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Elektrotechnik | Schutzmaßnahmen

Kriterien für Auswahl und Festlegung von Schutzklassen

ep4/2010, 3 Seiten

Welche Kriterien sind entscheidend für Auswahl und Festlegung der Schutzklasse I/II bei Elektroverteilungen, Schaltschränken oder Schaltanlagen?


Diese Fragestellung ist gar nicht so selten und ungewöhnlich. Bei den Kriterien und Maßnahmen zur Erfüllung und Erhaltung der Schutzklasse II besteht häufig Unsicherheit. Leider werden auch bei Ausführungen der Schutzklasse I nicht immer die richtigen Zusammenhänge beachtet. Diese Probleme werden in den letzten Jahren immer deutlicher, weil durch eine „falsche Erdung“ der Anlagen Störströme, vagabundierende Ströme und auch Schutzleiterströme die EMV (Elektromagnetische Verträglichkeit) erheblich beeinflussen. Das ist zwar nicht Gegenstand dieser Beantwortung, jedoch sind diese Themen u. a. auch seit einiger Zeit auf der Agenda der nationalen Normung mit internationalem Hintergrund im DKE/UK 431.1 Niederspannungs- Schaltgerätekombinationen. Hier ist ein zukünftiger Ersatz für DIN EN 60439-1 (VDE 0660-500) [1] mit der geplanten Dokumentnummer DIN EN 61439-1/A100 (VDE 0660- 600-1/A100) [2] in Arbeit, aber dieser Hinweis ergeht nur zur allgemeinen Information.
Vorab eine Kurzfassung der Antwort: Elektrotechnisch gesehen gibt es für die Entscheidung zugunsten von Schutzklasse I oder II nur eine Begründung: Die Zielsetzung, der „Schutz gegen elektrischen Schlag“, muss mit den getroffenen Maßnahmen oder den vorhandenen Voraussetzungen erreicht werden!
Zugegeben, diese Antwort scheint doch etwas zu theoretisch zu sein und muss Nachfragen provozieren. Aber trotzdem besteht die Kernaussage und wird mit dem Hinweis auf das jeweilige Netzsystem ergänzt. In der Praxis wird darüber hinaus in bestimmten Anwendungen grundsätzlich die Schutzklasse II gefordert, wie z. B. bei elektrischen Anlagen, zu deren Bedienung Laien Zutritt haben.
Genauere Betrachtung der vorstehenden Ausführungen führt zu folgenden Begründungen: Durch das vorhandene oder zu errichtende Netzsystem werden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um mit Hilfe von entsprechenden Maßnahmen und Einrichtungen die Zielsetzung „Schutz gegen elektrischen Schlag“ zu erreichen. Bekannte Stichworte hierzu: automatische Abschaltung der Stromversorgung, maximale Abschaltzeiten, maximale Berührungsspannungen, Impedanzen der Fehlerschleifen, Schutzmaßnahmen usw. Für die Elektroinstallation in Gebäuden wird seit Erscheinen der DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410) [3] die automatische Abschaltung bevorzugt, jedoch muss dies bei elektrischen Verteilungen anders betrachtet werden.
In der Praxis wird aufgrund der Umgebungsbedingungen in Gewerbe- und Industriegebäuden oft ein Isolierstoff-Gehäusesystem wegen der hohen Schutzart gewählt, das aber auch die Bedingungen für die Anwendungen der Schutzklasse II erfüllt. Umgekehrt wird aus optischen oder anderen Gründen ein Stahlblech- Schrank system gewählt, das dann in dem Fall, in dem die Schutzklasse II notwendig ist, mit Hilfe besonderer konstruktiver Innenausbauten und Merkmale für die Schutzklasse II ertüchtigt oder dafür hergestellt wurde.
Forderungen in Normen, in Richtlinien und beispielsweise auch in den TAB, wonach bestimmte Betriebsmittel generell in der Schutzklasse II auszuführen sind, sind in der Regel im Zusammenhang mit Abschaltbedingungen und besonderen Sicherheitsforderungen als Schutzmaßnahme entstanden (Stichwort: Bedienung für Laien zugänglich). Bei elektrischen Betriebsmitteln erfolgt die Klassifizierung in Schutzklassen abhängig von der Art des „Schutzes gegen elektrischen Schlag“. Das heißt, damit werden die Maßnahmen und Merk male definiert, die gegen berührungsgefährliche Spannungen schützen.
Merkmale der Schutzklasse I: Der Schutz gegen den elektrischen Schlag wird einerseits durch die Basisisolierung, durch Abdeckungen gegen direktes Berühren sowie andererseits durch die dauerhafte und durchgängige Verbindung der berührbaren, leitfähigen Teilen des Betriebsmittels mit dem Schutzleiter des fest installierten Erdungssystem gemäß DIN VDE 0100-540 [4] erreicht. Versagt die Basisisolierung, dann muss über den Schutzleiter zwingend eine automatische Abschaltung durch die dem Fehler vorgeschaltete Schutzeinrichtung erfolgen. Voraussetzung dafür aber ist die Erfüllung der entsprechenden Abschaltbedingungen. Die Abschaltbedingungen setzen wiederum Maßnahmen voraus, die vom jeweiligen Netzsystem bestimmt werden bzw. davon abhängig sind.
Die Betrachtungen der Netzsysteme (TN-, TT- oder IT-System) beginnen immer von der Netz-Zugangsseite und müssen deshalb mit der Gesamtanlage koordiniert werden, damit andere Maßnahmen das Ziel nicht beeinträchtigen oder aufheben. Sind die Abschaltbedingungen auf Basis des geplanten oder vorhandenen Erdungssystems für die elektrische Verteilung auf diesem Weg nicht zu erreichen, dann muss durch andere Maßnahmen das Schutzziel „Schutz gegen elektrischen Schlag“ erreicht werden, wie beispielsweise durch Einsatz einer zusätzlichen Fehlerstrom- Schutzeinrichtung (RCD) vor der elektrischen Verteilung der Schutzklasse I. Bei großen Leistungen ist dieser Weg teilweise mit hohem Aufwand und Kosten verbunden, da Leistungsschalter mit additiven Einrichtungen die Differenzstromüberwachung und im Fehlerfall auch die automatische Abschaltung garantieren müssen. Als Alternative wird in solchen Fällen die Ausführung der Schaltanlagen in Schutzklasse II gewählt, welche derzeit in der Praxis bis zu Bemessungsströmen von etwa 2500 A realisiert werden können.
Merkmale der Schutzklasse II: Der Schutz gegen den elektrischen Schlag baut natur - gemäß auf der Basisisolierung auf. Sämtliche leitfähigen Konstruktionsteile des Betriebsmittels im Inneren der gemeinsamen Außenhülle aus Stahlblech oder Isolierstoff werden auch im Inneren dieser Umhüllung nicht mit dem Schutzleiter verbunden, sondern im Betriebszustand zusätzlich gegen Berühren isolierend abgedeckt. Das heißt, die Gesamtheit aller leitfähigen Konstruktionsteile des Betriebsmittels im Inneren sind und dürfen auch nicht konstruktiv mit einer leitfähigen gemeinsamen Außenhülle (z. B. Stahlblechhülle) verbunden werden. Daraus resultieren dann auch logische Bedingungen für den „durchgeschleiften“ Schutzleiter im Inneren der Verteilung, der selbstverständlich zugeführt und dann verteilt wird. Die Betriebsmittel zur Verteilung des Schutzleiters (z. B. Klemmen oder Schienen) müssen ebenfalls gegenüber den anderen leitfähigen Konstruktionsteilen isoliert werden. Konstruktive Elemente zur Verbindung des Innenausbaus/Traggerüsts mit der Außenhülle dürfen nur isoliert mit der leitfähigen Hülle verbunden werden. In der Praxis wird aufgrund einer zweiten zusätzlich verstärkten Isolierung der spannungsführenden Betriebsmittel und Verbindungen von einer Doppelisolierung gesprochen (auch bekannt als Schutzisolierung).
Die Anforderungen im Einzelnen, inklusive der entsprechenden Prüfkriterien, können den einschlägigen Betriebsmittelnormen, wie z. B. DIN EN 60439-1 [1], DIN EN 60439-3 [5] sowie DIN VDE 0603-1 [6] entnommen werden.
Typgeprüfte Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen TSK oder PTSK müssen gemäß [1] grundsätzlich in einer geeigneten Schutzklasse ausgeführt sein. Nach Abschnitt 1.1 in [1] gilt dies sowohl für Schaltgerätekombinationen für die Erzeugung, Verteilung und Umformung von elektrischer Energie, als auch für die Steuerung von Betriebsmitteln, die elektrische Energie verbrauchen. Danach ist die Schutzklasse I und die Schutzklasse II zulässig.
Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen in Wohnhäusern sind nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die für diese Zwecke geltenden zusätzlichen Anforderungen (siehe: Bedienung durch elektrotechnische Laien) erfüllt sind. Solche zusätzlichen Anforderungenregelt neben der DIN EN 60439-3 [5] (z. B. für Installationsverteiler mit Schutzeinrichtungen zur Anwendung im Wohnbereich, zu deren Bedienung Laien Zutritt haben) auch die DIN VDE 0603-1 [6] – insbesondere den Anwendungsbereich für Betriebsmittel der Energiezuführung, Energieverteilung und Energiemessung in elektrischen Anlagen für Wohnhäuser, Schulen, Verwaltungs-, Bürogebäude und ähnliche Anlagen. Zum Anwendungsbereich der DIN VDE 0603-1 [6], Abschnitt 2, zählen:
  • Installationskleinverteiler nach DIN 43871 und
  • Zählerplätze nach Normenreihe DIN 43870.
Gemäß [6], Abschnitt 4.1.1, müssen die oben aufgeführten Betriebsmittel schutzisoliert (in der Schutzklasse II) ausgeführt werden. Diese Festlegungen ist gleichlautend auch schon seit einigen Jahrzehnten in den TAB und Richtlinien der Energieversorger.
Fazit. Mit all diesen Erläuterungen sind nun sicherlich alle wichtigen Kriterien, die für die Auswahl und Festlegung der Schutzklasse I oder II bei Elektroverteilungen und Schaltanlagen von Bedeutung sind, ausreichend begründet, ohne an dieser Stelle weiter in die Tiefe gehen zu müssen. Kenntnisse zu den Netzsystemen sowie auch Zusammenhänge zu Berührungsspannungen, Abschaltzeiten, zu einzelnen Schutzmaßnahmen und den entsprechenden Schutzeinrichtungen werden als bekannt vorausgesetzt.
Zur Information und Vervollständigung sei noch erwähnt, dass die Schutzklasse 0, bei der neben der Basisisolierung kein Schutz gegen den elektrischen Schlag besteht, in Deutschland und auch Österreich verboten ist. Die Schutzklasse III (Schutzkleinspannungen) kann zwar im Zusammenhang mit elektrischen Verteilungen der Schutzklassen I oder II zum Einsatz kommen, ist jedoch auch nicht Gegenstand der vorgenannten Betrachtungen und Fragestellung.

Quellen

DIN EN 60439-1 (VDE 0660-500):2005-01 Niederspannungs- Schaltgerätekombinationen – Teil 1: Typgeprüfte und partiell typgeprüfte Kombinationen.

Normentwurf DIN EN 61439-1/A100 (VDE 0660- 600-1/A100):2009-09 Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen – Teil 1: Allgemeine Festlegungen.

DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2007-06 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 4-41: Schutzmaßnahmen – Schutz gegen elektrischen Schlag.

DIN VDE 0100-540 (VDE 0100-540):2007-06 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 5-54: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel – Erdungsanlagen, Schutzleiter und Schutzpotentialausgleichsleiter.

DIN EN 60439-3 (VDE 0660-504):2002-05 Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen – Teil 3: Besondere Anforderungen an Niederspannungs- Schaltgerätekombinationen, zu deren Bedienung Laien Zutritt haben; Installationsverteiler.

DIN VDE 0603-1 (VDE 603-1):1991-10 Installationskleinverteiler und Zählerplätze AC 400 V; Installationskleinverteiler und Zählerplätze.


Autor
  • G. Budde
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