforderung hinaus auszurüsten. Zum Beispiel mit CHAdeMO-Kupplungen.
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