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Arbeits- und Gesundheitsschutz

Multifunktionale Schutzkleidung im Trend

ep12/2006, 2 Seiten

Das Tragen von geprüfter, störlichtbogensicherer Schutzkleidung kann bei Arbeiten unter Spannung lebensrettend sein. Auch in anderen Risikobereichen ist der gesundheitlichen Gefährdung des Menschen mit geeigneter Schutzkleidung zu begegnen. Dabei geht der Trend zunehmend zur Entwicklung von Schutzkleidung, die multifunktional in verschiedenen Risikobereichen einsetzbar ist.


Prüfinstitute als wichtige Dienstleister Die Anbieter und Nutzer von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) arbeiten häufig eng mit unabhängigen Prüfinstituten zusammen. Zur Entwicklung immer besser geeigneterer Materialien leisten diese einen erheblichen Forschungsaufwand und führen aufwändige Tests in speziellen Prüflabors durch. Zudem haben die Institute häufig die offizielle Zulassung, die Schutzkleidung nach festgelegten Anforderungen zu zertifizieren. Deshalb haben sich die unabhängigen Forschungs- und Prüfinstitute als wichtige Dienstleister der Schutzbekleidungsanbieter etabliert. Sie verfügen über speziell ausgebildete Mitarbeiter, die zumeist ressortübergreifend zusammenarbeiten - wie Textilingenieure, Wissenschaftler anderer Spezialbereiche, Techniker und Laboranten. Nur so ist auch die zunehmende Komplexität der Anforderungen zu bewältigen. Bestes Beispiel ist hierfür auch das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) und seine Zertizifierungsstelle Schutztextilien (s. im Überblick). PSA im Härtetest Störlichtbogen-Schutzkleidung zu prüfen und zu zertifizieren (Bild ), das gehört zu einem der Spezialgebiete der Zertifizierungsstelle Schutztextilien des STFI. Darüber hinaus wird im Institut die Schutzkleidung für weitere Risikobereiche auf „Herz und Nieren“ geprüft, bevor es zu einer Zertifizierung kommt. Dazu gehören ebenso: · die Prüfung und Zertifizierung elektrostatisch ableitfähiger Schutzkleidung (Bild , a) · Schutzkleidung für den Einsatz beim Schmelzen von Aluminium und Magnesium (Bild ) · Untersuchung von Schutztextilien gegenüber der Einwirkung von Laserstrahlung (Bild ), aber auch · Prüfung von Spezialkleidung für Rennfahrer. Risiko Störlichtbogen Das Arbeiten unter Spannung (AuS) an Energieversorgungseinrichtungen hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Aus den überwiegend anlagenbedingten Ursachen von Störlichtbogenunfällen wie Alterung, Korrosion, Funktionsstörung usw. wird deutlich, dass diese Unfälle niemals gänzlich verhindert werden können. Das verbleibende Restrisiko für den Arbeiter kann und muss also durch geeignete Schutzkleidung vermindert werden. Ziel der gemeinsamen Arbeiten mit Partnern aus Industrie und Forschung ist die Erarbeitung von geeigneten Verfahren als Grundlage und Maßstab für die Entwicklung von Schutzkleidung gegen derart extreme Risiken. Hohe Anforderungen Die Prüf- und Zertifizierungsbedingungen des STFI verlangen für Störlichtbogenschutzkleidung: · Für die Bewertung der Schutzfunktion ist stets die Prüfung am Material durchzuführen. · Es sind 4 Proben zu prüfen. Alle 8 Messwerte der Kalorimeter müssen sich unterhalb der so genannten Stoll-Chianta-Kurve zur Vorhersage des Risikos für Verbrennungen 2. Grades der Haut befinden. · Keines der Prüfmuster darf länger als 5 s nachbrennen, Verschmelzungen oder Lochbildung zur Innenseite aufweisen sowie brennendes Abtropfen zeigen. · Für die Zertifizierung von Erzeugnissen ist eine zusätzliche Prüfung auf dem Torso erforderlich (Bild ). · Nach der Kleidungsprüfung muss das Verschlusssystem noch funktionsfähig sein; kein Zubehörteil (Logo, Namensschild, Reflexstreifen usw.) darf die Schutzfunktion beeinträchtigen. In Kooperation mit der TU Ilmenau, Fachgebiet Elektrische Energieversorgung, betreibt das STFI einen Störlichtbogen-Prüfstand für Untersuchungen an schwer entflammbaren Textilien. Elektropraktiker, Berlin 60 (2006) 12 1004 BETRIEBSFÜHRUNG Multifunktionale Schutzkleidung im Trend Das Tragen von geprüfter, störlichtbogensicherer Schutzkleidung kann bei Arbeiten unter Spannung lebensrettend sein. Auch in anderen Risikobereichen ist der gesundheitlichen Gefährdung des Menschen mit geeigneter Schutzkleidung zu begegnen. Dabei geht der Trend zunehmend zur Entwicklung von Schutzkleidung, die multifunktional in verschiedenen Risikobereichen einsetzbar ist. Störlichtbogentest für Schutzkleidung an einem Torso Antistatikprüfung der Schutzkleidung a Auswertung der Messergebnisse Prüfstand DIN EN 373 Beurteilung des Materialwiderstandes gegen flüssige Metallspritzer IM ÜBERBLICK Leistungsumfang der Zertifizierungsstelle Schutztextilien des STFI - akkreditiert für die Produktzertifizierung PSA sowie die Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen gemäß Artikel 11B der EG-Richtlinie 89/686/EWG. Die Zulassung für Zertifizierungen umfasst: · Schutzkleidung für hitzeexponierte Arbeiten - EN 531, pr EN ISO 11612 · Schutzkleidung für Schweißen und verwandte Verfahren - EN 470-1, pr EN ISO 11611 · Schutzkleidung gegen thermische Gefahren durch Störlichtbögen - ENV 50354, IEC 61482-1-2 · Schutzkleidung für die Feuerwehr - EN 469, EN 1486, ISO 11613, EN 13911) · Warnkleidung - EN 471, EN 1150 · Schutzkleidung für den Rettungsdienst - GUV-R 2106 · Schutz gegen Regen - EN 343 · Kleidungsstücke zum Schutz gegen kühle Umgebungen - EN 14058 · Kleidungssysteme zum Schutz gegen Kälte - EN 342 · Schutzkleidung gegen Chemikalien; Typen 3, 4, 5, 6 - EN 13034, EN ISO 13982-1, EN 14605 · Schutzkleidung gegen radioaktive Kontamination - EN 1073-2 · Antistatische Schutzkleidung - EN 1149-Serie · Schutzkleidung gegen das Verfangen in beweglichen Teilen - EN 510 · Schutzhandschuhe gegen mechanische und thermische Risiken - EN 388, EN 407 · Schutzhandschuhe gegen Chemikalien und Mikroorganismen - EN 374 · Feuerwehrschutzhandschuhe - EN 659 · Schweißerschutzhandschuhe - EN 12477 EP1206-1000-1008 21.11.2006 10:28 Uhr Seite 1004 Hitzeschutzbekleidung Hier wurde das Institut im Rahmen eines Forschungsprojekts vor die Aufgabe gestellt, Hitzeschutzkleidung für eine Ganztagesbekleidung für den Einsatz bei Schmelz- und Gießprozessen von Aluminium und Magnesium zu entwickeln (Bild ). Weitere Anforderungen wie Flammfestigkeit, hoher Tragekomfort und die Möglichkeit der gewerblichen Wiederaufbereitung waren zu beachten. Im Ergebnis der erfolgreichen Projektarbeit wurde ein Material entwickelt, dass flüssige Aluminium-und Magnesiumspritzer bis mindestens 100 g abweist, ohne zu Verbrennungen des Trägers zu führen. Aufgrund seines leichten Flächengewichts von unter 400 g/m2 weist das Gewebe zudem einen guten Tragekomfort auf und kann für Ganztagesschutzkleidung genutzt werden. Schutz gegen Einwirkung von Laserstrahlung Mit der Einführung neuer Technologien verändert sich oftmals das unmittelbare Arbeitsumfeld bis hin zu neuen Risiken und Gefahren direkt am Arbeitsplatz. Dies gilt auch für den Einsatz handgeführter Laseranlagen. Leistungsfähige und kompakte neue Laserarten, optimierte Strahlführung und neue Hochleistungsfaserlaser führen zu leistungsstärkeren Geräten. Dementsprechend wachsen auch die Anforderungen an den Schutz der damit arbeitenden Personen. Die Problematik für Arbeitgeber und Betroffene wird um so deutlicher, da die Verwendung derartiger Schutzkleidung für Lasereinrichtungen der Klassen 3B und 4 in der BGV B2 explizit gefordert wird. Gegenwärtig kann kein Unternehmen Schutzkleidung gegen Risiken durch Laserstrahlung anbieten. In Zusammenarbeit mit dem Laser Zentrum Hannover (LZH) und mit finanzieller Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wird zurzeit in einem Forschungsprojekt auf dem Markt erhältliche PSA hinsichtlich ihrer Schutzwirkung gegenüber verschiedenen Laserstrahlquellen untersucht (Bild ). Das Ziel weiterführender Forschung wird es sein, ein standardisierungsfähiges Prüf- und Bewertungsverfahren für Laserschutztextilien zu entwickeln, das es dem Arbeitgeber erlaubt, geprüfte Schutzausrüstung für seine Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen und somit die erhöhte Gefährdung zu minimieren. Parallel dazu werden innovative Textilien entwickelt, die eine hohe Schutzwirkung gegenüber Laserstrahlung gewährleisten können. Multifunktionale Schutzkleidung im Trend Die Entwicklung multifunktionaler Schutzkleidung ist einer der wesentlichen Trends im Bereich der Schutzkleidung. Dafür versuchen die europäischen Flächengebildehersteller und Textilveredlungsunternehmen verschiedene Schutzfunktionen, wie z. B. gegen thermische Risiken von Hitzestrahlung, Flammen, Flüssigmetall oder Störlichtbogenwirkungen sowie Schutz gegen Chemikalien, gegen Regen und die elektrostatische Ableitfähigkeit und Erkennbarkeit des Träges durch Warnwirkung in einem Textilmaterial zu vereinen. Dominierten in den zurückliegenden Jahren ein bis zwei Schutzfunktionen in einem Erzeugnis, sind verstärkt Forderungen zur Kombination von fünf und mehr Schutzfunktionen zu beobachten. Aktuelle Normen beachten Die Zertifizierungsstellen sind verpflichtet, die für die Schutzfunktionen geltenden europäischen Normen zu berücksichtigen und eine Funktionsfähigkeit aller Eigenschaften sicherzustellen. Dabei sind mögliche gegenseitige Beeinflussungen zu beachten. Sowohl Anwender als auch der Konfektionär müssen z. B. mit normenbedingten Einschränkungen bei der Gestaltungsfreiheit der Erzeugnisse leben. Für den Einsatz multifunktionaler Kleidung sollten Anwender und Hersteller gleichermaßen wichtige Überlegungen berücksichtigen. Gestaltungsfreiheit. Zahlreiche Schutznormen haben vergleichsweise eng definierte Forderungen an das Design der Erzeugnisse. Wird eine relativ „freie“ Produktnorm mit einer Schutzfunktion mit strengen Designforderungen kombiniert, gelten für das Gesamterzeugnis die Anforderungen der strengeren Norm. Daher ist zu prüfen, ob der Anwender damit zurecht, dass z. B. die Taschenform, die Gestaltung und Ausführungsform des Firmenlogos auf der Kleidung, oder Art, Menge und Verlauf von Reflexstreifen von einer Norm festgelegt wird. Komfort. Hoher thermischer Schutz bedeutet oft auch höheres Materialgewicht und damit höhere Belastung für den Träger. Es ist zu überlegen, inwieweit der Träger diesen Schutz wirklich immer 10 h/Tag benötigt, nur weil es im Multifunktionserzeugnis „eingebaut“ ist. Beeinträchtigt dies die Trageakzeptanz, oder wäre die Idee eines Schutzkleidungssystems - Kombination aus definierter Unter- und Oberbekleidung - vielleicht hier vorteilhafter? Pflege. Multifunktionalität bedeutet Pflege entsprechend dem „schwächsten Glied“ der Kette. Ist es akzeptabel, eine Hitzeschutzkleidung plötzlich besonders intensiv bzw. schonend zu pflegen, weil sie auch Schutz gegen Regen bietet? Es ist zu überlegen, ob eine elektrostatisch ableitfähige Schutzkleidung nach der Wäsche nachimprägniert wird, weil sie gleichzeitig als Chemikalienschutz eingesetzt werden soll. Kosten. Ist der Anwender bereit oder auch in der Lage, die sicherlich höheren Kosten eines Multifunktionserzeugnisses, bedingt durch Materialkosten, Pflegeaufwand, Wartung und Reparatur usw., zu tragen? Was wird aus dem Multifunktionserzeugnis, wenn z. B. die Warnfunktion durch Gebrauch stark beeinträchtigt ist, aber die anderen Schutzfunktionen evtl. noch gegeben sind? Ausblick Grundsätzlich wird der Einsatz von multifunktionaler Schutzkleidung in verschiedenen Situationen als sinnvoll und sogar notwendig angesehen. Eine Entscheidung dafür sollte aber immer im Ergebnis einer Risiko-und Bedarfsanalyse im Anwenderunternehmen erfolgen. Deshalb ist es wichtig. dass Hersteller von Schutzkleidung und Anwender gleichermaßen verstärkt die Möglichkeit nutzen, sich z. B. in Seminaren und Workshops im STFI mit den Inhalten und Anforderungen der europäischen Schutzkleidungsnormen vertraut zu machen. So können im Vorfeld einer Neuentwicklung oder Ausschreibung Probleme der Konformität der Kleidung mit den geltenden Forderungen der PSA-Richtlinie 89/686/EWG und den zu berücksichtigenden Schutznormen vermieden werden. H. Beier Elektropraktiker, Berlin 60 (2006) 12 Laserteststand Fotos: STFI EP1206-1000-1008 21.11.2006 10:28 Uhr Seite 1005

Autor
  • H. Beier
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