Blitz- und Überspannungsschutz
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Elektrotechnik
Neue Normen für den Blitz- und Überspannungsschutz (2)
ep2/2003, 3 Seiten
4 VDE V 0185-2: Abschätzung des Schadensrisikos für bauliche Anlagen Typisch für ältere Blitzschutznormen ist, dass sie begründet auf dem jeweiligen Stand der Technik nur Mindestforderungen für die Errichtung von Blitzschutzanlagen enthalten. Die Notwendigkeit von Blitzschutzanlagen war mit diesen Normen nicht bestimmbar. Blitzschutzanlagen wurden - und werden auch zukünftig - zum Teil durch Vorschriften, z. B. Bauordnungen, gefordert. Meistens oblag die Entscheidung über ihre Errichtung dem Eigentümer oder Betreiber der baulichen Anlage. Eine Entscheidungshilfe, ein Verfahren zur nachvollziehbaren Bestimmung der Notwendigkeit von Blitzschutzmaßnahmen oder gar ihrer Graduierung hinsichtlich Aufwand und Wirksamkeit fehlte lange Zeit. Erste Schritte wurden mit der IEC 61024-1: 1990-03 und der ENV 61024-1:1996-08 (VDE V 0185-100:1996-08) getan. Mit diesen Normen wurden vier Blitzschutzklassen mit unterschiedlicher Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen eingeführt. IEC 61662: 1995-04 (VDE 0185-101:1998-11) ermöglichte dann erstmals auch eine Auswahl dieser Maßnahmen auf der Basis einer Abschätzung des Schadensrisikos infolge Blitzschlags. Die aus der Anwendung dieser Normen gewonnenen Erfahrungen sowie umfangreiche Diskussionen in IEC- und nationalen Arbeitsgremien sind nun in die neue VDE V 0185-2 eingeflossen. Somit kann jetzt auf der Basis einer Risikoanalyse · die Gefährdung von baulichen Anlagen und ihres Inhalts quantifiziert, · die Notwendigkeit von Blitzschutzmaßnahmen bestimmt und · ein nachvollziehbares, technisch und wirtschaftlich optimiertes Blitzschutzkonzept erstellt werden. Risikoanalyse: Deren Aufgabe ist es, das Schadensrisiko durch direkte und indirekte Blitzeinschläge für eine bauliche Anlage einschließlich darin befindlicher Personen und Ausrüstungen zu bestimmen. Dieses Risiko ist abhängig von · der jährlichen Häufigkeit von Blitzeinschlägen, welche die bauliche Anlage beeinflussen können, · der Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Schaden in der baulichen Anlage eintritt und · dem Wert des Schadens. Ist das Schadensrisiko größer als ein akzeptierbares Risiko, muss das Schadensrisiko infolge Blitzschlag durch Blitzschutzmaßnahmen so minimiert werden, dass es das akzeptierbare Risiko nicht mehr übersteigt. Zur Ermittlung des Schadensrisikos eines Objekts sind folgende wesentliche Schritte notwendig: · Identifikation der zu schützenden baulichen Anlage. · Ermittlung der relevanten Schadensarten. · Bestimmung des akzeptierbaren Schadensrisikos Ra. · Bestimmung des Schadensrisikos R infolge Blitzschlag. · Entscheidung über die Notwendigkeit von Blitzschutzmaßnahmen (R > Ra oder R Ra). Im Falle notwendiger Blitzschutzmaßnahmen, das heißt R > Ra, sind folgende Schritte durchzuführen: · Auswahl eines Blitzschutzsystems ausreichender Schutzklasse und weiterer Schutzmaßnahmen, wenn das Risiko gegen direkte Blitzeinschläge Rd > Ra ist, · Auswahl von Überspannungsschutzgeräten und weiteren Schutzmaßnahmen, wenn das Risiko gegen indirekte Blitzeinschläge Ri > Ra ist, · wiederholte Bestimmung des Schadensrisikos R bei Anwendung der ausgewählten bzw. schrittweise verbesserten Schutzmaßnahmen bis R Ra. Die Norm enthält notwendige Formeln, Werte, Hilfsmittel und Erläuterungen zur Ermittlung der Schadensarten, des akzeptierbaren Schadensrisikos und des Schadensrisikos infolge Blitzschlag. Die Vorgehensweise wird außerdem am Beispiel eines kleinen Wohngebäudes und eines Krankenhauses demonstriert. Die Komplexität größerer baulicher Anlagen, insbesondere mit umfangreichen elektrischen und elektronischen Ausrüstungen sowie vielen Versorgungsleitungen, wird für Risikoanalyse und Auswahl der Schutzmaßnahmen im Allgemeinen die Inanspruchnahme eines qualifizierten Planungsbüros erfordern. Inzwischen steht auch spezielle Software zur Verfügung. 5 VDE V 0185-3: Schutz von baulichen Anlagen und Personen Dieser Teil der Vornorm ist mit 170 Seiten, 100 Bildern, 23 Tabellen und 6 Anhängen der umfangreichste. Er gliedert sich in vier Hauptabschnitte: · Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Schäden durch Feuer und Explosion in der baulichen Anlage sowie von Gefährdungen der sich darin befindlichen Personen durch direkte Blitzeinschläge. · Blitzschutz für besondere bauliche Anlagen, wie Krankenhäuser, Sportanlagen, Gebäude mit feuer- und explosionsgefährdeten Bereichen, hohe bauliche Anlagen, Brücken usw. · Prüfung und Wartung von Blitzschutzsystemen, u. a. mit Angaben zu Umfang, Zeitabstand und Dokumentation der Prüfungen. · Entwurf und Ausführung von Blitzschutzsystemen, d. h. des Äußeren und Inneren Blitzschutzes einschließlich der Maßnahmen zur Begrenzung von Schritt- und Berührungsspannungen. 5.1 Schutzmaßnahmen Die Schutzmaßnahmen gegen die Auswirkungen direkter Blitzeinschläge werden durch ein Blitzschutzsystem realisiert. Dieses besteht aus · Äußerem Blitzschutz (Fangeinrichtung, Ableiteinrichtung, Erdungsanlage) und · Innerem Blitzschutz (Potentialausgleich, elektrische Isolierung des Äußeren Blitzschutzes, Schirmung). Die Auslegung dieses Blitzschutzsystems wird durch seine Schutzklasse (I bis IV) bestimmt. Diese wird - soweit nicht z. B. durch Vorschriften festgelegt - durch eine Risikoanalyse nach VDE V 0185-2 ermittelt. 5.2 Besondere bauliche Anlagen Mit dem Abschnitt Blitzschutz für besondere bauliche Anlagen wurden die bewährten Schutzmaßnahmen nach VDE 0185-2 aus dem Jahre 1982 übernommen und an den Stand der Blitzschutztechnik angepasst. Um die Planung und Ausfüh-Blitz- und Überspannungsschutz Elektropraktiker, Berlin 57 (2003) 2 124 Neue Normen für den Blitz-und Überspannungsschutz (2) E. Engelmann, Dresden Eine neue Blitzschutz-Vornormen-Reihe VDE V 0185 löste im November 2002 alle gültigen Normen, Vornormen und Entwürfe zum Blitzschutz baulicher Anlagen ab. Damit steht den deutschen Blitzschutzfachleuten ein umfassendes Regelwerk für die Planung, Errichtung, Prüfung und Wartung von Blitzschutzsystemen zur Verfügung. Mit diesem Beitrag werden die Ausführungen von [1] über Hintergründe, Gliederung und Inhalt der neuen Normen fortgesetzt. Dr.-Ing. Eberhard Engelmann, TU Dresden, ist Mitarbeiter des K 251 der DKE. Autor rung des Blitzschutzes für besondere bauliche Anlagen zu erleichtern, wird in der neuen Norm die Schutzklasse des Blitzschutzsystems für normale Anforderungen bereits angegeben. In besonderen Fällen muss das Erfordernis zusätzlicher Maßnahmen jedoch nach VDE V 0185-2 geprüft werden. 5.3 Prüfung und Wartung Der Abschnitt Prüfung und Wartung von Blitzschutzsystemen entspricht weitgehendst der abgelösten Vornorm VDE V 0185-110. Zweck von Prüfungen und regelmäßigen Wartungen ist es sicherzustellen, dass das Blitzschutzsystem · bereits bei der Errichtung (baubegleitende Prüfung), · nach Fertigstellung (Abnahmeprüfung), · im Betrieb (Wiederholungsprüfung) oder · nach Änderungen der zu schützenden baulichen Anlage (Zusatzprüfungen) den zum Zeitpunkt der Planung und Errichtung gültigen Normen entspricht und, dass damit das System seine Schutzfunktion gegenüber direkten und indirekten Blitzeinwirkungen besitzt und auch behält. Die Prüfungen, Prüfschritte und Dokumentationen, die zum Erreichen dieser Ziele notwendig sind, werden in der Norm angegeben. 5.4 Entwurf und Ausführung Blitzschutzsysteme sind von Blitzschutz-Fachkräften zu planen und zu errichten. Das dazu notwendige Grundwissen ist im Abschnitt „Entwurf und Ausführung von Blitzschutzsystemen“ enthalten. Hier werden - illustriert durch zahlreiche Bilder - u. a. erläutert: · der Entwurf von Blitzschutzsystemen (Bild ), · die Verfahren zum Entwurf von Fangeinrichtungen (Schutzwinkel-, Blitzkugel-und Maschenverfahren), · die Ausführung von Fangeinrichtungen, Ableitungseinrichtungen, Erdungsanlagen, des Blitzschutzpotentialausgleichs bis hin zur Auswahl von Werkstoffen, · die Berechnung des erforderlichen Trennungsabstands zwischen Blitzschutzsystem und Installationen sowie · die Maßnahmen zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit eines elektrischen Schlags. 6 VDE V 0185-4: Elektrische und elektronische Systeme in baulichen Anlagen Der ebenfalls umfangreiche Teil 4 der VDE V 0185 behandelt den Schutz elektrischer und elektronischer Systeme in baulichen Anlagen vor den Wirkungen des elektromagnetischen Blitzimpulses (LEMP). Dieser Schutz wird im Wesentlichen durch folgende Maßnahmen erreicht: · Minimierung von Potentialdifferenzen zwischen Blitzschutzsystem, leitfähigen Teilen der baulichen Anlage und elektrischen und elektronischen Systemen z. B. durch vermaschte Potentialausgleichs-Netzwerke und durch Beschaltung aller elektrischen Leitungen an den Blitzschutzzonengrenzen mit Überspannungsschutzgeräten und Blitz- und Überspannungsschutz Elektropraktiker, Berlin 57 (2003) 2 125 Klassifizierung der zu schützenden baulichen Anlage Bestimmung der notwendigen Schutzklasse Auswahl der Art des äußeren Blitzschutzes Materialart (Korrosionsprobleme) (brennbare Oberflächen) Dimensionierung der Bauteile der LPS natürliche Bestandteile der LPS Fangeinrichtung horizontale Fangleitungen, Maschennetz vertikale Fangeinrichtungen, Fangstangen freigespannte Fangleitungen natürliche Fangeinrichtungen Ableiteinrichtung Entwurf der blanken Ableitungen verdeckt oder sichtbar benötigte Anzahl natürliche Bestandteile Erdungsanlage Typ B-Fundamenterder Typ A- oder A- und B-Erder natürliche Bestandteile innerer Blitzschutz LEMP-Entwurf Potentialverbindung und Schirmung Näherung und Kabelführung Ableiter (SPD) Zeichnungen und Spezifikation der LPS B B B B B B B B B B B B B B Flußdiagramm für den Entwurf eines Blitzschutzsystems A bezieht sich auf VDE V 0185-2 ; B bezieht sich auf VDE V 0185-3 ·engste Zusammenarbeit von Architekt, Auftraggeber, Planer und Errichter erforderlich Anzeige · Minimierung induzierter Spannungen und Ströme in empfindlichen Systemen durch Schirmung und induktionsarme Leitungsführung. 6.1 Potentialausgleichs-Netzwerke Potentialausgleichs-Netzwerke entstehen durch vielfache niederinduktive Verbindung aller metallenen Komponenten einer baulichen Anlage. Diese dreidimensionalen, maschenförmigen Netzwerke mit typischen Maschenweiten von 5 m vermeiden nicht nur gefährliche Potentialdifferenzen, sondern sie reduzieren durch mehrfache Aufteilung des Blitzstroms auch das magnetische Feld innerhalb der baulichen Anlage. Um einen wirksamen LEMP-Schutz zu erreichen, sind die Erdungsanlage, Potentialausgleichsschienen an den Blitzschutzzonengrenzen, elektromagnetische Schirme, Armierungen sowie Schränke, Gehäuse und Gestelle von elektronischen Systemen konsequent mit dem Potentialausgleichs-Netzwerk zu verbinden. Detaillierte Hinweise und Beispiele für die Planung und Ausführung der Potentialausgleichs-Netzwerke und die Einbeziehung metallener Komponenten enthält die Vornorm. 6.2 Überspannungsschutz Ein breiter Teil der Norm befasst sich mit der Begrenzung von Überspannungen in elektrischen und elektronischen Systemen durch Überspannungsschutzgeräte (SPD). Diese sind entsprechend der elektrischen Festigkeit der zu schützenden Anlagen und Geräte auszuwählen und an den Blitzschutzzonengrenzen zu installieren. Ein ausreichender Überspannungsschutz gelingt in der Regel nicht mit einem einzigen SPD, sondern es müssen mehrere in Reihe geschaltet werden. Das erfordert jedoch ihre energetische Koordination (Bild ). Durch energetische Koordination der SPD wird erreicht, dass diese innerhalb des Schutzsystems energetisch, d. h. durch · die beanspruchende Überspannung (U1, U2), · den abzuleitenden Blitzstrom (I1, I2) und · die Beanspruchungsdauer nicht überlastet werden. Dies gelingt durch belastungsgerechte Auswahl und in der Regel durch Entkopplung der SPD mit geeigneten Entkopplungselementen (Induktivitäten, Widerstände, Kabelimpedanzen) oder durch Verwendung getriggerter SPD. Die unterschiedlichen Koordinationsmethoden, die Koordination unterschiedlicher SPD-Typen und die Auslegung der Entkopplungselemente werden in der Norm beschrieben und mit zahlreichen Bildern erläutert. 6.3 Schirmung und Leitunsführung Ein wesentlicher Beitrag zur Minimierung von induzierten Überspannungen kann durch zweckmäßige Schirmung und Leitungsführung erreicht werden. Das ist besonders wichtig, wenn im Blitzschutzsystem keine ausreichende Aufteilung des Blitzstroms und Schwächung des magnetischen Feldes erfolgt, z. B. durch zusätzliche Ableitungen und Potentialausgleichsleitungen. In diesem Fall kann die Induktionswirkung des Blitzstroms durch · Minimierung der Flächen von Leiterschleifen, · Verwendung von geschirmten Kabeln oder metallenen Kabelkanälen und · räumliche Schirmung von Bauwerks-oder Anlagenteilen reduziert werden (Bild ). So können z. B. durch Einbeziehung von metallenen Fassaden und Stahlarmierungen in das Blitzschutzsystem wirksame Schirmungen entstehen. 7 Resümee Mit den neuen Normen zum Blitz- und Überspannungsschutz steht den deutschen Blitzschutzfachleuten ein umfassendes Regelwerk für die Planung, Errichtung, Prüfung und Wartung von Blitzschutzsystemen zur Verfügung. Es beruht auf dem internationalen Stand der Blitzschutztechnik und trägt in besonderem Maße dem Schutz empfindlicher elektrischer und elektronischer Anlagen und Ausrüstungen Rechnung. Die Anwendung der neuen Normen erfordert für alle am Blitzschutz Beteiligten zweifellos eine gewisse Einarbeitung und insbesondere für den Planer eine intensivere Beschäftigung mit der Gefährdungs- und Risikoanalyse der zu schützenden baulichen Anlage sowie mit der Ermittlung der notwendigen Blitzschutzklasse. Dieser Aufwand ist jedoch für die Errichtung effizienter, moderner Blitz- und Überspannungsschutzsysteme notwendig Literatur [1] Engelmann, E.: Neue Normen für den Blitz- und Überspannungsschutz - Teil 1. Elektropraktiker, Berlin 57(2003)1, S. 39-41. Blitz- und Überspannungsschutz Elektropraktiker, Berlin 57 (2003) 2 126 SPD 1 SPD 2 Entkopplungselement UDE, IDE U1, I1 U2, I2 geschütze Seite Impulsstrom 2 3 2 3 Allgemeines Modell für die energetische Koordination von Überspannungsschutzgeräten (SPD) bei vernachlässigbar kleiner Impedanz des Potentialausgleichs-Netzwerkes Ungeschützes System Verringerung der Magnetfeldwirkung durch geschirmte Leitungen 2 3 Verringerung des Magnetfeldes innerhalb einer Blitzschutzzone durch räumliche Schirmung Verringerung der Induktionsschleife durch geeignete Leitungsführung Verringerung der Induktionswirkung durch Schirmung und Leitungsführung 1 Geräte; 2 Energieleitung; 3 Datenleitung; 4 Fläche der Induktionsschleife; 5 räumliche Schirmung; 6 geschirmte Leitung
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Autor
- E. Engelmann
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