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Geschichte | Elektrotechnik

Von den Anfängen der Elektrotechnik zur Systemtechnik des 21. Jahrhunderts (1)

ep12/1999, 6 Seiten

Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die Pionierzeit der Elektroenergietechnik. Bedeutende Erfindungen ermöglichten die großtechnische Erzeugung elektrischer Energie sowie ihre umfassende Anwendung in Fertigungs- und Verkehrstechnik, aber auch in der Gebäudetechnik. Am bevorstehenden Wechsel in das nächste Jahrhundert bzw. Jahrtausend ist diese Entwicklung keineswegs abgeschlossen. Elektroenergietechnik in Einheit mit der Automatisierungstechnik bestimmt in Breite unser tägliches Leben. Wesentlich Innovationen sind gerade für diese kommende Zeit zu erwarten.


Die Entwicklung der Elektroenergietechnik beeinflußte Inhalt und Art der Tätigkeit aller Bereiche der Wirtschaft und Industrie. Die Anforderungen an die Kenntnisse, um Einrichtungen bzw. Anlagen zwischen Walzwerks- und Haustechnik zu planen, zu bauen, zu errichten, zu warten, stiegen beträchtlich. Veränderte Ausbildungsinhalte in jeder Branche und auf jeder Qualifikationsstufe, ja neuartige Ausbildungsberufe, sind hinzugekommen. Wichtige Etappen werden in Verbindung mit einem Blick in die Zukunft aus Anlaß des besonderen Sylvestertages in Erinnerung gerufen. Der sehr hohe Stand der Gegenwart ist zu einem wesentlichen Teil auch Ergebnis deutscher Ingenieurkunst. 1 Das dynamoelektrische Prinzip von W. v. Siemens - der Beginn der großtechnischen Erzeugung von Elektroenergie Bei Experimenten mit Gleichstromgeneratoren ersetzte Werner. v. Siemens im Jahre 1866 die bisher üblichen Permanentmagnete durch Elektromagnete und speiste diese durch einen Strom, der vom Generatoranker selbst erzeugt wurde. Nach diesem Prinzip der Selbsterregung, ausgehend von einem Restmagnetismus im Eisenkreis, konnten wesentlich stärkere Felder aufgebaut werden. Die Generatoren (Bild ) stellten eine entsprechend größere Ausgangsleistung bereit. Damit war das Erzeugen elektrischer Energie durch Wandlung aus mechanischer Energie großtechnisch möglich geworden. Die Maschinenleistung stieg in den Megawattbereich. Drehstrom trat an die Stelle von Gleichstrom. Heute wirdweltweit98%dergesamtenbenötigten Elektro-Energie durch Wandlung aus mechanischer Energie gewonnen und als Drehstromenergie über große Entfernungen übertragen. Der Generatorenbau erreicht unter Nutzung einer progressiven Kühltechnik heute einen sehr hohen Stand (Bild ). Moderne Verfahren der thermisch-mechanischen Energiewandlung und der Kraft-Wärme-Kopplung führten dazu, daß der Gesamtwirkungsgrad der Energiewandlung von etwa 10 % (im Jahre 1900) auf 50 % im Jahre 2000 erhöht werden konnte. Betrachtet man die Ausnutzung des Primärbrennstoffes, sind Werte von mehr als 85 % möglich. 2 Von der ersten elektrischen Bahn der Welt in Berlin zum ICE 3 Zunächst lag die Anwendung elektrischer Energie im Bereich der Beleuchtung. Bereits 1879 demonstrierte W. v. Siemens die erste elektrische Bahn auf der Gewerbeausstellung in Berlin, weltweit eine der ersten industriellen Nutzanwendungen elektrischer Energie. Die Energiezuführung erfolgte anfangs durch die Schienen. Aber bereits bei der Grubenbahn von 1882 (Bild ) oder beim ersten O-Bus im gleichen Jahr lieferten Fahrleitungen die Ener-Geschichte der Elektrotechnik Elektropraktiker, Berlin 53 (1999) 12 1136 Von den Anfängen der Elektrotechnik zur Systemtechnik des 21. Jahrhunderts (1) R. Schönfeld, Dresden Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die Pionierzeit der Elektroenergietechnik. Bedeutende Erfindungen ermöglichten die großtechnische Erzeugung elektrischer Energie sowie ihre umfassende Anwendung in Fertigungs- und Verkehrstechnik, aber auch in der Gebäudetechnik. Am bevorstehenden Wechsel in das nächste Jahrhundert bzw. Jahrtausend ist diese Entwicklung keineswegs abgeschlossen. Elektroenergietechnik in Einheit mit der Automatisierungstechnik bestimmt in Breite unser tägliches Leben. Wesentlich Innovationen sind gerade für diese kommende Zeit zu erwarten. Prof. Dr.-Ing. habil. (em.) Rolf Schönfeld ist emiritierter Hochschullehrer an der Technischen Universität Dresden. Autor Die Dynamomaschine aus dem Jahre 1866 von Werner v. Siemens (Quelle: © Siemens Forum München) Generator (1983) für eines der größten Wasserkraftwerke der Welt, Itaipu (13.000 MW) liegt am Iguassu-Staudamm des Rio Paraña in Brasilien (Quelle: © Siemens Forum München) gie. Die Leistung elektrischer Bahnen wurde sehr schnell gesteigert. 1903 schon betrug bei Schnellfahrversuchen auf der Strecke Berlin-Zossen die Geschwindigkeit 210 km/h. Als Antrieb dienten Drehstrommotoren. Die Drehstromantriebstechnik konnte sich jedoch wegen der Schwierigkeiten bei der Stromzuführung über drei parallele Fahrleitungen zunächst nicht durchsetzen. Deshalb war die weitere Entwicklung bei Vollbahnlokomotiven gekennzeichnet durch den Einsatz von Einphasenwechselstrom-Kommutatormotoren mit der Nennfrequenz 16 2/3 Hz. Die Drehzahlsteuerung erfolgte durch die verlustarme Verstellung der Spannungs mittels eines Stufentransformators. Erst die Einführung abschaltbarer Leistungshalbleiter gestatte Ende der 80er Jahre die Rückkehr zur Drehstromantriebstechnik. Puls-Umrichter mit Gleichpannungszwischenkreis gelangten zum Einsatz. Die Einphasenwechselspannung wird nun mit Hilfe eines Vierquadrantenstellers (vgl. Elektropraktiker 11/99, S. 1021-1023) zunächst in eine Gleichspannung gewandelt. Daraus bildet ein Pulswechselrichter eine dreiphasige Wechselpannung zur Speisung des Motors. Die Ströme sind nahezu sinusförmig. Moderne Regelverfahren ermöglichen selbst bei Motorleistungen um ein Megawatt eine unverzögerte Steuerung des Drehmoments. Dadurch kann die Reibungskraft zwischen Rad und Schiene voll ausgenutzt werden. Die Zugkraft einer vierachsigen Lokomotive wurde, verglichen mit klassischen Lokomotiven, ganz wesentlich erhöht (Bild ). 3 Elektrische Antriebe revolutionieren die Fabrik Elektromotoren ersetzten schon um 1900 die bisher üblichen Dampfmaschinen oder Wasserräder in den Fabriken. Der eigentliche Vorteil der elektrischen Energie gegenüber mechanischer Energie besteht aber darin, daß sie leicht an den Verbrauchsort herangeführt werden kann. Einzelantriebe der Maschinen wurden um 1925 eingeführt; bisher notwendige mechanische Transmissionen (Bild ) konnten entfallen. Zugleich entstanden erste gerätetechnische Lösungen zur Steuerung der Motoren, zum Schutz vor Überspannungen und Überströmen. Auf Basis der elektrischen Antriebe wurde es möglich, die Maschinen in den Fabrikanlagen entsprechend den Erfordernissen des Fertigungsprozesses anzuordnen. Eine hohe Flexibilität in der Anordnung der Maschinen wurde erreicht. Es entstand eine neue Kultur der Fertigung. Die Koordination von Einzelbewegungen in einer Maschine geschah zunächst weiterhin mit mechanischen Mitteln, mit Leitwellen, Kurvenscheiben, Getrieben. Eine Anpassung an die Notwendigkeiten des technologischen Prozesses war nur grob, z. B. durch Umstecken der Getriebezahnräder, möglich. Seit den 60er Jahren haben sich dann Maschinen mit Einzelantrieb der Einzelbewegungen herausgebildet (Bild ). Die Koordination der Bewegungen erfolgt über programmierbare Steuerungen. Der Bearbeitungs- und Transportprozeß in komplexen Fertigungszellen läuft heute dank der elektrischen Antriebstechnik automatisch ab und kann durch Programmierung einfach an unterschiedliche Erzeugnisse angepaßt werden. Aus einer Funktionsbeschreibung des Prozesses entsteht mit entsprechenden Programmierwerkzeugen das Programm für die speicherprogrammierbare Steuerung (SPS). 4 Leistungselektronische Ventile steuern den Energiefluß In vernetzten Systemen der Energieversorgung ermöglichen elektromechanische Geschichte der Elektrotechnik Elektropraktiker, Berlin 53 (1999) 12 1138 Moderner ICE mit Neigetechnik, Baureihe 415 (Foto: DB AG/Weber) Dreherei um 1905 im Werner-Werk der Fa. Siemens (Quelle: © Siemens Forum München) Grubenlok aus dem Jahre 1882 in Zauckerode bei Dresden (Quelle: © Siemens Forum München) Moderne Fertigungszelle (Schema) bestehend aus Zuführeinrichtung, Beschickungsrobotern und Bearbeitungsmaschinen (Ausschnitt) Schalter das Zu- und Abschalten einzelner Verbraucher sowie das selektive Heraustrennen von Anlagenteilen. Mit Rücksicht auf die elektrische Beanspruchung der Kontakte und auf die mechanische Beanspruchung des Schaltwerks war die zulässige Schalthäufigkeit begrenzt. Die Entwicklung der Quecksilberdampstromrichter seit den 30er Jahren (Bild ) gestattete die kontinuierliche Steuerung des Leistungsflusses. Zunächst konnten nur netzgelöschte Stromrichter eingesetzt werden. Sie ermöglichten die Umformung einer konstanten drei- oder einphasigen Spannung in eine veränderbare Gleichspannung. Damit konnten drehzahlsteuerbare Gleichstromantriebe aufgebaut werden, die vor allem in Walzwerken Anwendung fanden. Quecksilberdampfstromrichter wurden aber auch auf Lokomotiven genutzt. Der Begriff „Leistungselektronik“ entstand in den 60er Jahren in Verbindung mit der Einführung von Leistungstransistoren und Thyristoren in industrielle Anwendungen. Zunächst wurden kleinere Leistungen bei Netzfrequenz realisiert. Die steuerbaren Spannungen und Ströme erhöhten sich sehr rasch, so daß erste Anwendungen in der Schwerindustrie und im Lokomotivbau verwirklicht werden konnten. Seit den 80er Jahren sind abschaltbare Ventile für größere Ströme und Spannungen verfügbar. Abschaltbare Thyristoren (GTO) ermöglichen gegenwärtig, Ströme bis 6000 A und Spannungen bis 6000 V zu schalten und unabhängig von dem vom Netz vorgegebenen 50 Hz-Takt mit einer Frequenz im Bereich 300 ... 1000 Hz zu pulsen. Heute stehen darüber hinaus spezielle Leistungstransistoren (Insolated Bipolar Transistors IGBT) im Bereich bis 3000 A und 1200 V zur Verfügung. Das Problem ihrer Reihen- und Parallelschaltung ist gelöst, so daß höchste Leistungen - etwa im Bereich der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) - mittels der Leistungselektronik gesteuert werden können. Neben dem klassischen Silizium (Si) werden als Grundstoff auch ganz neue Halbleitermaterialien wie Gallium Arsenid (GaS) eingesetzt. Die moderne Leistungselektronik führte zu einer Revolution der Antriebstechnik. Frequenzgesteuerte Drehstromantriebe, früher nur in seltenen Sonderfällen anwendbar, bestimmen die Antriebstechnik der Gegenwart von kleinsten bis zu größten Leistungen (Bild ). In den meisten Anwendungen wird die Primärspannung über Pulssteller (Vierquadrantensteller) zunächst in eine Gleichspannung umgewandelt, aus der dann ein Pulswechselrichter eine dreiphasige Wechselspannung bildet (vgl. Abschnitt 2). Bei hinreichend hoher Pulsfrequenz, je nach Leistung im Bereich 200 Hz ... 20 kHz, sind die dem Motor eingeprägten Ständerströme weitgehend sinusförmig. Die Entwicklung im Bereich der Leistungselektronik war übrigens die Voraussetzung für die Erfolge in Verkehrs- und Fertigungstechnik (Abschnitt 2). 5 Microcontroller als universelle Steuer- und Regelreinrichtung Prinzipien der binären Steuerungen mit Schützen und Relais sowie der analogen Regelung mit Röhren- und Transistorverstärkern entwickelten sich in den 50er und 60er Jahren aus den Bedürfnissen der Steuerung des Energieflusses heraus zunächst getrennt. Erst in den 80ern und 90ern gelang die Synthese aus Steuerungen und Regelungen auf der Basis von Mikrorechnern. Heute stehen für die Bedürfnisse der Elektroenergietechnik spezielle, hochleistungsfähige Controllerschaltkreise bestehend aus Rechnerkern und Peripherie zur Verfügung. Der Rechnerkern ermöglicht die schnelle Berechnung. Getrieben durch die Forderungen nach immer höherer Rechenleistung werden zunehmend Signalprozessorstrukturen sowie zugeschittene Spezialschaltkreise (Bild ) eingesetzt. Sie stellen ein universell verwendbares Microsystem dar. Die integrierte Peripherie dient der Kopplung des Rechners mit dem Prozeß. Kennzeichnend sind Anzahl und Wortbreite der Ein- und Ausgänge für digitale und analoge Signale. Weiterentwicklungen werden im Sinne weiter wachsender Rechengeschwindigkeit in kürzerer Zeit erwartet. Solche Bauelemente vereinfachen darüber hinaus Bedien-, Inbetriebsetzungs- sowie Wartungsaufwand bei steigender Zuverlässigkeit in allen Bereichen der Elektrotechnik. 6 Bewegungssteuerungen ersetzen Mechanismen Der überwiegende Teil der gesamten erzeugten Elektroenergie wird über elektrische Motoren in mechanische Energie zum Betrieb technologischer Prozesse umge-Geschichte der Elektrotechnik Elektropraktiker, Berlin 53 (1999) 12 1140 Einanodiger Quechsilberdampfstromrichter (5000 A, 600 V) der Maschinenfabrik Oerlikon 1941 Hochintegrierter Multi-Chip-Modul (MCM) mit integriertem Neuron®-Chip aus der neuen Typenserie TLON-1060 zur Realisierung von Baugruppen des Bussystems LON für die Gebäude- und Industrieautomation (Foto: TLON 1999) Rechts oben: erste, 1965 in Europa hergestellte, integrierte Schaltung (IC) mit 3 Transistoren und 5 Widerständen, Kristallfläche 1,5 mm2 (Quelle: © Siemens Forum München) Modular aufgebauter Thyristor-Stromrichter-Block für eine Lokomotive (15 kV, 1,8 MW, 16 2/3 Hz; ABB 1988) setzt. Der Gesamtwert der weltweit erzeugten Elektromotoren wächst weiterhin an (Bild ). Diese Aussage bezieht sich vor allem auf kleinere Universalmotoren und auf bürstenlose Motoren im gesamten Leistungsbereich. Asynchronmotoren und bürstenlose Permanentmagnet-Synchronmotoren, gespeist über Wechselrichter mit feldorientierter Regelung, zeigen über einen großen Drehzahlstellbereich ideales Betriebsverhalten. Die in Mechanismen eingeleiteten Drehmomente sind unverzögert steuerbar. Mit zusätzlicher digitaler Winkelregelung lassen sich hohe Gleichlaufgenauigkeiten mehrerer Drehbewegungen in einer Maschine erreichen. Auf dieser Basis wird es möglich, komplexe Bewegungsabläufe in Maschinen in elektrisch getriebene Einzelbewegungen aufzulösen. Digitale Regelungen gewährleisten die notwendige hohe Güte der Bewegungen. Diese Entwicklung setzt natürlich die Erfolge in den Bereichen Mikro- (Abschnitt 5) und Leistungselektronik (Abschnitt 4) voraus. Hochgenaue Bewegungssteuerungen lassen aber auch völlig neue konstruktive Lösungen zu. So können hochdynamische, steife Positioniereinrichtungen, bei der die gewünschte Lage durch Überlagerung von bis zu vier koordinierten Einzelbewegungen realisiert wird, gebaut werden. Sie finden Anwendungsmöglichkeiten in Fertigungsstraßen, z.B. in der Automobilindustrie oder bei der automatischen Herstellung von Installationsgeräten. Die Regelung der Einzelbewegungen und ihre Koordination im System erfolgt mit den Mitteln der Informationstechnik. Der Begriff "Mechatronik" kennzeichnet diese Einheit von Mechanik, Elektrik und Informatik. Daß die Fortschritte im Bereich der elektrischen Motoren und der Bewegungssteurung direkt auch die Automation der Gebäudetechnik betreffen, drückt sich in Spezialantrieben, z.B. für die Jalousiesteuerung, die Fensteröffnung, aus. Die hier in Erinnerung gerufenen Fortschritte beeinflußten das gesamte gesellschaftliche Leben. Die Fortsetzung des Beitrages widmet sich der dezentralen, alternativen Energieerzeugung, der Verbindung von Energie und Automation, der Gebäude- und Umwelttechnik, dem Übergang von der Schalttafel zum interaktiven Bildschirm in Verbindung mit den Auswirkungen auf die Meßtechnik sowie vor allem den daraus abzulesenden Perspektiven und Aufgaben des 21. Jahrhunderts. Geschichte der Elektrotechnik in Mrd. US $ bürstenlose und Universalmotoren bürstenlose Motoren dreiphasige Asynchronmotoren einphasige Asynchronmotoren und andere Schrittmotoren 0 5 10 15 20 25 1996 2001 Weltweite Produktion von Elektromotoren unterschiedlicher Technologie Jahresproduktion 1998 in Deutschland ca. 6 Mrd.US $

Autor
  • R. Schönfeld
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