Die Energiewende verfolgt anspruchsvolle Ziele, mit denen Deutschland seine Energieversorgung nachhaltig von fossilen und nuklearen Energieträgern auf erneuerbare umbauen will (Bild). Zur Überwachung und korrigierenden Steuerung dieser landesweit einmaligen Transformation eines Energieversorgungssystems hat die Bundesregierung, oder genauer gesagt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), ein Monitoring mit dem Namen „Energie der Zukunft“ eingerichtet und veröffentlicht dazu jährlich einen Monitoringbericht. Jeden dritten Bericht erweitert das BMWi zu einem Fortschrittsbericht, der neben der Dokumentation des Stands der Energiewende einen Ausblick auf die weitere Entwicklung vorlegen und wenn nötig weitreichende Maßnahmen vorschlagen soll [1]. Oder kürzer gefasst: Monitoringberichte liefern Fakten, Fortschrittsberichte zusätzlich Analysen. Sie zu begutachten und zu kommentieren ist Aufgabe einer unabhängigen Expertenkommission, die aktuell ihrer Aufgabe mit der „Stellungnahme zum zweiten Fortschrittsbericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2017“ im Mai 2019 nachgekommen ist [2].
Ziele der Energiewende im Überblick
Der Fortschrittsbericht enthält eine aufschlussreiche Tabelle mit Zielen der Energiewende, die bis ins Jahr 2050 reichen, zum Teil mit Zwischenschritten für die Jahre 2020, 2030 und 2040.
Die wichtigsten Punkte zusammengefasst, ergeben folgendes Bild: Die Energiewendepolitik in Deutschland will bis zum Jahr 2050 den Anteil der erneuerbaren Energien (EE-Anteil) am Bruttostromverbrauch auf 80 % steigern, den Primärenergieverbrauch im selben Zeitraum verglichen mit dem Jahr 2008 um 50 % senken und den Treibhausgasausstoß in Einklang mit den EU-Zielen um 80 bis 95 % verglichen mit dem Jahr 1990 reduzieren. Insgesamt sollen im Jahr 2050 mindestens 60 % des Bruttoenergieverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden.
Neben den quantitativen kennt der aktuelle Fortschrittsbericht auch qualitative Ziele. Gemeint sind an erster Stelle die zum energiepolitischen Zieldreieck (EnWG § 1) gehörigen Forderungen nach Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit; außerdem zum Beispiel die Festlegungen, die letzten Kernkraftwerke mit Ablauf des Jahres 2022 abzuschalten, die Übertragungsnetze auszubauen und zu digitalisieren sowie Potentiale der Sektorenkopplung besser zu nutzen. Und nicht zuletzt: Ende Januar 2019 hat die von der Bundesregierung installierte Kohlekommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ in ihrem Abschlussbericht unter anderem empfohlen, bis spätestens zum Jahr 2038 das Ende der Kohleverstromung zu beschließen [3].
Für vier Oberziele steht die Ampel auf Grün
Die Expertenkommission, besetzt mit vier unabhängigen Wissenschaftlern, hat zum Fortschrittsbericht für das Berichtsjahr 2017 auftragsgemäß eine Stellungnahme abgegeben (siehe auch den kurz gefassten Hinweis im ep 8/2019). Die dort gezeigte „Energiewendeampel“ dürfte die Übersicht auch für diesen Beitrag erleichtern und soll deshalb hier noch einmal zum Einsatz kommen.
Die Energiewendeampel zeigt „Grün“ für die Leitindikatoren in den Dimensionen Kernenergieausstieg (Abschaltung von Kernkraftwerken), erneuerbare Energien (Erhöhung des Anteils am Bruttoendenergieverbrauch), Preiswürdigkeit (Letztverbraucherausgaben für Strom, Wärme und Mobilität) und Akzeptanz (generelle Zustimmung zu den Zielen der Energiewende). Die Begründungen für diese Annahmen sind den detaillierten Stellungnahmen der Kommission zu entnehmen, die wichtigsten folgen hier in Kurzfassung.
Abschaltung von Kernkraftwerken. Die endgültige Stilllegung aller Kernkraftwerke bis Ende 2022 spielt weder im aktuellen Fortschrittsbericht der Bundesregierung noch im Gutachten der Energieexperten eine große Rolle, denn der Ausstieg aus der Atomenergie und die dazu gehörigen Termine sind gemäß dem 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 (13. AtGÄndG 2011) schon endgültig beschlossen. Die gravierende Folge ist, dass in Deutschland spätestens am 31.12.2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen wird.
Erhöhung des EE-Anteils am Bruttoendenergie- und Bruttostromverbrauch. Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch inklusive Eigenverbrauch für Strom- und Wärmeerzeugung sowie Transport- und Leitungsverluste soll laut Vorgabe des Energiekonzepts der Bundesregierung von 2010 auf 18 % bis zum Jahr 2020 und 30 % bis 2030 erhöht werden [4]. Dieses von der EU vorgegebene Ziel [5] erscheine zwar erreichbar, so die Experten, könne jedoch keineswegs als gesichert angesehen werden; Gleiches gelte für das Ziel, den EE-Anteil am Bruttostromverbrauch bis zum Jahr 2020 auf 35 % zu erhöhen. Die Zielerreichung „Erhöhung des EE-Anteils am Wärmeverbrauch“ ist den Experten zufolge nicht sichergestellt, während sie im Mobilitätsbereich unwahrscheinlich ist. Im Großen und Ganzen stimmt die Einschätzung der Kommission mit der der Bundesregierung überein. Trotz leiser Zweifel schaltet sie die Ampel für den Leitindikator auf Grün.
Letztverbraucherausgaben für Elektrizität. Auch der Leitindikator der Dimension Preiswürdigkeit, nämlich die Ausgaben der Letztverbraucher, liegt nach Meinung der Experten im grünen Bereich. Das BMWi kam hier zu dem Ergebnis, dass die Letztverbraucherausgaben für Elektrizität im Jahr 2017 gegenüber dem Vorjahr von 74,1 auf 75 Mrd. Euro gestiegen sind. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sank der Anteil der Ausgaben für Strom im Jahr 2017 erneut, und zwar um rund 3 %. Damit befand er sich auf dem niedrigsten Stand seit 2010. Im Jahr 2017 lag der Anteil der Letztverbraucherausgaben für Strom bezogen auf das nominale Bruttoinlandsprodukt bei 2,3 %, gegenüber 2,4 % im Jahr 2016. Das BMWi forderte aber in seinem Fortschrittsbericht für das Berichtsjahr 2017, bei kommenden Weichenstellungen das energetische Zieldreieck – Bezahlbarkeit beziehungsweise Wettbewerbsfähigkeit, Umweltverträglichkeit sowie Versorgungssicherheit – weiterhin als zentrale Richtschnur anzusehen. So sei es zum Beispiel wichtig, bei den anstehenden Maßnahmen zur Umsetzung des von der Kohlekommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ [3] empfohlenen Ausstiegs aus der Kohleverstromung auf die Entwicklung der Strompreise zu achten.
Akzeptanz der Energiewende. Der Leitindikator für die Akzeptanz der Ziele der Energiewende zeigt die Unterstützung für dieses Gemeinschaftsprojekt in der Gesellschaft. Sie sei aber nicht eindeutig zu bewerten, urteilt die Kommission. Zwar gebe es eine eindeutige generelle Zustimmung, doch sei die Zustimmung hinsichtlich der Umsetzung der Energiewende sowie bei der persönlichen Betroffenheit durch an der Energiewende orientierte Maßnahmen kaum gegeben. Insbesondere bei der Umsetzung der Energiewende habe sich die Einschätzung seit der letzten Stellungnahme verschlechtert. Für die generelle Zustimmung steht die Ampel deshalb auf Grün, für die beiden anderen hingegen auf Rot.
Autor: W. Wilming
Literatur:
[1] BMWi: Zweiter Fortschrittsbericht zur Energiewende „Energie der Zukunft“, Kurzfassung, Berlin 2019. Abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/monitoring-prozess.html; eingesehen am 18.07.2019.
[2] Expertenkommission zum Monitoringprozess: Stellungnahme zum zweiten Fortschrittsbericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2017, sonst wie vor.
[3] BMU: Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, Berlin 2019. Abrufbar unter https://www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/kommission-wachstum-strukturwandel-und-beschaeftigung; eingesehen am 12.07.2019.
[4] BMWi und BMU: Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung. Berlin, 2010. Abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/energiekonzept-2010.pdf; eingesehen am 10.07.2019.
[5] Euro-Lex: Richtlinie 2009/28/EG vom 23.04.2009. Abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32009L0028; eingesehen am 10.07.2019.
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