Elektrotechnik
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Schutzmaßnahmen
Fehlerstromschutz nach Teilsanierung eines Plattenbaus
ep7/2008, 2 Seiten
596 LESERANFRAGEN Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 7 Nichtlineare Lasten am Drehstromnetz ? Wenn drei Geräte mit Gleichrichtung (z. B. NF-Leistungsverstärker mit Ausgangsleistungen von etwa 1500 W bis 2000 W) in Sternschaltung an einem Drehstromnetz betrieben werden, fließt im Neutralleiter selbst bei gleichmäßiger Auslastung der dreifache Strom gegenüber einem Außenleiter (praktische Messungen ergaben etwa den 2,5-fachen Strom). Eine Kompensation der Ströme findet nicht statt. Wie lässt sich praktisch der Stromanschluss für ein solches System realisieren? Verfügt ein übliches fünfadriges Kabel, das für die Außenleiterströme dimensioniert ist, über ausreichend Reserven für den Neutralleiter? Muss ein Kabel, das für den tatsächlichen Strom im Neutralleiter dimensioniert ist, auf der Verbraucherseite nochmals abgesichert werden? Lösungen, bei denen mehrere Verstärker in einem Schrank zusammengefasst und von außen einzeln mit Einphasen-Wechselstrom versorgt werden, haben sich in der Praxis nicht bewährt, da offensichtlich Folgendes gilt: 1 Schrank = 1 Verbraucher = 1 Elektroanschluss. ! Oberschwingungsströme belasten den Neutralleiter. Trotz sinusförmiger Netzspannung fließen in Stromkreisen mit nichtlinearen Lasten nichtsinusförmige Ströme. Zu solchen Lasten gehören z. B. eisengesättigte Induktivitäten, wie Transformatoren (insbesondere Kleintransformatoren), Wandler sowie Gasentladungslampen und Stromrichterventile [1]. Also zählen auch die Gleichrichter der NF-Verstärker dazu. Der nichtsinusförmige Strom, den diese Gleichrichter dem Netz entnehmen, führt zu Spannungsfällen auf der Netzzuleitung, die stark oberschwingungshaltig sind und sich so als Rückwirkung im ganzen Versorgungsnetz bemerkbar machen. Für die Beantwortung der Frage sind die Oberschwingungen des so genannten Nullsystems interessant. Die Frequenzen dieser Oberschwingungen sind jene ganzzahlige Vielfache der Grundschwingung (50 Hz), die sich durch Drei teilen lassen, also Oberschwingungen mit den Ordnungszahlen 3 (150 Hz), 6 (300 Hz), 9 (450 Hz) usw. Da die dazugehörigen Ströme gegeneinander nicht phasenverschoben sind, addieren sich die Beträge ihrer Stromstärken zu einer arithmetischen Stromsumme in dem Neutralleiter. Aufgrund ihres hohen Anteils spielen hier die Oberschwingungen mit ungerader Ordnungszahl - also die 3., die 9., die 15. usw. - eine geradezu fatale Rolle bei der Belastung des Neutralleiters. Dies bestätigen auch die vom Anfragenden durchgeführten Messungen, da trotz einer symmetrischen Belastung des Drehstromkreises im Neutralleiter der 2,5-fachen Strom gegenüber dem Strom im Außenleiter festgestellt wurde. Im Bild ist eindrucksvoll dargestellt, dass die Ströme bei 50 Hz in den drei Außenleitern L1, L2 und L3 keinen Strom im Neutralleiter verursachen, da ihre Summe Null ist (unteres Diagramm). Jedoch addieren sich die Ströme der 3. Oberschwingung im Neutralleiter arithmetisch. Schutz des Neutralleiters vor Überlastung ist notwendig. Die geltenden Normen gehen auf das Vorhandensein von Oberschwingungen in besonderer Weise ein. So weist die DIN VDE 0100-520 [2], Abschnitt 524.3, im Zusammenhang mit verringerten Neutralleiterquerschnitten darauf hin, dass die Belastung des Neutralleiters durch Ströme der 3. Oberschwingung höher sein kann als die eines Außenleiters. Aus diesem Grund verweist [2] auf Abschnitt 9.2. von DIN VDE 0100-430 [3]. Darin wird für den Fall einer möglichen Überlastung des Neutralleiters eine Überstromerfassung im Neutralleiter verlangt, die die Abschaltung der Außenleiter, jedoch nicht unbedingt des Neutralleiters, bewirkt. Dimensionierung des Neutralleiters hat Vorrang. Auch die DIN VDE 0298-4 [4] verweist mehrfach auf die Oberschwingungen, z. B. im Abschnitt 4.3.2 sowie ebenfalls im Anhang B „Auswirkung von Oberwellenströmen auf symmetrisch belastete Drehstromsysteme“. Darin heißt es: „Wird im Neutralleiter eine höhere Stromstärke als im Außenleiter erwartet, ist der Nennquerschnitt des Kabels oder der Leitung auf Basis des Neutralleiterstromes zu bestimmen.“ Bei einem Anteil der 3. Oberschwingung von mehr als 33 % am Phasenstrom wird von der Norm die Dimensionierung gemäß dem zuvor zitierten Grundsatz sogar verlangt. Fazit. In symmetrisch belasteten Drehstromsystemen ist der Strom im Neutralleiter nicht Null, wenn Oberschwingungen vorhanden sind. Der Querschnitt des Neutralleiters muss in diesem Fall entsprechend der Belastung durch die Ströme des Nullsystems, insbesondere durch die Ströme der 3. Oberschwingung, dimensioniert werden. Wenn so verfahren wird, ist eine besondere Stromerfassung im Neutralleiter nach [3] nicht notwendig. Die zu erwartenden Ströme des Nullsystems können beim Hersteller der Geräte erfragt oder durch Messungen ermittelt werden. Literatur [1] Grapentin, M.: EMV in der Gebäudeinstallation. Elektropraktiker-Bibliothek; Huss-Medien Gmb H, Berlin 2000. [2] DIN VDE 0100-520 (VDE 0100-520):2003-06 Errichten von Niederspannungsanlagen - Teil 5: Auswahl und Errichtung von elektrischen Betriebsmitteln - Kapitel 52: Kabel- und Leitungsanlagen. [3] DIN VDE 0100-430 (VDE 0100-430):1991-11 Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V; Schutzmaßnahmen; Schutz von Kabeln und Leitungen bei Überstrom. [4] DIN VDE 0289-4 (VDE 0298-4):2003-08 Verwendung von Kabeln und isolierten Leitungen für Starkstromanlagen - Teil 4: Empfohlene Werte für die Strombelastbarkeit von Kabeln und Leitungen für feste Verlegung in und an Gebäuden und von flexiblen Leitungen. F. Schmidt Fehlerstromschutz nach Teilsanierung eines Plattenbaus ? Als Planer habe ich für eine Wohnungsgenossenschaft schon mehrfach so genannte Teilsanierungen geplant. Aufgrund der Anforderungen in der neuen Fassung von DIN VDE 0100-410 stehe ich vor folgendem Problem: In einem WBS70-Plattenbau sollen der Kleinverteiler (Installationsschacht in der Küche) sowie die Stromkreise für das Bad und die Waschmaschine erneuert werden. Da die Verkleidung des Installationsschachts in der Küche vollständig demontiert und erneuert wurde, sind auch neue Installationsgeräte sowie ein neuer Stromkreis installiert worden. Die restliche Installation darf aus Kostengründen nur geprüft und aufgebunden werden. Mit dem Inkrafttreten der neuen DIN VDE 0100-410 ist dann bei dem nächsten Bauvorhaben auch der neue Stromkreis in der Küche mit Hilfe einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung abzusichern. Wie ist mit der „Bestandsinstallation“ in der Küche zu verfahren, sind hier zwei Schutzmaßnahmen zulässig? Ströme im Außenleiter L1: IL1 = Grundschwingungsstrom (50 Hz) = 100 % I3L1 = Strom der 3. Harmonischen Oberschwingung (150 Hz), z. B. 45 % Ströme im Außenleiter L2: IL2 = Grundschwingungsstrom (50 Hz) um -120° phasenverschoben = 100 % I3L2 I3L1 (150 Hz, keine Phasenverschiebung), z. B. 45 % Ströme im N-Leiter: IN = Grundschwingungsstrom = 0 % I3N = Strom der 3. Harmonischen Oberschwingung = I3L1 + I3L2 + I3L3 = 135 % Ströme im Außenleiter L3: IL3 = Grundschwingungsstrom (50 Hz) um +120° phasenverschoben = 100 % I3L3 I3L2 (150 Hz, keine Phasenverschiebung), z. B. 45 % I3L1 IL1 I3L2 IL2 I3L3 I3N IL3 Diagramme der Leiterströme eines Drehstromsystems Unter Fachkollegen wird besonders kritisch diskutiert, dass Mietern durch die Fehlerstrom-Schutzeinrichtung ein falsches Sicherheitsgefühl vermittelt werden könnte. ! Mehrere Schutzmaßnahmen in einem Raum. Die Frage, ob in einem Raum auch mehrere Schutzmaßnahmen zulässig sind, ist mit Ja zu beantworten. Bedingung ist jedoch, dass sich die festgelegten Schutzmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit nicht gegenseitig beeinträchtigen. Davon kann man hier ausgehen. Allerdings lässt sich ein Stromkreis, in dem ein Zusatzschutz durch Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen mit maximalem Bemessungsdifferenzstrom von 30 mA vorgesehen ist, nicht mit einem Stromkreis gleichsetzen, der ausschließlich durch Überstrom-Schutzeinrichtungen abgesichert ist. Es muss dabei schon bedacht werden, dass zwischen beiden Ausführungen Welten liegen, wenn man die Schutzwirkungen vergleicht. Schließlich haben sich die Normensetzer etwas dabei gedacht, wenn sie jetzt den Schutz durch Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen mit einem Bemessungsdifferenzstrom von maximal 30 mA verbindlich vorschreiben. Es handelt sich hier nun einmal um zwei unterschiedliche Normen, mit deren Einhaltung ein unterschiedliches Sicherheitsniveau erreicht wird. Ich vermag es allerdings nicht vorauszusagen, welche gerichtliche Entscheidung getroffen werden könnte, wenn infolge eines Defekts an einem über eine Steckdose angeschlossenen Gerät ein gesundheitlicher Schaden verursacht wird, der nachweislich bei einem Anschluss an eine im gleichen Raum befindliche und durch eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung vorgenannter Bauart geschützte Steckdose mit Sicherheit verhindert worden wäre. Bekanntlich sind Juristen nicht an VDE-Normen gebunden und könnten die Frage stellen, weshalb der andere Stromkreis besser geschützt ist als der, der am Unfall beteiligt war. Die Änderung im Sinne der jetzt geltenden neuen DIN VDE 0100-410 [1] ist zudem zulässig und eine Nachrüstung steht dem Auftraggeber frei. Dies sollte dem Auftraggeber in jedem Fall schriftlich empfohlen werden. Dabei ist zu bedenken, dass nach Abschnitt 3.3 in [1] der zusätzliche Schutz für Steckdosen und nicht für den gesamten Stromkreis gefordert wird. Das alte, in der Regel vorhandene TN-C-System kann weiter genutzt werden, wenn die Steckdosen durch ortsfeste Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen in Steckdosenausführung gemäß DIN VDE 0100-530 [3], Anhang A, Abschnitt e (FI-Steckdosen), ergänzt werden. Die Unterschiede beim Fehlerschutz bleiben bei dieser Lösung allerdings leider erhalten. Diskussion über falsches Sicherheitsgefühl. Natürlich ist Sicherheit nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben. Ursache für ein falsches Sicherheitsgefühl, das jetzt offenbar ins Feld geführt wird, kann doch nicht der Einbau einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung sein. Im Gegenteil, der Einbau beseitigt einen Mangel, der schon lange bekannt ist. Bei kritischer Betrachtung ist nicht zu übersehen, dass schon in DIN VDE 0100-739 [2] aus dem Jahr 1989 Folgendes nachzulesen ist: „Durch die Anwendung von Schutzeinrichtungen mit einem Nennstrom/Nenndifferenzstrom In 30 mA kann im TN- und TT-Netz bei direktem Berühren weitgehend sichergestellt werden, dass Personen und Nutztiere gegen gefährliche Körperströme durch automatische Abschaltung geschützt werden.“ Endlich wird jetzt mit der neuen Norm [1] in neuen Anlagen umgesetzt, was zuvor nur „Leitlinie“ war. Dies ist nur konsequent und zu begrüßen. Wer dabei von falschem Sicherheitsgefühl spricht, hat jedoch Recht, wenn bei der Installation eines neuen Stromkreises der alte Anlagenteil in der bisherigen Form ohne Fehlerstrom-Schutzeinrichtung verbleibt. Dieses Gefühl wird zum Fakt, wenn in dem gleichen Raum zwei unterschiedliche Sicherheitsniveaus entstehen. Es kann jedoch nicht hingenommen werden, dass ein höheres Sicherheitsniveau mit dem Argument unter den Tisch fällt, dass dann nicht mehr die gleiche Sicherheit im Raum gegeben ist und eine Anpassung der alten Anlage in Normen nicht vorgeschrieben wird. Der Schuss muss doch nach vorne und nicht nach hinten losgehen. Deshalb lässt sich in einem solchen Fall nur eine Schlussfolgerung ziehen: Auch die bestehende alte Anlage muss nachgerüstet werden. Es gibt keine Festlegung in Normen, die dieser Maßnahme entgegensteht. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass es von großem Vorteil wäre und von der Fachwelt sicher begrüßt würde, wenn die DKE diesen Prozess mit eigener Initiative unterstützen könnte. In diesem Zusammenhang sei an die Zeiten erinnert, in denen es noch üblich war, in neue Normen auch entsprechende Nachrüstungsforderungen für bestehende Anlagen aufzunehmen. Da es sich bei [1] um die deutsche Fassung von HD 60364-4-41:2007 handelt, können Ergänzungen, Änderungen sowie nationale Zusätze u. Ä. nicht im Alleingang durch nationale Gremien vorgenommen werden. Trotz dieser genannten Bedingungen sollte die DKE prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, um im Interesse der Sicherheit Nachrüstungsforderungen durchzusetzen. Literatur [1] DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2007-06 Errichten von Niederspannungsanlagen Teil 4-41: Schutzmaßnahmen - Schutz gegen elektrischen Schlag. [2] DIN VDE 0100-739 (VDE 0100-739):1989-06 Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V; Zusätzlicher Schutz bei direktem Berühren in Wohnungen durch Schutzeinrichtungen mit In 30 mA in TN- und TT-Netzen. [3] DIN VDE 0100-530 (VDE 0100-530):2005-06 Errichten von Niederspannungsanlagen; Teil 530: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel - Schalt- und Steuergeräte. H. Senkbeil Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 7
Autor
- H. Senkbeil
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