Elektrosicherheit | Brand- und Explosionsschutz
Aus dem Facharchiv: Elektropraxis
Brandursache Neutralleiterunterbrechung
30.01.2020
Nach einem Brandschaden lässt sich nicht in jedem Fall eine eindeutige Brandursache ermitteln. In vielen Fällen machen ein hoher Zerstörungsgrad oder die Veränderungen der Schadenstelle im Rahmen der Löschmaßnahmen eine fundierte Untersuchung im Hinblick auf die Brandursache unmöglich. Trotzdem ist es geschulten und erfahrenen Fachleuten in sehr vielen Fällen möglich, eine Brandursache eindeutig oder zumindest mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu ermitteln.
In einer seit 1999 geführten Schadendatenbank des IFS (Institut für Schadenverhütung und Schadenforschung) werden alle vom Institut untersuchten Brandschäden nachgehalten. Mit Stand November 2016 sind 14 529 Brandursachenermittlungen aufgeführt, die in verschiedene Kategorien weiter aufgegliedert sind. Mit knapp einem Drittel (4 624 Schäden) stellt die Gruppe „Elektrizität“ den weitaus größten Anteil an den ermittelten Brandursachen dar, was auch die vom IFS geführte Statistik für den Zeitraum 1999-2016 wiedergibt. Etwas mehr als jeder Zweite dieser Brandschäden wurde durch Elektrogeräte, wie zum Beispiel Wäschetrockner, Fernsehgeräte, Kühl- und Gefriergeräte, verursacht. Aber immer noch bei knapp einem Drittel, konkret in 1 252 Fällen, der elektrotechnischen Brandursachen wurde ein Mangel in der Elektroinstallation festgestellt. Darunter befinden sich aber lediglich acht Brandschäden, deren Ursache eindeutig (in sieben Fällen) oder mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit (in einem Fall) auf eine Neutralleiterunterbrechung zurückgeführt werden konnte.
Es lässt sich also feststellen, dass es sich bei der Neutralleiterunterbrechung um eine ungewöhnliche elektrotechnische Brandursache handelt, die nur sehr selten auftritt oder aber eventuell auch nicht in jedem Fall erkannt wird.
Die Einspeisung der Stromversorgung erfolgt über einen Dachständer. Im Dachgeschoss ist an dem Dachständer ein Hausanschlusskasten (HAK) montiert. Von dort ist eine hausinterne Leitung zum Zählerschrank mit Verteilung, kurz „Zählerschrank“ genannt, im Kellergeschoss verlegt. Von dort besteht eine Verbindungsleitung zu einer Unterverteilung im Obergeschoss.
Die schadenbetroffene Doppelhaushälfte wurde kurz vor dem Schadenereignis verkauft und von den neuen Eigentümern renoviert sowie bezogen. Unter anderem wurde die gesamte Elektroinstallation erneuert. Dabei wurde auch eine neue fünfadrige Verbindungsleitung von dem bestehenden Hausanschlusskasten im Dachgeschoss zum Zählerschrank im Kellergeschoss verlegt. Dieser Hausanschlusskasten war an der Trennwand zum Nachbarhaus unter der gartenseitigen Dachschräge montiert. Dort ragt aus der Wand noch die Zuleitung aus dem Nachbarhaus heraus, die ursprünglich die Einspeisung des alten HAK‘s darstellte.
Am Schadentag wurde von einer Elektrofirma an einem Stahlrohr eines neu errichteten Dachständers ein neuer Hausanschlusskasten angeschlossen. Diese Arbeiten seien zwischen 8:00 Uhr und 09:00 Uhr ausgeführt worden. Etwa eine Stunde später seien die abwesenden Hauseigentümer telefonisch über Rauchentwicklung aus dem Keller informiert worden. Die alarmierte Feuerwehr löschte den Brand. Das IFS wurde beauftragt, die Ursache des Brandes gemeinsam mit der zuständigen Polizeibehörde zu ermitteln. Der Brandschwerpunkt im Kellergeschoss des Hauses konnte eindeutig auf den Montageplatz des Zählerschrankes eingegrenzt werden. Auf dem Fußboden unterhalb des Zählerschrankes hatten sich Überreste verbrannter bzw. thermisch umgesetzter brennbarer Materialien aus dem Zählerschrank abgelagert. Durch den Abbrand dieser Materialien war es zu Rußniederschlägen an der Wand gekommen. In dem Zählerschrank lag allgemein ein hoher Zerstörungsgrad vor. Nennenswerte Überreste brennbarer Materialien fanden sich lediglich in der linken unteren Ecke des Stahlblechschrankes. Nach rechts und nach oben hin waren brennbare Materialien nahezu vollständig zerstört worden. Im rechten Feld des Schrankes fanden sich in einer Höhe zwischen der zweiten und der dritten Hutschiene von unten eine breite und zwei schmale Platinen, an die oben und unten jeweils Adern angeschlossen waren. Die Platinen waren bis auf die nicht brennbaren Gewebematerialien vollständig verbrannt. Einige Anschlusskontakte hatten sich von den Platinen gelöst. An mehreren Kupferadern fanden sich Schmelzspuren. Vom Fundort dieser Platinen ausgehend zeichnete sich ein trichterförmig nach oben ausbreitender Weißbrandbereich ab. Bei den Platinen handelte es sich nach den vor Ort erhaltenen Angaben um die Überreste dreier Module eines elektronischen Bus-Systems, eines Schalt- und Dimmmoduls sowie zweier Vierfach-Tast-, Binär- oder Alarmsensoren. Links unten in dem Zählerschrank war ein Sammelschienensystem montiert, das aus fünf Kupferschienen bestand. An diese Sammelschienen waren über Klemmen die fünf Adern der Verbindungsleitung vom Hausanschlusskasten angeschlossen (Außenleiter L1 bis L3, Neutralleiter und Schutzleiter). Eine elektrisch leitfähige Verbindung zwischen dem Neutralleiter und dem Schutzleiter bestand nicht (Bild). Literatur:[1] Hoyer, J.: Ungewöhnliche elektrische Brandursache – Neutralleiterunterbrechung; Schadenprisma, 2/2017, Berlin. Autor: J. Hoyer Der vollständige Artikel ist in unserem Facharchiv nachzulesen.
Grundlagen zur Auffrischung
Energieversorgung
In Deutschland besteht das Stromnetz aus drei spannungsführenden Außenleitern, L1 bis L3, einem Neutralleiter N, und einem Schutzleiter PE. Die drei Außenleiter sind miteinander verkettet und weisen eine Phasenverschiebung von 120° zueinander auf. Im Sternpunkt der drei Außenleiter wird der Neutralleiter generiert, der bei gleichmäßiger Strombelastung der Außenleiter keinen Strom führt. Man spricht in diesem Fall von einem symmetrischen Betriebszustand. Die elektrische Spannung zwischen den drei Außenleitern beträgt untereinander jeweils 400 V mit einer zulässigen Toleranz von ± 10 %. Zwischen den Außenleitern und dem Neutralleiter sowie zwischen den Außenleitern und dem Schutzleiter beträgt die Spannung jeweils 230 V, ebenfalls mit einer zulässigen Toleranz von ±10 %. Der Neutralleiter und der Schutzleiter weisen im Normalfall keine Spannungsdifferenz auf. Die Umstellung der elektrischen Spannung von 380 V/220 V auf 400 V/230 V erfolgte in Deutschland im Zuge der europäischen Harmonisierung schrittweise zwischen 1987 und 1992. Ausgeführt wird das Niederspannungs-Stromnetz in Deutschland heute in der Regel als TN-C-S-System. Die Systembezeichnung setzt sich wie folgt zusammen: Erster Buchstabe, T: Bezieht sich auf die Erdungsbedingung der speisenden Stromquelle und bedeutet direkte Erdung eines Punktes, zum Beispiel des Sternpunktes eines Transformators. Zweiter Buchstabe, N oder T: Bezieht sich auf die Erdungsbedingungen der Verbraucher in der elektrischen Anlage und bedeutet, dass der Verbraucher direkt mit der Betriebserde (N) bzw. mit der Erde (T) verbunden ist. Weitere Buchstaben, C und S: Beziehen sich auf die Anordnung des Neutralleiters und des Schutzleiters und bedeuten, dass diese beiden Leiter kombiniert (combined – C) bzw. getrennt (seperately – S) geführt sind. Das Verteilungsnetz des Energieversorgers wird dabei als TN-C-System mit einem kombinierten Schutz- und Neutralleiter (PEN) und das Stromnetz in der Kundenanlage als TN-S-System mit getrenntem Schutzleiter (PE) und Neutralleiter (N) realisiert. Die Auftrennung des kombinierten Schutz- und Neutralleiters erfolgt im Hausanschlusskasten. Der Schutzleiter wird direkt an die Potentialausgleichsschiene angeschlossen. In älteren Gebäuden sind auch noch Kundenanlagen mit kombiniertem Schutz- und Neutralleiter (TN-C-System) anzutreffen.Neutralleiterunterbrechung
Von einer Neutralleiterunterbrechung spricht man dann, wie der Name schon vermuten lässt, wenn der Neutralleiter im Stromnetz unterbrochen wird. In einer Kundenanlage gibt es grundsätzlich zwei denkbare Szenarien, in denen eine Neutralleiterunterbrechung auftreten kann. So kann es sowohl im Wechselstromnetz als auch im Drehstromnetz zu einer Neutralleiterunterbrechung kommen. Im Wechselstromnetz wird der Stromkreis aus einem Außenleiter und dem Neutralleiter gebildet. Bei einer Neutralleiterunterbrechung wird der Stromkreis aufgetrennt, sodass kein Stromfluss mehr möglich ist. Bei einer sonst fachgerechten Installation kommt es außer zum Ausfall des betroffenen Stromkreises zu keinen weiteren Problemen. Eine Brandverursachung ist durch diesen Fehler jedenfalls nicht möglich. Deutlich kritischer kann es in einem Drehstromnetz werden, wie zum Beispiel in einem Hausanschlusskasten, wenn es dort bspw. in der Elektroverteilung oder in der Leitung, zu einer Neutralleiterunterbrechung kommt. In diesem Fall kommt es nicht zwangsweise zu einer Unterbrechung des Stromkreises, sondern es bildet sich ein Stromkreis zwischen den Außenleitern mit einer Spannungsdifferenz von 400 V. Dabei kann es zu Spannungsverschiebungen auf den einzelnen Außenleitern und damit zu problematischen Spannungserhöhungen an einzelnen Verbrauchern kommen. Dabei können an Wechselstromverbrauchern, die für eine Nennspannung von 230 V ausgelegt sind, Überspannungen von bis zu fast 400 V auftreten, wodurch es zu Defekten und im Extremfall zu einer Brandinitiierung kommen kann. In üblichen Kundenanlagen, die nach dem aktuellen Stand der Technik installiert sind, werden die Stromkreise so aufgeteilt, dass eine annähernd gleichmäßige Belastung realisiert wird. Die jeweiligen Außenleiter L1 bis L3 sind dabei durch einen oder eine Parallelschaltung mehrerer Verbraucher belastet. Für die Erklärung der Spannungsverhältnisse beim Auftreten einer Neutralleiterunterbrechung wird im Folgenden aus Vereinfachungsgründen nur von einem Zusammenwirken von zwei Außenleitern L1 und L2 ausgegangen, die jeweils mit einem Verbraucher belastet sind. Der Gesamtwiderstand einer Reihenschaltung von Widerständen (Verbrauchern) ergibt sich aus der Summe der Einzelwiderstände. Aus dem ohmschen Gesetz ergibt sich, dass sich die Spannung proportional und der Strom umgekehrt proportional zum Widerstand verhält, das bedeutet, dass bei einer Reihenschaltung von zwei Widerständen am größeren Widerstand die höhere Spannung anliegt. Bei einer Reihenschaltung von zwei Verbrauchern mit einem etwa gleich großen Innenwiderstand über den „offenen“ Neutralleiter kommt es zu keiner kritischen Spannungserhöhung an den Verbrauchern. Bei einer Reihenschaltung von zwei Verbrauchern mit einem deutlich unterschiedlich großen Innenwiderstand über den „offenen“ Neutralleiter kommt es hingegen zu einer kritischen Spannungserhöhung an dem Verbraucher mit dem höheren Innenwiderstand. In diesem Beispiel könnte es sich bei dem Verbraucher mit dem kleinen Innenwiderstand von 25 Ω etwa um einen Wasserkocher mit einer Heizleistung von 2 116 W handeln. Der Verbraucher mit dem größeren Innenwiderstand steht stellvertretend für elektronische Geräte, zum Beispiel einen Kaffeevollautomaten oder einen Fernseher, welche in der Regel Innenwiderstände im Kiloohm-Bereich aufweisen. Je größer die Differenz zwischen den Innenwiderständen der in Reihe geschalteten Verbraucher ist, desto höher ist der Spannungsfall an dem Verbraucher mit dem größeren Innenwiderstand. Dieser Spannungsfall kann bis zu 400 V betragen und zur Bauteilzerstörung führen. Eine Neutralleiterunterbrechung als Brandursache tritt entweder zeitnah als Folgeerscheinung von Arbeiten am Stromnetz (siehe Schadenbeispiel Fall 1) oder aber durch einen Mangel in der Elektroinstallation auf (siehe Schadenbeispiele Fälle 2 und 3). Daher sind Angaben zum Schadenhergang in Bezug auf durchgeführte Arbeiten am Stromnetz oder eventuelle Probleme mit der Stromversorgung zu klären. Hinweise auf eine Neutralleiterunterbrechung sind beispielsweise, dass das Licht kurz vor der Brandentstehung heller wurde oder dass es zu weiteren Schäden an elektronischen Geräten gekommen ist.Schadenbeispiele
Fall 1: Fehlerhaft angeschlossener Hausanschlusskasten In diesem Beispiel geht es um eine Doppelhaushälfte, die von einem Brandereignis betroffen war. Das Gebäude ist unterkellert und verfügt über zwei Vollgeschosse sowie ein nicht zu Wohnzwecken ausgebautes Dachgeschoss.Die Einspeisung der Stromversorgung erfolgt über einen Dachständer. Im Dachgeschoss ist an dem Dachständer ein Hausanschlusskasten (HAK) montiert. Von dort ist eine hausinterne Leitung zum Zählerschrank mit Verteilung, kurz „Zählerschrank“ genannt, im Kellergeschoss verlegt. Von dort besteht eine Verbindungsleitung zu einer Unterverteilung im Obergeschoss.
Die schadenbetroffene Doppelhaushälfte wurde kurz vor dem Schadenereignis verkauft und von den neuen Eigentümern renoviert sowie bezogen. Unter anderem wurde die gesamte Elektroinstallation erneuert. Dabei wurde auch eine neue fünfadrige Verbindungsleitung von dem bestehenden Hausanschlusskasten im Dachgeschoss zum Zählerschrank im Kellergeschoss verlegt. Dieser Hausanschlusskasten war an der Trennwand zum Nachbarhaus unter der gartenseitigen Dachschräge montiert. Dort ragt aus der Wand noch die Zuleitung aus dem Nachbarhaus heraus, die ursprünglich die Einspeisung des alten HAK‘s darstellte.
Am Schadentag wurde von einer Elektrofirma an einem Stahlrohr eines neu errichteten Dachständers ein neuer Hausanschlusskasten angeschlossen. Diese Arbeiten seien zwischen 8:00 Uhr und 09:00 Uhr ausgeführt worden. Etwa eine Stunde später seien die abwesenden Hauseigentümer telefonisch über Rauchentwicklung aus dem Keller informiert worden. Die alarmierte Feuerwehr löschte den Brand. Das IFS wurde beauftragt, die Ursache des Brandes gemeinsam mit der zuständigen Polizeibehörde zu ermitteln. Der Brandschwerpunkt im Kellergeschoss des Hauses konnte eindeutig auf den Montageplatz des Zählerschrankes eingegrenzt werden. Auf dem Fußboden unterhalb des Zählerschrankes hatten sich Überreste verbrannter bzw. thermisch umgesetzter brennbarer Materialien aus dem Zählerschrank abgelagert. Durch den Abbrand dieser Materialien war es zu Rußniederschlägen an der Wand gekommen. In dem Zählerschrank lag allgemein ein hoher Zerstörungsgrad vor. Nennenswerte Überreste brennbarer Materialien fanden sich lediglich in der linken unteren Ecke des Stahlblechschrankes. Nach rechts und nach oben hin waren brennbare Materialien nahezu vollständig zerstört worden. Im rechten Feld des Schrankes fanden sich in einer Höhe zwischen der zweiten und der dritten Hutschiene von unten eine breite und zwei schmale Platinen, an die oben und unten jeweils Adern angeschlossen waren. Die Platinen waren bis auf die nicht brennbaren Gewebematerialien vollständig verbrannt. Einige Anschlusskontakte hatten sich von den Platinen gelöst. An mehreren Kupferadern fanden sich Schmelzspuren. Vom Fundort dieser Platinen ausgehend zeichnete sich ein trichterförmig nach oben ausbreitender Weißbrandbereich ab. Bei den Platinen handelte es sich nach den vor Ort erhaltenen Angaben um die Überreste dreier Module eines elektronischen Bus-Systems, eines Schalt- und Dimmmoduls sowie zweier Vierfach-Tast-, Binär- oder Alarmsensoren. Links unten in dem Zählerschrank war ein Sammelschienensystem montiert, das aus fünf Kupferschienen bestand. An diese Sammelschienen waren über Klemmen die fünf Adern der Verbindungsleitung vom Hausanschlusskasten angeschlossen (Außenleiter L1 bis L3, Neutralleiter und Schutzleiter). Eine elektrisch leitfähige Verbindung zwischen dem Neutralleiter und dem Schutzleiter bestand nicht (Bild). Literatur:[1] Hoyer, J.: Ungewöhnliche elektrische Brandursache – Neutralleiterunterbrechung; Schadenprisma, 2/2017, Berlin. Autor: J. Hoyer Der vollständige Artikel ist in unserem Facharchiv nachzulesen.