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Betriebsführung | Recht

Aus dem Gerichtssaal: Anstelle Kabel - 206.000 Euro in den Sand gesetzt

ep10/2007, 8 Seiten

Das Urteil in diesem Prozess ist so unerwartet wie der Schadensfall selbst: Erst 14 Jahre nach Fertigstellung der elektrotechnischen Erschließungsmaßnahmen für einen Lebensmittelbetrieb trat der Schaden ein – und trotzdem wurden die Beteiligten zum Schadensersatz verurteilt.


Schadensereignis Mehr als 14 Jahre haben an sechs Tagen in jeder Woche Fahrzeuge mit Rohware und Fertigprodukten mit einem täglichen Gewicht von mindestens 200 t die Beton-Zufahrt des Teigwarenbetriebs überfahren. Wie so oft im Leben trat auch hier der Schaden völlig unerwartet und zur unglücklichsten Zeit ein: Am Freitag, den 22. Dezember, um 13:43 Uhr meldete das Störmeldesystem den Ausfall der Sicherheitsstromversorgung: · somit blieben sämtliche Produktionsmaschinen und Laufbänder im Backbereich stehen · die im Backofen auf Laufbändern befindliche Ware verbrannte · die fertig gebackene Ware mit einer Temperatur von ca. 160 °C blieb auf dem Weg in den Tiefkühlturm stehen · im Tiefkühlturm, in dem die Fertigwaren binnen 2 bis 3 min. Durchlaufzeit von ca. 160 °C auf -26 °C gefrostet wird sowie · im Tiefkühl-Eingangslager selbst taute binnen kurzer Zeit die Ware, da sich die elektrisch betriebenen Jalousien nicht mehr schließen ließen und die Abwärme des Backbereiches nachströmen konnte. In der Folgezeit bis zur Reparatur des Schadens sank auch die Temperatur im Tiefkühl-Hauptlager auf Temperaturen zwischen -19 °C bis -16 °C, wodurch die unterste Grenze der Tiefkühl-Kette unterschritten wurde. Als Tiefkühl-Kette wird der Transportweg vom Verlassen des Tiefkühllagers in der Produktionsstätte über die einzelnen Zwischenlager, den Groß- und Einzelhandel bis zum Verbraucher bezeichnet, der an keiner Stelle die Temperatur von -18 °C überschreiten darf. Um dies sicherzustellen, verlässt Tiefkühlkost in der Regel das Hauptlager mit einer Temperatur, die deutlich unter -18 °C liegt, im vorliegenden Fall bei -26 °C. Immenser Gesamtschaden Der Schaden trat zudem zur denkbar ungünstigsten Zeit ein - kurz vor Weihnachten. Mit dem kompletten Ausfall der Sicherheitsstromversorgung entstand schließlich ein riesiger Gesamtschaden: Der Sachschaden allein betrug ca. 129000 Euro, die Produktionsausfallkosten rund 77400 Euro und Reparaturkosten etwa 14000 Euro. Klage duch den Versicherer. Die Versicherung des Backwaren-Unternehmens übernahm zwar den Schaden der insgesamt rund 206400 Euro, machte aber von ihrem Recht des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 Abs. 1 BGB Gebrauch und verklagte den Architekten, das Ingenieurbüro und die Ausführungsunternehmen für Tiefbau und Elektro zur Schadensbeteiligung. Urteil des Gerichts. Das Gericht erkannte die Klage an und verurteilte die Beteiligten zur Zahlung von je einem Viertel der Schadenssumme. Während die Haftpflichtversicherungen des Architekten und des Ingenieurbüros nach Prüfung der Ursachen und Wirkungen den jeweiligen Schaden übernommen haben, blieb der Anteil der Ausführungsunternehmen wegen der 1998 bzw. 2001 eingetretenen Insolvenz offen. Ausgleichspflicht des Gesamtschuldners. In einem nachträglichen Gerichtsverfahren wurden deshalb Architekt und Ingenieurbüro mit Verweis auf die Ausgleichspflicht des Gesamtschuldners zur jeweils hälftigen Schadensübernahme verurteilt. Im § 426 Abs. 1 BGB heißt es hierzu: „Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nichts anderes bestimmt ist. Kann von einem Gesamtschuldner der auf ihn entfallene Beitrag nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern zu tragen“. Kabelschaden als Ursache des Übels Ursache des ganzen Desasters war ein Kabelschaden, anstelle der Kabelbettung „... auf fester, glatter und steinfreier Oberfläche der Grabensohlen möglichst in Sand oder steinfreier Erde“ [2] erfolgte die Verlegung auf dem Verfüllboden über den Abwasser- und Regenleitungsrohren. Dieser Verfüllboden enthielt Betonbruchstücke bis zu 8 cm Größe. Hiermit sind auch die Kabeltrassen verfüllt worden (Bilder und ). Auch die auf den Bildern erkennbare „wilde Art der Kabelverlegung“ macht deutlich, dass die besonders hoch bepreisten und beauftragten Leistungen sowohl des Tiefbaubetriebes als auch des Elektrounternehmens mehr als mangelhaft ausgeführt wurden. Eine Kabelfehlerortung ergab zweifelsfrei den exakten Schadensort und die Ursache: ein unter dem Kabel liegendes Betonbruchstück hatte sich im Lauf der Jahre von unten her in das Kabel gedrückt, bis die Isolierung des PEN-Leiters und eines Außenleiters soweit zerstört waren, dass ein Kurzschluss die Folge war (Bilder und ). Elektropraktiker, Berlin 61 (2007) 10 864 BETRIEBSFÜHRUNG Aus dem Gerichtssaal Anstelle Kabel - 206 TEuro voll in den Sand gesetzt! Das Urteil in diesem Prozess ist so unerwartet wie der Schadensfall selbst: Erst 14 Jahre nach Fertigstellung der elektrotechnischen Erschließungsmaßnahmen für einen Lebensmittelbetrieb trat der Schaden ein - und trotzdem wurden die Beteiligten zum Schadensersatz verurteilt. „Wilde Kabelverlegung“ auf dem Verfüllboden über den Abwasser- und Regenleitungsrohren Von einer Kabelbettung in Sand oder steinfreier Erde kann hier nicht die Rede sein EP1007-862-877 20.09.2007 10:37 Uhr Seite 864 Urteilsbegründung Sowohl der Architekt als auch das Ingenieurbüro waren ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen, obwohl beide mit dem Überwachen der Leistungsausführung (Leistungsphase 8 nach HOAI) beauftragt worden waren. Zwar hatte der Architekt den Versuch unternommen, die Gesamtverantwortung den Ausführungsunternehmen zuzuordnen und auf die Auswahl der Fachplaner und Ausführungsunternehmen durch den Auftraggeber hingewiesen. Dies wurde jedoch vom Gericht mit Verweis auf eine diesbezügliche Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 09.11.2000 (Az. VII ZR 392/99) abgelehnt: Die Sorgfaltspflichten des mit der Bauaufsicht beauftragten Architekten sind nicht deshalb gemindert, weil die ausgeschriebenen Arbeiten vom Bauherrn selbst vergeben wurden. Zwar ist der die Bauaufsicht führende Architekt nicht verpflichtet, sich ständig auf der Baustelle aufzuhalten. Er muss jedoch die Arbeiten in angemessener und zumutbarer Weise überwachen und sich durch häufige Kontrollen vergewissern, dass seine Anweisungen sachgerecht erledigt werden. Dies wird auch nicht dadurch gemindert, wenn der Architekt einen Teil der Arbeiten nicht selbst vergeben hat. Vorgeschichte Wunschkandidaten erhalten den Zuschlag Für den Bau dieser Teigwaren-Produktionsstätte wurde 1991 eine vollständige Planung vom Investor (nachstehend als Auftraggeber bezeichnet) bei einem Architekturbüro in Auftrag gegeben. Wie in derartigen Fällen üblich, übernahm dieses Büro die vollständige bauliche Planung der Produktionsstätte sowie der Außenanlagen. Für die Technische Gebäudeausrüstung einschließlich der Erschließung mit Elektro- und Kommunikationsanlagen, Wasser/ Abwasser, Fernwärme und Gasversorgung wurden Fachplaner nach einer beschränkten Ausschreibung gebunden. Für alle Ingenieurbüros galt die Anforderung, bei ihrer Bewerbung um die planerischen Leistungen neben dem Nachweis der Fachkunde und der Referenzvorhaben auf diesem Gebiet auch zu erklären, dass ausreichend Fachingenieure für eine sehr kurzfristige Planung, eine sorgfältige Mitwirkung bei der Auftragsvergabe und zur ständigen Bauüberwachung zur Verfügung stehen. Aus dem Kreis der zur Angebotsabgabe aufgeforderten 4 Ingenieurbüros - jeweils zwei hatten der Auftraggeber und der Architekt vorgeschlagen - hat sich der Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung letztendlich für den dritten Bieter entschieden. Dieses Ingenieurbüro hatte der Auftraggeber auch selbst zur Angebotsabgabe vorgeschlagen, nach eigenem Bekunden „ohne nähere Beziehungen“. Dessen Offerte sei schlüssig gewesen, sie enthielt Referenzen und Kopien von Dankesschreiben anderer Investoren und auch den Hinweis, dieses Büro könne den gesamten Bereich der Haustechnik bedienen. Zuversichtlich, dass auf diese Art und Weise die sehr kurze Bauzeit fachlich ausreichend abgesichert wird, nahm der Investor die um etwa 39 % (!) höhere Honorarsumme gegenüber dem billigsten Bieter in Kauf. Der Honorarvertrag wurde auf der Grundlage der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) geschlossen. Leistungsprogramm. Das Leistungsprogramm enthielt u. a. die Außenerschließung mit Starkstrom- und Fernmeldeanlagen, aber auch mit Wasser-, Abwasser-, Fernwärme- und Erdgasanschlüssen. Unterlagen in hoher Qualität. Dem Ingenieurbüro sind vom Investor die Bauzeichnungen, das Raumprogramm, die Ausstattungsanforderungen sowie die Maschinenaufstellungspläne übergeben worden. Auch die zusätzlichen Sicherheitsanforderungen für die Betriebsstätte mit Beurteilung der Brand- und Explosionsgefährdung einschließlich des bereits behördlich abgestimmten Rettungswege-Konzeptes standen den Beteiligten zur Verfügung - eine in dieser Qualität äußerst seltene Vorleistung des Auftraggebers und des federführenden Architekten. Werkvertrag. Namens und in Vollmacht des Auftraggebers hat der Architekt mit den Ingenieurbüros einen entsprechenden Ingenieur-Leistungsvertrag abgeschlossen, derartige Verträge sind i.d.R. Werkverträge nach § 631 BGB. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass der Architekt oder Ingenieur die Herbeiführung eines Erfolges, nämlich die mängelfreie Herstellung eines Werkes schuldet. Werkverträge kommen wie alle Verträge durch Angebot und Annahme zustande (§§ 145 ff. BGB). Die sehr kurzfristig vom Ingenieurbüro für Elektrotechnik ausgeführten Planungsleistungen der Leistungsphasen 1 bis 5 aus der HOAI haben alle vertraglichen Anforderungen erfüllt. Die erarbeiteten Leistungsverzeichnisse bildeten die Grundlage für die Auftragsvergabe, die ebenfalls nach beschränkter Ausschreibung erfolgte. Auch hier erhielt nicht das billigste Angebot den Zuschlag, sondern der drittbeste von fünf Bietern, wie sich später herausstellte, dem „Wunschkandidaten“ des Ingenieurbüros. Mangelnde Ausführung durch den Auftragnehmer Die nachfolgende Ausführung durch den elektrotechnischen Auftragnehmer erfolgte schleppend, teilweise mit größeren Nacharbeiten und Restmängeln. Eine ordnungsgemäße Übergabe blieb das Unternehmen schuldig. Hieran nahmen weder Auftraggeber, Architekt noch das Ingenieurbüro Anstoß. Arbeit unter Zeitdruck. Im Mittelpunkt aller Aktivitäten stand der Fertigstellungs- bzw. Inbetriebnahmetermin für die Produktionsstätte. Erst etwa zwei Monate vor der Inbetriebnahme wurde durch den Auftraggeber festgestellt, dass die Flächen und das Volumen für die Zwischenlagerung der Tiefkühlprodukte vom technologischen Ausrüstungsunternehmen zu gering angesetzt waren. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle Ver- und Entsorgungsleitungen verlegt, jeweils in getrennten Trassen für Wasser/Abwasser und Fernwärme sowie für Elektro- und Kommunikationstechnik. Trafostation und Sicherheitsstromversorgung machte Tiefkühllager Platz. Auf der Suche nach dem neuen zusätzlichen Standort für das Tiefkühllager ergab sich als einzige, baurechtlich zulässige Baufläche der Bereich der elektrotechnischen Erschließung. Kurzfristig wurde ein neues Gebäude für Trafostation und Sicherheits-Stromversorgungsanlage errichtet, die teilweise bereits eingebrachten Ausrüstungen (Schaltanlagen, Transformatoren) in das neue Gebäude umgesetzt und das bestehende Gebäude abgerissen. Die bereits ordnungsgemäß verlegten Kabel Elektropraktiker, Berlin 61 (2007) 10 866 BETRIEBSFÜHRUNG Schadensstelle vor Trennung des Kabels Schadensstelle im Kabel nach Trennung des Kabels EP1007-862-877 20.09.2007 10:37 Uhr Seite 866 - mit dem notwendigen Abstand zwischen den Kabeln für die Netze der Allgemeinen Stromversorgung und denen für die Sicherheits-Stromversorgung sowie für Kommunikationsanlagen - wurden freigelegt und in eine neue Trasse umverlegt. Umverlegen der Trasse. Auch für diese Trasse war eine ordnungsgemäße Planung vorgenommen und zur Ausführung freigegeben worden. Die geplante Ausführung wurde vom Architekten zur Vermeidung von Unterbrechungen im sonstigen Baustellenbetrieb auf ein Wochenende - Freitag 15 Uhr bis Montag früh 5 Uhr - zur Ausführung bestimmt. Keine Überwachung der Neuausführung. In dieser Zeit waren weder der eigene zum Architekturbüro gehörende Bauleiter für die Tiefbauarbeiten noch ein kompetenter Vertreter des Elektrounternehmens vor Ort, um die Ausführung der Arbeiten zu überwachen. Wegen der bereits im neuen Trassenverlauf verlegten Rohrleitungen für Wasser und Abwasser war Handschachtung im Leistungsverzeichnis vorgeschrieben. Für die neuen Kabelverlegeflächen war ein Kiesbett neben der Rohrtrasse vorgegeben sowie die Einbettung und Abdeckung der Kabel mit ca. 40 cm Kies mit einer maximalen Körnung von 3 mm. Auch die notwendige Abdeckung mit Kabelabdeckhauben sowie die Kennzeichnung des Kabelverlaufs mit Kennzeichnungsband waren Gegenstand des Leistungsverzeichnisses. Aus welchen Gründen auch immer, diese Vorgaben aus der Planung sind weder vom Tiefbauunternehmen noch vom Elektrounternehmen sach- und fachgerecht erbracht worden. Keine Bautagebücher. Da an diesen Tagen keine Bautagebücher geführt worden sind, konnte später erst durch gerichtliche Anhörung einiger Mitarbeiter der einzelnen Ausführungsbetriebe die spätere Schadensursache ermittelt werden: Die befragten Beschäftigten gaben übereinstimmend an, dass man sich „wegen eines wichtigen Sportereignisses“ auf Maschinenschachtung geeinigt habe und den Boden neben bzw. über der Rohrleitungstrasse glätten werde. Da auch der vorgegebene Kies zur Kabel-Einbettung und Abdeckung den Tiefbau-Mitarbeitern nicht zur Verfügung stand, habe man sich dazu abgestimmt, dass mit dem ausgehobenen Füllboden die Kabel abgedeckt werden sollten. So die Praxis. Doch noch vor Abschluss der Verfüllarbeiten verließen die Mitarbeiter am Samstag gegen 11 Uhr die Baustelle. Seitens des Tiefbaubetriebs wurde unmittelbar danach mit der Herstellung einer Betonzufahrt über der Kabeltrasse begonnen. Im nachfolgenden Baurapport wurde von den Unternehmen die termingerechte und fachgerechte Ausführung der Leistungen zur Kenntnis gegeben und im Protokoll vermerkt. Vom Auftraggeber sind sämtliche Leistungen aller beteiligten Unternehmen an diesem rund 34 Mio. DM teuren Bauvorhaben fristgerecht und vollständig bezahlt worden. Stellung des Ingenieurbüros Beratungspflicht Hinsichtlich der Schadensfolgen ist vom Richter - einem elektrotechnischen Laien (!) - im Laufe des Verfahrens u. a. an das Ingenieurbüro die Frage gestellt worden, warum ein Produktions-und Lagerkomplex mit einem so hohen finanziellen und materiellen Wert nur über ein Kabel versorgt wird und nicht zwei Kabel besser gewesen wären. Die Antworten lauteten: „in den VDE-Vorschriften ist eine derartige Anforderung nicht enthalten“ und „seitens des Auftraggebers ist in der Aufgabenstellung keine diesbezügliche Notwendigkeit vorgegeben“. Das veranlasste den Richter zu der Feststellung, dass doch aber gerade die Architekten und Ingenieure auch eine Beratungspflicht haben. Hierzu gehören neben der gestalterischen Lösung und der Einhaltung der Normenvorgaben auch ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte. Dabei spielen Maßnahmen zur Schadensabwehr und die Energieeffizienz ebenso eine entscheidende Rolle wie die technische Sicherheit zum Schutz von Menschen, Tieren und Sachwerten. Gerade der materielle Schaden von rund 129000 Euro wäre nach Auffassung des Gerichts mit einem (Zitat) „zweiten, unabhängig davon verlegten Kabel vermieden worden. Insofern ist das Ingenieurbüro seiner Beratungspflicht nicht nachgekommen“. Angesichts der vertraglich vereinbarten Honorarsumme, die um rund 39 % höher als der billigste Bieter gelegen habe, konnte der Bauherr und Investor davon ausgehen, dass sowohl die Planung alle Anforderungen berücksichtigt als auch die Bauüberwachung „bis zum letzten Anschluss“ erfolgt. Schließlich sei im Rahmen der angeordneten Beweissicherung u. a. ein Vergabevermerk beim Investor/Bauherrn gefunden worden. Danach wurde der nicht unerhebliche Mehrpreis für das beauftragte Ingenieurbüro damit begründet, dass damit die ständige Anwesenheit von Bauleitung und -betreuung auf der Baustelle gesichert sei. Hierauf durfte der Bauherr vertrauen - auch wenn zwischen dem Stammsitz des Ingenieurbüros und der Baustelle eine Entfernung von mehr als 350 km lag - davon rund 250 km auf Straßen mit den damals noch DDR-typischen Standards - Schlaglöcher und Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 60 km/h und weniger. Leistungsgegenstand des Ingenieurvertrages Neben den üblichen Vertragsgrundlagen enthielt der Planervertrag sowohl für die Planung als auch für die Ausführung die Festlegung, dass „die allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie alle einschlägigen technischen Normen einzuhalten sind und zur Ermittlung der anrechenbaren Kosten die DIN 276 in der jeweils gültigen Fassung zu verwenden ist“. Nachteile der Festlegung. Diese vom Ingenieurbüro gewünschte Festlegung hat sich später in zweierlei Hinsicht als nachteilig herausgestellt. Besser wäre die Regelung gewesen, dass er lediglich die zum Zeitpunkt der Ausführung der geplanten Leistungen gültigen Regeln nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Stand der Wissenschaft und Technik zu berücksichtigen hat. Damit haftet er nicht für eine spätere Änderung der technischen Regeln oder des Standes von Wissenschaft und Technik. Für die Beurteilung des Werkes eines Planers als mangelhaft sind der Zeitpunkt der letztinstanzlichen Urteilsfindung maßgeblich und nicht die Zeitpunkte der Erbringung der Leistung oder Abnahme des Werkes. Maßgeblich ist stets der nach dem Vertrag geschuldete Erfolg: die dauerhaft mangelfreie Herstellung des geschuldeten Werkes i.S.d. § 631 BGB. Honorarordnung (HOAI) Anders als bei handwerklichen Leistungen, deren Preis sich „nach wirtschaftlichen Erfordernissen durch Angebot und Nachfrage am Markt selbst regulieren soll“ - meist nur Wunschdenken von Politikern und Beamten - ist die „Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI)“ in der zum Vertragsabschluß gültigen Fassung die Abrechnungsgrundlage. Sie regelt per Gesetz die Vergütung von Architekten- und Ingenieurdienstleistungen. Dabei werden die Honorare nicht frei ausgehandelt, sondern nach „Leistungsbildern“ ermittelt. Wie bei anderen freien Berufen gilt die Honorarordnung stets als Grundlage für die Bemessung des Honorars. Eine Unterschreitung kann (und darf) „... nur in Ausnahmefällen“ erfolgen (Abs. 2 § 4 HOAI). In der Literatur findet man als Fundstellen für diese Ausnahmefälle, dass Planungsleistungen für enge Bekannte und nahe Verwandte eine Honorarminderung rechtfertigt. Scheinbar ist danach die gesamte öffentliche Hand miteinander verwandt und verschwägert, von zahlreichen Bauträgern und ähnlichen „erfolgsorientierten Unternehmen“ ganz zu schweigen! Geschichtlicher Rückblick So in der BRD. Im Jahr 1956 wurde die Gebührenordnung für Ingenieure (GOI) ins Leben gerufen, die aber von den Fachplanern der Elektrotechnik selten angewendet wurde. Aus welchen Gründen auch immer wurden Honorare für Elektroplanungen weiterhin frei vereinbart oder als Zeithonorar oder Pauschalhonorar festgelegt. Eine Honorarordnung für Elektroingenieure wurde erst 1969 Elektropraktiker, Berlin 61 (2007) 10 868 BETRIEBSFÜHRUNG EP1007-862-877 20.09.2007 10:37 Uhr Seite 868 aufgestellt, als die Leistungshonorarordnung für Ingenieure (LHO) vom Ausschuss für die Honorarordnung der Ingenieure verfasst wurde. Die Bundesregierung wurde nach den §§ 1 und 2 des Gesetzes zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. November 1971 ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Honorarordnungen für Leistungen der Architekten und Ingenieure zu erlassen. Aufgrund dieser Ermächtigung erging die Honorarordnung vom 17. September 1976, die jedoch keine Leistungen für technische Ausrüstungen und Leistungen beinhaltete. Deshalb bildeten bis 1985 die Leistungsbilder und -Sätze sowie die Gebührentafel der LHO die Grundlage für Leistungen der Elektro-Ingenieure, während andere fachplanerischen Leistungen der Gebäudetechnik weiterhin auf der Grundlage der GOI erfolgten. Erst die HOAI in der novellierten Fassung vom 1. Januar 1985 hat alle ingenieurtechnischen Leistungen im Teil IX der HOAI zusammengefasst. Die §§ 68 bis 76 sind mit getrennten Leistungsbildern und -sätzen, jedoch mit einer gemeinsamen Gebührentafel und Klasseneinteilung für die gesamte technische Ausrüstung, anzuwenden. Diese Aussagen zum Honorarrecht gelten nur für die alten Länder der Bundesrepublik und für den Westteil Berlins. Anders in der DDR. In der DDR sind Anfang der 70er-Jahre im Rahmen der Maßnahmen zur Beseitigung des Mittelstandes per Ministerratsbeschluss private Ingenieurbüros geschlossen worden. Die entstandene Lücke sollte durch volkseigene Projektierungsbetriebe gefüllt werden, die allerdings wegen der Eingliederung in die Planwirtschaft nur wenig Gestaltungsfreiheiten entwickeln konnten. Mitte der 80er-Jahre wurde deshalb stillschweigend den Handwerksbetrieben das Recht zuerkannt, Projektierungsleistungen - also Planungsarbeiten - auszuführen und zu berechnen. Die Preisbildung erfolgte nach (Fest-) Preisanordnungen, so u. a. für elektrotechnische und elektronische Anlagen nach der Anordnung Preise PR. 575 (Gesetzblatt-Sonderdruck 1370). Leistungen nach der HOAI Die HOAI kennt Grundleistungen (§ 2 Abs. 2), besondere Leistungen (§ 2 Abs. 3) und zusätzliche Leistungen (§§ 28). Sachlich zusammengehörende Grundleistungen sind in Leistungsphasen zusammengefasst, sachlich zusammengehörende Leistungsphasen wiederum bilden ein Leistungsbild. Für die Elektrowerke ist das Leistungsbild „Technische Gebäudeausrüstung“ (§§ 78 bis 76 HOAI) maßgebend; die Gesamtleistung wird in Leistungsphasen aufgeteilt. Diese Leistungsphasen bilden die kleinsten rechnerischen Elemente der Honorarrechnung, die sich nach dem Schwierigkeitsgrad der zu erbringenden Leistungen aus einer von 3 Honorarzonen ergibt (Kasten). Für die Honorarermittlung ist jeder dieser Leistungsphasen ein Prozentsatz (von Hundertsatz) in Abhängigkeit der Honorarzone zu geordnet. Damit gibt es eindeutige Voraussetzungen für eine korrekte Honorarermittlung. HOAI in der Diskussion Dieser kurze Überblick über die HOAI lässt erkennen, dass für Architekten- und Ingenieurverträge soweit alles geregelt ist, um Unklarheiten in der Leistungserbringung und eventuelle Streitigkeiten zu vermeiden. Natürlich führen unzulängliche Planungsangebote auf Dauer nur zu einer Qualitätsminderung, die entweder den geschuldeten Erfolg der Leistung gegenüber dem Bauherren nicht erbringt oder letztendlich das Ausführungsunternehmen mit planerischen Leistungen überfordert. Diese Verfahrensweise ist nicht neu. Bereits 1921 ist über die „Förderung der Freien Berufe“ mit Qualitätsvorgaben für Leistungen und die Erarbeitung einer Honorarordnung diskutiert worden. Angesichts so vieler Submissionsblüten, die es nicht nur bei elektrohandwerklichen Unternehmen gibt, stellt sich die Frage, warum sich auch Architekten und Ingenieure trotz der gesetzlichen Honorarvorgabe der „preislichen Prostitution“ hingeben. Ist es Unkenntnis, dass Verstöße gegen die HOAI als Gesetzesbruch geahndet werden (können)? Ist nicht die HOAI auf Druck und durch Initiative der berufsständischen Verbände in Deutschland entstanden, um endlich eine gesunde Honorarbasis für innovative und zugleich leistungsorientierte Aufgaben zu schaffen? Hat also die Bundesregierung recht, wenn sie am Erfordernis der HOAI Zweifel hat und lieber auch hier eine „Geiz-ist-geil-Praxis“ wünscht? Kritiker der HOAI äußern stets den Vorwurf, dass die Honorarordnung dem kostengünstigen öffentlichen und privaten Bauen abträglich sei. Ein Blick über die deutschen Grenzen beweist aber, dass eine rein preisorientierte Vergabepraxis erhebliche Defizite in sich birgt. Gerade die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass ein Festhalten an der bewährten HOAI für alle Seiten vorteilhaft ist. Seit die Honorarordnungen in Österreich und Großbritannien gerichtlich für unverbindlich erklärt wurden, grassiert auf diesen Märkten das Preisdumping. Eine so verstandene „Honorarunordnung“ kann deshalb nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Sie ist im Grundsatz „massenorientiert“: verrechnet wird ein Prozentsatz von den Baukosten. Somit ist dort kein Ingenieur und kein Architekt davor geschützt, seine Leistungen zu Schleuderpreisen anbieten zu müssen. Gutes Geld für gute Planung Jeder sachlich und betriebswirtschaftlich denkende Bauherr wird einem Ingenieur oder Architekten, der durch intelligente Planungsleistungen die Bau- und Betriebskosten, wie z. B. Energiekosten, Wartungs- und sonstige Betriebskosten, senkt, nicht weniger, sondern mehr zahlen wollen. Wenn sowohl die Ingenieurbüros und Handwerksbetriebe als auch die Hersteller elektrotechnischer Produkte die noch immer schleppende Anwendung intelligenter Bus-Systeme beklagen, dann liegt ein wesentlicher Grund auch darin, dass der erforderliche planerische Aufwand an Zeit, an Weiterbildungskosten und für die notwendige technische Infrastruktur - selbst bei Anwendung der (teuersten) Honorarzone - für das zu berechnende Honorar in keinem gesunden Verhältnis zueinander stehen. Die Auskömmlichkeit des Honorars ist aber eine der Voraussetzungen dafür, dass Architekten und Ingenieure ebenso phantasievoll und innovativ wie leistungsorientiert an ihre Aufgaben herangehen können. Jede Honorarreduzierung führt zwangsläufig zu einer geminderten Leistung - und die schädigt im Regelfall den Bauherrn. Jeder vernunftbegabte Beamte im zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) sollte begreifen, dass die HOAI als Preisverordnung erhalten bleibt, gleichzeitig neu strukturiert und vereinfacht werden muss. Sowohl die Bundesingenieurkammer als auch die Bundesarchitektenkammer setzen sich für eine Novellierung der HOAI ein, die den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedin-Elektropraktiker, Berlin 61 (2007) 10 870 BETRIEBSFÜHRUNG Leistungsphasen für die Grundleistungen sind: 1. Grundlagenermittlung - Ermitteln der Voraussetzungen zur Lösung einer technischen Aufgabe 2. Vorplanung - Erarbeiten der wesentlichen Teile einer Lösung der Planungsaufgabe 3. Entwurfsplanung - Erarbeitung der endgültigen Lösung der Planungsaufgabe 4. Genehmigungsplanung - Erarbeiten der Vorlagen für die erforderlichen Genehmigungen 5. Ausführungsplanung - Erarbeiten und Darstellen der ausführungsreifen Planungslösung 6. Vorbereitung der Vergabe - Ermitteln der Mengen und Aufstellen von Leistungverzeichnissen 7. Mitwirkung bei der Vergabe - Prüfen der Angebote und Mitwirkung bei der Auftragsvergabe 8. Objektüberwachung - Überwachen der Leistungsausführung 9. Objektbetreuung und Dokumentation - Überwachen der Beseitigung von Mängeln, Dokumentation des Gesamtergebnisses. EP1007-862-877 20.09.2007 10:37 Uhr Seite 870 gungen Rechnung tragen, zugleich aber auch gesetzlich dem Honorardumping einen Riegel vorschiebt. Haftungsrisiken Leider ist das deutsche Zivilrechtssystem nicht gerecht. Die Vorleistungspflicht des gesamten Bauhandwerks wird zunehmend von den Auftraggebern missbraucht. Mangelnde Zahlungsmoral gefährdet die Existenz der meist kleineren Unternehmen. Ständig wird über unzulängliche planerische Unterlagen der Bauherren geklagt, die neben der ohnehin schon umfangreichen, nicht verrechenbaren Nebenleistungen aus der VOB/C (z. B. DIN 18382 „Nieder- und Mittelspannungsanlagen mit Nennspannungen bis 36 kV“) dem ausführenden Unternehmen zusätzlichen Aufwand abverlangt. Damit nicht genug, scheint auch das gesetzliche Haftungssystem die Rechtsposition des Handwerks zu erschweren. Grundsätzlich haftet jedermann, der einem anderen einen Schaden durch sein fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten zugefügt hat. Das ist letztendlich auch die Schlüsselfrage für Entscheidungen in Haftungsprozessen. Der Bauhandwerker haftet aber auch noch dafür, dass sein Werk ordnungsgemäß funktioniert! Vorsätzliches Handeln Vorsatz bedeutet das Wissen um den Erfolg und das Wollen des Erfolgs. Der Handelnde sieht den Erfolg als notwendige Folge oder als Möglichkeit seines Handelns voraus. In diesem Fall haben die Mitarbeiter des Handwerks-Unternehmens vorsätzlich gehandelt - das schon deshalb, weil ihnen die Einbettung und Abdeckung der umverlegten Kabel in Erdreich mit hohem Bauschutt-Anteil bewusst war, und sie somit auch die Spätfolgen absehen konnten. Anstatt die mangelhafte Verlegung zu beseitigen und für eine ordnungsgemäße Verfüllung zu sorgen, wurde „Feierabend gemacht“. Wegen des fehlerhaften Verlegens und unsachgemäßen Verfüllens des Kabelgrabens verjährt die Beseitigungs- und Schadenersatzpflicht des Handwerksbetriebs erst nach dreißig Jahren. Fahrlässiges Handeln Fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Das heißt, man muss sich stets so verhalten, wie dies von einem besonnenen und gewissenhaften Menschen in der gleichen Situation erwartet wird. In diesem Fall kam der Richter nach gründlicher Prüfung zu der Erkenntnis, dass einem sorgfältigen Ingenieurbüro durch die (ständige = zeitnahe) Überwachung der Ausführungsbetriebe der Fehler nicht passiert wäre. Ein Miteinander ist gefragt Jeder Unternehmer haftet immer dann, wenn er sich nicht sorgfältig und umsichtig verhält. Die Anforderungen der Gerichte an sorgfältiges Verhalten sind äußerst hoch. Sie machen den oder die Unternehmer für jedes Ver- oder Übersehen, jede Nachlässigkeit, jeden Schlendrian, jeden Schaden aufgrund ungeklärter Kompetenzen seines Betriebs verantwortlich. Gerade deshalb ist eine kameradschaftliche, von gegenseitiger Achtung geprägte Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten notwendig. Sie allein ist der Garant für den geschuldeten Erfolg. Dies setzt aber voraus, dass sowohl Architekten und Fachingenieure als Erfüllungsgehilfen des Bauherrn und/oder Auftraggebers als auch die bauausführenden Unternehmen den geschuldeten Erfolg durch auskömmliche Angebote erbringen können. Literatur [1] Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) i.d.F. vom 4. März 1991 [2] DIN VDE 0100-520 „Errichten von Niederspannungsanlagen; Auswahl und Errichtung elektrischer betriebsmittel; Kabel und Leitungen [3] Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB); Teil B Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen [4] VOB/C DIN 18382; ,,Nieder- und Mittelspannungsanlagen mit Nennspannungen bis 36 kV“ [5] Der Fachplaner für elektrotechnische Anlagen, Autor: Dipl.-Ing. Karl Schauer, Hüthig-Verlag Heidelberg H.-J. Slischka Elektropraktiker, Berlin 61 (2007) 10 EP1007-862-877 20.09.2007 10:37 Uhr Seite 871

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  • H.-J. Slischka
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