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Arbeiten unter Spannung (AuS) | Elektrotechnik

Gefährdungen beim Arbeiten unter Spannung im NS-Bereich

ep5/1999, 3 Seiten

Eine wesentliche Voraussetzung für das Festlegen zielgerichteter und wirkungsvoller Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen ist das Beurteilen der Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz.


Vorschriften und Normen In den berufsgenossenschaftlichen Leitfäden zur Gefährdungsbeurteilung wird bei der elektrischen Gefährdung unterschieden zwischen: · gefährlichen Körperströmen und · Lichtbögen. Körperströme sind bereits dann gefährlich, wenn sie Sekundärunfälle auslösen können, z. B. den Sturz von der Leiter nach einem Stromschlag. Die genannten Gefährdungen sind seit Nutzung der Elektrizität bekannt und das Unfallgeschehen gründlich erforscht und dokumentiert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse haben ihren Niederschlag in Vorschriften und Normen gefunden. Für das Arbeiten an elektrischen Anlagen sind in der Unfallverhütungsvorschrift VBG 4 „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ weitreichende Schutzziele festgelegt. Diese werden ergänzt durch Detailregelungen in einschlägigen VDE-Bestimmungen, z. B. enthalten DIN VDE 0105 Teil 100 im Abschnitt 6.3 umfangreiche Anforderungen zum AuS [1][2] und DIN VDE 0104 [3] Bestimmungen zum Errichten und Betreiben von Prüfanlagen. Für das AuS sind also bereits Schutzmaßnahmen festgelegt, quasi Maßnahmenkataloge vorhanden, die üblicherweise erst das Ergebnis einer durchgeführten Gefährdungsbeurteilung sind. Kann auf die Ermittlung der beim AuS auftretenden Gefahren gänzlich verzichtet werden, weil entsprechende Vorschriften bereits bestehen? Nein, denn es soll in einer vorausschauenden Betrachtung ermittelt werden, wer unter welchen Ursachen und Bedingungen an einem Arbeitsplatz oder bei einer bestimmten Tätigkeit wie gefährdet ist. Gefährdungsermittlung Wichtig ist ein ganzheitlicher Ansatz, der es erlaubt, alle mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen und Belastungen „unfallunabhängig“ zu berücksichtigen. „Unfallunabhängig“ bedeutet, daß auch solche Gefährdungen ermittelt werden, die bisher noch nicht zu Unfällen geführt haben. Ferner sind Belastungen zu berücksichtigen, die Ursache von Berufserkrankungen oder Erkrankungen infolge arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren sein können. Die Schutzziele in den genannten Vorschriften sind weder so umfassend, noch so präzisiert wie es für die Festlegung konkreter Maßnahmen nach den oben genannten Kriterien erforderlich ist. Es sind also weitergehende Betrachtungen anzustellen, Randbedingungen/ periphere Gefährdungen zu berücksichtigen, die sich negativ auf die Sicherheit beim AuS auswirken können. In Einzelfällen ist ferner zu ermitteln, ob weitere Gefährdungen, z. B. durch elektromagnetische Felder relevant sind. Eine systematische Erfassung und Beurteilung der Gefährdungen und Belastungen ist deshalb unverzichtbar, um die Voraussetzungen für sicheres AuS zu schaffen. Dabei sind zu berücksichtigen: · Tätigkeit und Arbeitsverfahren, · Arbeitsbereich und Umgebungsbedingungen, · verwendete Werkzeuge, Ausrüstungen, Schutz- und Hilfsmittel, · Anlagenbauweise, · Qualifikation der ausführenden Personen. Das Einbeziehen der Beschäftigten, z. B. durch eine Mitarbeiterbefragung, führt zu nützlichen und zusätzlichen Informationen. Die methodische Vorgehensweise einer Gefährdungsermittlung erfordert eine Systemabgrenzung auf einen bestimmten Arbeitsbereich. Häufig wird man wegen ständig wechselnder Einsatzbereiche eine tätigkeitsbezogene Erfassung möglicher Gefährdungen unter Berücksichtigung der Umgebung und der Anlagenbauweise vornehmen, z. B. für das Erstellen einer Abzweigmuffe, das Auswechseln einer Sicherungsleiste oder ähnliches. Da diesem Beitrag eine Systembegrenzung fehlt, kann er logischerweise auch keine abschließende Gefährdungsermittlung für ein spezielles Arbeiten unter Spannung beinhalten. Statt dessen werden Gefährdungen grundsätzlicher Art beschrieben sowie an einigen konkreten Beispielen gezeigt, wie Gefahren auf ein akzeptables Maß reduziert werden können. Auswertung von Elektrounfällen Zur Ermittlung typischer Gefährdungen und unfallauslösender Gründe wurden Elektrounfälle aus einem Zeitraum von drei Jahren ausgewertet, die von den Technischen Aufsichtsbeamten der BG F&E untersucht und ausführlich dokumentiert wurden. Von den 165 untersuchten Unfällen wurden 22 beim Arbeiten an unter Spannung stehenden NS-Anlagen verursacht (Tafel ). In einer Art retrospektiver Fehlerbaumanalyse lassen sich daraus bereits wesentliche Gefährdungsmerkmale ableiten. Für die Gefahr der Körperdurchströmung und der Lichtbogenbildung kommen unter Berücksichtigung des Unfallgeschehens und aufgrund der Erfahrungen des Verfassers bei Betriebsbesichtigungen und Schulungen im wesentlichen die folgenden Faktoren in Betracht: · Organisationsmängel, · fehlende Qualifikation, · unsichere Arbeitsstelle, · erschwerte Umgebungsbedingungen, · unzulängliche Ausrüstung, · Verhaltensfehler. Elektropraktiker, Berlin 53 (1999) 5 440 Arbeitsschutz Gefährdungen beim Arbeiten unter Spannung im NS-Bereich H. Hoffmeyer, Ottobeuren Eine wesentliche Voraussetzung für das Festlegen zielgerichteter und wirkungsvoller Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen ist das Beurteilen der Gefährdungen und Belastungen am Arbeitsplatz. Beim Arbeiten an elektrischen Anlagen unter Spannung (AuS) wird man sich vorwiegend auf die elektrische Gefährdung konzentrieren. Im Beitrag werden Gefährdungen grundsätzlicher Art beschrieben sowie an einigen konkreten Beispielen gezeigt, wie Gefahren auf ein akzeptables Maß reduziert werden können. Dipl.-Ing. Horst Hoffmeyer ist Revisionsingenieur der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, Köln. Autoren Tafel Unfallursachen beim AuS (ausgewertet wurden 22 Unfälle) Anzahl Ursachen 6 Fehlerhafter Meßaufbau, beschädigte Meßgeräte, Bedienungsfehler 5 Benutzung von ungeeignetem Werkzeug 3 Arbeiten ohne bzw. völlig unzureichender PSA 3 Unerwartete Fremdeinspeisung 1 Beengte Arbeitsverhältnisse 1 Fehlerhaftes Betriebsmittel 1 Unzureichende Qualifikation eines Mitarbeiters 1 Schnitt mit dem Messer in einen isolierenden Handschuh 1 Verursachung eines Brandes durch Kurzschluß an einer NS-Verteilung beim Schweißen mit Brand- u. Rauchgasentwicklung Organisationsmängel Fehlende Betriebsregelungen, wer unter welchen Voraussetzungen unter Spannung arbeiten darf und wer befugt ist, das Arbeiten unter Spannung anzuweisen. Unklare Zuständigkeiten bei der Durchführung der Arbeiten, keine eindeutige Aufgabenzuweisung, Arbeitsverantwortliche werden nicht bestimmt. Unklare Abgrenzung zwischen Anlagen-und Arbeitsverantwortlichen, die Übergabe der Anlage erfolgt nicht in einem eindeutig definierten Zustand. Arbeitsverfahren werden nicht gründlich erprobt. Bei Auswahl der Verfahren wird einseitig auf das Tragen persönlicher Schutzausrüstungen abgestellt, statt bessere Arbeitstechniken auszuwählen. Qualifizierte Fachaufsicht ist nicht gegeben. Arbeitsanweisungen sind unzulänglich oder nicht vorhanden. Es fehlen Anweisungen, die Aussagen enthalten, wie Werkzeuge und Schutzausrüstungen ordnungsgemäß zu erhalten und zu prüfen sind. Unterweisungen sind inhaltlich und qualitativ unzureichend. Fehlende Qualifikation Verantwortliche Elektrofachkräfte. Häufig sind ausreichende Informationen über die Gefahren des elektrischen Stroms und die Kenntnis der einschlägigen Vorschriften bei verantwortlichen Elektrofachkräften nicht imerforderlichen Umfangvorhanden.Mögliche Defizite (zum Teil in der Ausbildung begründet) müssen dann durch innerbetriebliche Schulungen ausgeglichen werden. Elektrofachkraft. Oft erfolgt keine solide Ausbildung als Elektrofachkraft. Hingegen wird nicht selten im Schnellverfahren ein Mitarbeiter aus einem artfremden Beruf zur „Elektrofachkraft“ qualifiziert. Fehlende Spezialausbildung für das handwerkliche Arbeiten unter Spannung nach DIN VDE 0105-100, Abschn. 6.3 c), und keine regelmäßige Wiederholung dieser Ausbildung. Meß- und Prüfaufgaben. Ungenügende Ausbildung von Fachkräften, die Meß- und Prüfaufgaben ausführen. Die Unfallstatistik zeigt, daß teilweise keine ausreichenden Kenntnisse vorhanden sind, um die Gefahren richtig einschätzen zu können. Unsichere Arbeitsstelle Unzureichende Beleuchtung der Arbeitsstätte gestattet es nicht, präzise zu arbeiten. Häufig werden keine geeigneten Leuchten mitgeführt. Unterschiedliche Potentiale in der Umgebung der Arbeitsstelle werden nicht berücksichtigt. Beispielsweise werden benachbarte spannungführende Teile oder in der Nähe befindliche leitende und mit Erde in Verbindung stehende Teile nicht abgedeckt. Herumliegendes Material führt zur Stolpergefahr und beeinträchtigt die Übersichtlichkeit. Bewegungsfreiheit ist nicht ausreichend, so daß sogar in Zwangshaltungen gearbeitet werden muß. Insbesondere bei der Montage von Muffen sind derartige Zustände immer wieder anzutreffen. Für eine ausreichende Muffenlochgeometrie ist deshalb zu sorgen. Brennbare oder leicht entzündliche Stoffe am Arbeitsplatz führen zu einer erhöhten Brand- und Explosionsgefahr. Ungeeignete Standorte, insbesondere bei höhergelegenen Arbeitsplätzen, führen zu erhöhten Gefahren. Die im Bild gezeigte Aluminiumanlegeleiter ist kein geeigneter Aufstieg, um am Schaltschrank Messungen unter Spannung durchzuführen. Die Leiter liegt am Schaltschrankgehäuse an. Dadurch kann es leicht zu gefährlichen Spannungsverschleppungen oder Körperdurchströmungen kommen. Erschwerte Umgebungsbedingungen Feuchte und nasse Räume bedeuten verminderte Isolationseigenschaften in der Umgebung des Beschäftigten und stellen damit eine erhöhte Gefahr für eine Körperdurchströmung dar. Ungünstige Wetterbedingungen bewirken Gefährdungen: · Kälte führt zu klammen Fingern und zur Beeinträchtigung der Werkzeughandhabung. · Hitze führt zur Schweißbildung und der Neigung, notwendige persönliche Schutzausrüstungen (PSA) nicht zu tragen. Es ist nicht vertretbar, bei hohen Außentemperaturen mit einem isolierenden Schutzanzug auf einem Dach körperlich anstrengende Arbeiten verrichten zu lassen. Durch geeignete PSA und eine zweckmäßige Arbeitszeitgestaltung lassen sich derartige Gefährdungen reduzieren, z. B. könnten Arbeiten auf Dächern bei großer Hitze nur vormittags ausgeführt werden. Bei Arbeiten im Kabelgraben bietet ein Sonnenschirm Schutz vor Sonnenstrahlung. · Gefährdungen durch Niederschläge können durch Schutzzelte gemindert werden. Unzulängliche Ausrüstung Meßgeräte. Der Umgang mit ungeeigneten und beschädigten Meßgeräten ist häufige Unfallursache. · Warum werden statt konventioneller Elektropraktiker, Berlin 53 (1999) 5 Arbeitsschutz Drehfeldmesser, zu deren Bedienung mindestens drei Hände erforderlich sind, nicht sichere Geräte eingesetzt, wie sie im Handel erhältlich sind (Bilder )? · Noch immer kommt es beim Einsatz von Multimetern zu Unfällen, die überwiegend deshalb geschehen, weil bei einer Spannungsmessung der Strompfad beaufschlagt wird. Neben der Auswahl sicherer Meßgeräte sind Randbedingungen für den Einsatz dieser Geräte in leistungsstarken Anlagen festzulegen. Unzweckmäßige Werkzeuge. Werden zum Abisolieren von Kabeln und Leitungen Messer verwendet, so erhöht sich nicht nur die elektrische Gefahr, es können auch Schnittverletzungen auftreten. Die Werkzeugauswahl ist deshalb mit besonderer Sorgfalt zu treffen. Für das Abmanteln von Kabeln sollten möglichst Spezialwerkzeuge, wie die im Bild zu sehende Abmantelungszange (für den Rund- und Längsschnitt geeignet) verwendet werden. Ungeeignete Kleidung,Tragenvon Schmuck. Keine oder unzureichende PSA, aber auch „eine überdimensionierte“ Schutzausrüstung erhöhen die Gefährdung. Es ist sorgfältig zu erwägen, welche PSA für die jeweilige Arbeit ausreicht, um die Gefahren auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Es macht wenig Sinn, bei der Festlegung der PSA immer das Maximum zu fordern. Die Beschäftigten setzen diese Forderungen in der Praxis nicht um. Es zählt aber nur das, was akzeptiert wird. Eine Schutzausrüstung mit maximaler Schutzwirkung und minimaler Trageakzeptanz ist deshalb ungeeignet. Leider wird dem Aspekt des Tragekomforts auch in den Vorschriften und Normen zu wenig Bedeutung beigemessen. Es wäre wünschenswert, wenn neben den Schutzeigenschaften der Mensch stärker im Mittelpunkt stünde. Wahrscheinlich würde dies dazu beitragen, die Trageakzeptanz zu erhöhen. Wenn jedoch Ergänzungen zu den in den Vorschriften festgelegten Mindestforderungen sinnvoll erscheinen, dann sollten sie auch eingeführt werden. Zwei Beispiele seien genannt. 1. Dünne Baumwollhandschuhe unter den isolierenden Handschuhen sorgen für mehr Tragekomfort (s. Bild ). 2. Die linke Hand ist beim Ziehen und Einsetzen von NH-Sicherungen üblicherweise ungeschützt, obwohl sie sich oft in direkter Nähe der Gefahrstelle befindet. Weshalb also diese Hand nicht durch einen Lederhandschuh schützen (Bild Verhaltensfehler Bestimmte körperliche Einschränkungen können das Risiko beim Arbeiten unter Spannung erhöhen. Psychische Belastungen können zu Unsicherheiten, zum Zittern der Hände oder anderen Erscheinungen führen, die ein sicheres Arbeiten nicht mehr gewährleisten. Vorübergehende gesundheitliche Störungen oder psychische Belastungen (Übermüdung, Unwohlsein) können zu den gleichen Auswirkungen führen. Es ist wichtig, daß die Beschäftigten ihre Vorgesetzten darüber informieren können, ohne Nachteile fürchten zu müssen. Besonders zuverlässig müssen Mitarbeiter sein, die Arbeiten unter Spannung ausführen. Es kann nicht akzeptiert werden, daß die in Schulungen und Unterweisungen vermittelten Kenntnisse in der Praxis über Bord geworfen werden und ein unsicherer Kurs gefahren wird. Falls derartiges wiederholt bei einem Mitarbeiter beobachtet wird, muß dies schließlich zu einem Entzug der Erlaubnis zum AuS führen. Dauerhaftes präventives Sicherheitsverhalten ist in der Praxis nur bedingt zu erreichen. Fehlverhalten ist bei elektrischen Unfällen ganz allgemein als häufigste Unfallursache festzustellen. Es sollten deshalb neue Wege gesucht werden, um das Verhalten der Beschäftigten gezielter und wirksamer zu beeinflussen. Motivationsmaßnahmen unter Anwendung erprobter psychologischer Methoden könnten geeignete Instrumente sein, um das Verhalten nachhaltiger zu beeinflussen. Literatur [1] DIN VDE 0105 Teil 100:1997-10 Betrieb von elektrischen Anlagen. [2] Kathrein, W.: DIN VDE 0105-100.10/97 Betrieb von elektrischen Anlagen. Elektropraktiker, Berlin 51(1997)12, S. 1074-1076, 52(1998)1, S. 62-64. [3] DIN VDE 0104:1989-10 Errichten und Betreiben elektrischer Prüfanlagen. Elektropraktiker, Berlin 53 (1999) 5 442 Arbeitsschutz Aluminiumleiter bergen Gefahren beim AuS Geeignetes Meßgerät auswählen a) konventionelles Drehfeldmeßgerät (ungeeignet) b) zweipoliges Spannungs- und Drehfeldprüfgerät c) Drehfeldprüfstecker Spezialwerkzeug zum Abmanteln von Kabeln Höherer Tragekomfort durch dünne Baumwollhandschuhe Schutz der linken Hand beim Einsetzen von NH-Sicherungen

Autor
  • H. Hoffmeyer
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