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Elektrotechnik
Blitzstromableiter und Überspannungsableiter aktiv koordiniert
ep7/2000, 3 Seiten
1 Überspannungs-Schutzgeräte Das dreistufige Überspannungs-Schutzkonzept für die Stromversorgung, bestehend aus · Blitzstromableiter · Überspannungsableiter und · Geräteschutz hat sich beim Einsatz in der Praxis über viele Jahre hinweg bewährt [1]. Die dafür erforderlichen Überspannungs-Schutzgeräte sind in großer Vielfalt am Markt erhältlich. An der stetig steigenden Anzahl der Installationen mit Überspannungsschutz, insbesondere in Neuanlagen, zeigt sich, dass der Überspannungsschutz nicht mehr als „Elite-Installation“ anzusehen ist, sondern den derzeitigen Stand der Technik darstellt. Für die Hersteller der Überspannungs-Schutzeinrichtungen ist diese breite Akzeptanz eine zusätzliche Herausforderung zur Entwicklung einfacherer und wirkungsvollerer Schutzkonzepte. Als Beitrag zu einer wesentlichen Vereinfachung der Überspannungsschutz-Installation bei gleichzeitig verbesserter Schutzwirkung wird im Folgenden die aktive Energiesteuerung „Active Energy Control“ (AEC) für Blitzstrom- und Überspannungsableiter vorgestellt. Diese neue Technologie wird erstmalig durch den Einsatz getriggerter Blitzstromableiter möglich. 2 Anforderungsklassen für Überspannungs-Schutzgeräte Überspannungs-Schutzgeräte werden nach DIN VDE 0675 in unterschiedliche Anforderungsklassen eingeteilt [2]: Blitzstromableiter der Anforderungsklasse B (Grobschutz) werden meist auf der Basis von Funkenstrecken realisiert. Sie zeichnen sich durch ein sehr hohes Stoßstromableitvermögen von bis Iimp = 100 kA (10/350 µs) aus. Der Schutzpegel liegt bei passiven Funkenstrecken mit Werten von UP 4 kV relativ hoch. Überspannungsableiter der Anforderungsklasse C (Mittelschutz) werden in der Regel als Varistorableiter ausgeführt. Sie haben ein geringeres Ableitvermögen von bis zu Imax = 40 kA (8/20 µs). Ihr Schutzpegel liegt aber bereits bei für einige Endgeräte verträglichen UP 1,5 kV. Der Schutzpegel eines sogenannten Geräteschutzes der Anforderungsklasse D liegt ebenfalls bei UP 1,5 kV. Das Ableitvermögen ist aber meist geringer als das eines Überspannungsableiters der Anforderungsklasse C. Während Blitzstromableiter und Überspannungsableiter in Standardinstallationen meist gemeinsam in den Haupt- bzw. Unterverteilungen zu finden sind, sollte der Geräteschutz für eine möglichst gute Schutzwirkung in unmittelbarer Nähe vor dem zu schützenden Gerät installiert sein. Blitzstromableiter mit elektronischer Zündung Diese seit geraumer Zeit am Markt befindlichen Ableiter [3][4] vereinen · das hohe Stoßstromableitvermögen und das hohe Netzfolgestrom-Löschvermögen eines Blitzstromableiters der Klasse B mit dem · niedrigen Schutzpegel eines Überspannungsableiters der Klasse C. Blitzstromableiter mit dieser Technologie sind am Markt derzeit mit einem Schutzpegel bis zu UP 0,9 kV erhältlich (Bild ). 3 Energetische Koordination Die genannten Überspannungs-Schutzgeräte der unterschiedlichen Anforderungsklassen werden zu mehrstufigen Überspannungs-Schutzsystemen zusammengeschaltet, um sowohl ein hohes Ableitvermögen als auch einen niedrigen Schutzpegel und ein schnelles Ansprechen der Gesamtschaltung sicherzustellen. Wegen des stark unterschiedlichen Ansprech- und Ableitverhaltens der verschiedenen Ableitertypen ist es notwendig, die unterschiedlichen Stufen geeignet zu entkoppeln. Diese Abstimmung der Überspannungs-Schutzgeräte Schutzmaßnahmen Elektropraktiker, Berlin 54 (2000) 7 590 Blitzstromableiter und Überspannungsableiter aktiv koordiniert M. Wetter, Blomberg Ein neuartiges aktives Koordinationskonzept ermöglicht die direkte Zusammenschaltung von Blitzstromableitern (Klasse B) und Überspannungsableitern (Klasse C) ohne Verwendung einer Entkopplungsinduktivität. Die durch den Einsatz getriggerter Blitzstromableiter realisierte „aktive Energiesteuerung“ gewährleistet eine optimale Aufteilung der Stoßenergie auf die verschiedenen Schutzstufen und einen besonders niedrigen Schutzpegel. Dr.-Ing. Martin Wetter ist Entwicklungsleiter für Überspannungsschutz bei der Phoenix Contact Gmb H, Blomberg. Autor Aufbau eines klassischen dreistufigen Überspannungsschutzsystems Entkopplungsspule oder Leitungslänge Entkopplungsspule oder Leitungslänge Geräteschutz (Klasse C) Blitzstromableiter (Klasse B) Überspannungsableiter (Klasse C) Blitzstromableiter mit elektronischer Zündung Hauptelektroden Löschbleche Zündelektronik und der zugehörigen Entkopplungselemente wird als „Energetische Koordination“ bezeichnet. Sind die Schutzstufen in der Stromversorgung räumlich voneinander entfernt, so kann die Induktivität der dazwischen liegenden Leitungen als Entkopplung ausgenutzt werden [5] (Bild ). Müssen zwei Schutzstufen in unmittelbarer Nähe zueinander installiert werden, kann die erforderliche Induktivität in Form einer speziellen Entkopplungsspule eingebracht werden [5]. Solche Spulen für Anlagen mit einem Nennstrom von bis zu IN = 63 A sind als Standardartikel erhältlich (Bild ). 4 Aktives Koordinationskonzept Ableiterentkopplung. Blitzstromableiter (Klasse B) und Überspannungsableiter (Klasse C) werden sehr oft innerhalb eines Schaltschranks installiert, so dass die Leitungslängen zwischen beiden Elementen zur Entkopplung nicht ausreichen. Die dann erforderlichen Entkopplungsspulen haben sich in der Praxis zwar bewährt, sie besitzen jedoch mehrere entscheidende Nachteile. Diese sind im Wesentlichen: · erheblicher Platzbedarf · Begrenzung des zul. Betriebstroms · Wärmeentwicklung durch Wirkleistungsverluste bei hohen Betriebströmen · hohe Kosten wegen des großen Kupfer-und Eisenanteils. Durch die neuartige aktive Energiesteuerung AEC werden diese wesentlichen Nachteile konsequent vermieden. Im Klartext bedeutet aktive Energiesteuerung die direkte Zusammenschaltung von Blitzstromableitern (Klasse B) und Überspannungsableitern (Klasse C) ohne Entkopplungsinduktivität und ohne Einhaltung eines Mindestabstands. Wirkungsweise. Beim klassischen Koordinationskonzept mit induktiver Entkopplung ist der Ansprechzeitpunkt der Blitzstromableiter maßgeblich abhängig von der Steilheit des einlaufenden Blitzstroms. Die Steilheit dieses Stroms sagt jedoch wenig über seinen Energieinhalt und damit über sein Gefährdungspotential aus. Daher wird bei der aktiven Energiesteuerung nicht die Stromsteilheit, sondern der Spannungsabfall über dem nachgeschalteten Überspannungsableiter (Klasse C) überwacht. In Kenntnis seiner Kennlinie gibt diese Spannung eindeutige Auskunft über die momentan umgesetzte Leistung. Daher erkennt die Triggerelektronik des Blitzstromableiters im Gegensatz zum klassischen Koordinationskonzept exakt die energetische Belastung des nachgeschalteten Klasse-C- Überspannungsableiters. Bei Überschreitung der maximal zulässigen Belastung wird die Funkenstrecke aktiv gezündet und somit eine Überlastung des Klasse-C-Ableiters konsequent vermieden. Eine optionale Leuchtanzeige in dem getriggerten Blitzstromableiter gibt ständig Auskunft über die Betriebsbereitschaft und den ordnungsgemäßen Zustand der Triggerelektronik. Platzeinsparung. Neben diesen technisch verbesserten Parametern ergibt sich beim Einsatz der aktiven Energiesteuerung eine erhebliche Platzeinsparung gegenüber der klassischen Koordination von bis zu 60 %. Anschaulich dargestellt wird dieses bei den Installationsbeispielen im Abschn. 6 dieses Beitrags. Ableiterkombinationen. Voraussetzung für eine optimale Funktion der aktiven Energiesteuerung AEC ist, dass der Schutzpegel UP des getriggerten Blitzstromableiters auf die Kennlinie des Überspannungsableiters abgestimmt ist. Für Standardinstallationen in der 230/400-V-Stromversorgung beschränkt sich die Auswahl auf lediglich zwei Ableiterkombinationen. Tafel macht die Auswahl einfach: Die für die Gebäudeinstallation konzipierte erste Kombination zeichnet sich durch ihren äußerst niedrigen Schutzpegel aus. Für Installationen im Industriebereich eignet sich die „robustere“ zweite Kombination. Der nach Norm [2] geforderte Schutzpegel von UP < 1,5 kV wird in beiden Fällen deutlich unterschritten. Kennzeichnung. Als Hilfe beim täglichen Umgang mit Überspannungsschutz-Installationen werden alle Überspannungsableiter Valvetrab (Klasse C) von Phoenix Contact mit einem neuen Kennzeichen versehen, welches neben den Schriftzeichen AEC den Wert des Schutzpegels Up enthält, den der passende getriggerte Blitzstromableiter besitzen muss. Beispielsweise ist einem Ableiter mit der Kennzeichnung „AEC 0.9“ ein getriggerter Blitzstromableiter mit dem Schutzpegel Up = 0,9 kV zuzuordnen (z. B. FLT-PLUS CTRL-0.9). Mit dieser eindeutigen Zuordnung werden mögliche Fehler von der Planung bis zur Installation konsequent vermieden (Bild ). Schutzmaßnahmen Elektropraktiker, Berlin 54 (2000) 7 591 Entkopplungsspule für Anwendungen in der Stromversorgung (L = 15 µH, IN = 63 A) Verlauf von Prüfblitzstrom und Restspannung (Schutzpegel UP) an der Kombination aus Blitzstrom- und Überspannungsableiter FLT-PLUS CLRL-0.9 und VAL-MS 230 ST mit aktiver Energiesteuerung (AEC) bei einer Blitzstromamplitude (10/350 µs) von î = 1,3 kA (a) und î = 50 kA (b) 1000 500 250 -250 -500 -750 -0,4 0 0,4 0,8 1,2 1,6 u i 1000 500 250 -250 -500 -750 120 -20 -0,4 0 0,4 0,8 1,2 1,6 AEC-Kennzeichen für Überspannungsableiter Tafel Bevorzugte Kombination von Blitzstrom- und Überspannungsableitern mit aktiver Energiesteuerung (AEC) für die 230/400-V-Stromversorgung C-Ableiter B-Ableiter FLT-PLUS FLT-PLUS CTRL-0.9 CTRL-1.5 Empfohlene Kombination für den Einsatz in: VAL-MS 230 ST - 230/400-V-Stromversorgung Standardinstallation Gebäude VAL-MS 400 ST - 230/400-V-Stromversorgung Standardinstallation Industrie 5 Schutzwirkung Die Schutzwirkung der zuvor genannten Kombinationen kann einfach anhand der beim Ableitvorgang auftretenden Restspannung Ures belegt werden. Besonders zu untersuchen ist in diesem Zusammenhang die Blitzstromamplitude, bei der die Funkenstrecke gerade noch nicht gezündet wird. In diesem Fall muss der Überspannungsableiter (Klasse C) die gesamte Stoßenergie aufnehmen und darf nicht überlastet werden. Als Prüfimpuls wird die Kurvenform 10/350 µs verwendet, welche in der Norm für die Prüfung von Blitzstromableitern (Klasse B) beschrieben wird [2]. Der Energieinhalt dieses Prüfimpulses ist mehr als 20-mal größer als der eines 8/20 µs-Impulses, welcher für die Prüfung von Überspannungsableitern (Klasse C) herangezogen wird. Bild a zeigt die Messdaten einer solchen Prüfung an der Ableiterkombination FLT-PLUS CTRL-0.9 und VAL-MS 230 ST mit aktiver Energiesteuerung AEC. Die Amplitude des Blitzprüfstroms beträgt î 1,3 kA (10/350 µs). Es ist deutlich zu erkennen, dass der Schutzpegel mit UP = 700 V deutlich besser ist als der nach Norm [2] geforderte Wert von UP < 1,5 kV. Bild b zeigt die Messdaten bei der Grenzbelastung mit einer Stoßstromamplitude von î 50 kA. Auch hier wird der hervorragende Schutzpegel mit UP = 950 V bestätigt. 6 Installationsbeispiele Ein Vergleich zwischen einer klassisch koordinierten Ableiterinstallation und der entsprechenden Ableiterinstallation mit aktiver Energiesteuerung AEC veranschaulicht die Vorteile des neuen Koordinationskonzepts sehr deutlich. Als Beispiel wird hier eine 230/400-V-Stromversorgung als TN-S-System betrachtet. Die Überspannungsschutzeinrichtungen werden in der sogenannten „4+0-Schaltung“ von allen aktiven Leitern gegen PE geschaltet [6] (Bild a, b). Im oberen Bild ist die klassische Schaltung mit Entkopplungsspulen dargestellt. Der Nennstrom der verwendeten Entkopplungsspulen beträgt IN = 63 A. Die Anlage ist dementsprechend mit einer 63-A-Vorsicherung oder mit kleinerem Nennstrom abzusichern. Im unteren Teil des Bildes ist die entsprechende Installation mit aktiver Energiesteuerung dargestellt. Bei weniger als halbem Platzbedarf ergibt sich eine verbesserte Schutzwirkung und durch die kontrollierte Energiebelastung eine erhöhte Lebensdauer aller verwendeten Komponenten. Da die Komponenten nicht durch den Betriebstrom der Anlage belastet werden, ist bei Absicherung der Überspannungsschutzkomponenten nur auf die vom Hersteller angegebene maximale Vorsicherung zu achten. Besitzt die Anlage eine Vorsicherung mit einem höheren Nennstrom als die auf den Überspannungs-Schutzgeräten angegebene maximale Vorsicherung, sind die entsprechenden Geräte im Stichleitungszweig mit der vorgeschriebenen maximalen Vorsicherung zusätzlich abzusichern. Der Nennstrom der Anlage wird hierdurch nicht begrenzt. Für eine optimale Schutzwirkung ist weiterhin darauf zu achten, dass neben der Ableitung zur Potentialausgleichschiene eine zusätzliche PE-Leitung vom Fußpunkt der Ableiterkombination zur in die Anlage führenden PE-Leitung eingebracht wird. Diese zusätzliche Leitung verhindert, dass der gute Schutzpegel der Überspannungs-Schutzgeräte durch induktive Spannungsabfälle auf den Blitzstrom führenden Leitungen unter Umständen massiv verschlechtert wird. Die Platzverhältnisse bei der im TT-System vorgeschriebenen Installation nach der „3+1-Schaltung“ entsprechen den Verhältnissen im Bild . In der 3+1-Schaltung werden die Schutzgeräte jeweils zwischen Außen- und den N-Leiter geschaltet. Ein weiterer für den Summenstrom geeigneter Ableiter wird zwischen den N-Leiter und PE-Leiter geschaltet [6]. Diese für das TT-System vorgeschriebene Schaltung eignet sich auch für TN-Systeme. Wegen des guten symmetrischen Schutzpegels sowie im Sinne der einfacheren Auswahl der Schaltungsart empfiehlt sich der Einsatz der 3+1-Schaltung sowohl in TT- als auch TN-Systemen. 7 Zusammenfassung Die aktive Energiesteuerung AEC für Blitzstrom- und Überspannungsableiter bietet für den Anwender wesentliche Vorteile - sowohl bei der Installation als auch bei der Schutzwirkung. Da keine Entkopplungsspulen notwendig sind, ergibt sich zum einen ein wesentlich geringerer Platzbedarf, zum anderen wird der zulässige Betriebstrom der Anlage durch den Einbau der Überspannungs-Schutzgeräte nicht eingeschränkt. Für den Einsatz in der 230/400-V-Stromversorgung stehen zwei Standard-Ableiterkombinationen zur Verfügung. Die optimierte Aufteilung der Stoßenergie zwischen Blitzstromableiter und Überspannungsableiter sorgt für einen durchgängig niedrigen Schutzpegel und eine lange Lebensdauer der eingesetzten Komponenten. Literatur [1] Schimanski, J.: Überspannungsschutz, Theorie und Praxis. Heidelberg: Hüthig Verlag 1996. [2] VDE 0675-6/A1-A2 Überspannungsableiter; Verwendung in Wechselspannungsnetzen mit Nennspannungen zwischen 100 V und 1000 V (Entwurf Oktober 1996). [3] Schimanski, J; Scheibe, K.: Blitz- und Überspannungsschutz für die Niederspannungsinstallation. etz (1998)H. 13,14. [4] Wetter, M.; Scheibe, K.; Schimanski, J.: Lebensdaueruntersuchungen an elektronisch gezündeten Blitzstromableitern. 3. VDE/ABB Blitzschutztagung 28.-29. Oktober 1999. Konferenzband S. 259-267. [5] Danowsky, V.; Wosgien, J.: Blitzstrom- und Überspannungsableiter auf engstem Raum koordiniert. Kompendium EMC-Journal (1997). [6] VDEW/VWEW Überspannungs-Schutzeinrichtungen der Anforderungsklasse B, Richtlinien für den Einsatz in Hauptstromversorgungssystemen. 1. Ausgabe 1998. Schutzmaßnahmen Elektropraktiker, Berlin 54 (2000) 7 592 Platzbedarf für Überspannungsschutzgeräte bei klassischer Koordination (a) sowie bei aktiver Energiesteuerung AEC (b) in einer "4+0"-Installation in der 230/400 V-Stromversorgung
Autor
- M. Wetter
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