Grundsätzlich befürworten viele Bürger zwar die Energiewende (ep berichtete), sprechen sich aber gegen die zwangsläufig damit verbundenen Veränderungen im Landschaftsbild aus.
Deutschlandweit gibt es mehrere Bürgerinitiativen, die gegen geplante Windparks, aber für den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien sind. Nein zu Windrädern in der Nachbarschaft – Ja zur Energiewende, ist auf ihren Flugblättern zu lesen. Im Prinzip geht es ihnen nicht um Natur-, Umwelt- oder Tierschutz, sondern darum, nicht beim Blick aus dem Garten ein Windrad sehen zu müssen. Die Aktivisten verhinderten oder verzögerten vielerorts den Bau neuer Windräder.
Falsches Bild vom Energiesystem und seiner Transformation
Man habe die Komplexität der Energiewende dramatisch unterschätzt – einer der Gründe für die ablehnende Haltung – erklärt Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag und Professor für Technikphilosophie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung.
Die Energiewende verstand man lange Zeit vor allem als rein technische Aufgabe: Anstelle von Atom- und Kohlekraftwerken treten Windräder und Solaranlagen. Pelletöfen und Solarthermieanlagen ersetzen Öl- und Gasheizungen.
Elektroautos lösen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ab. „Dahinter steht die Denke, dass wir nur die Technik auswechseln müssen, und sonst bleibt alles gleich", so Grunwald weiter. Befürworter der Energiewende übersehen, dass die Transformation des Energiesystems nicht nur die Welt hinter der Steckdose und der Zapfsäule verändere, sondern auch die davor. Sie beeinflusse den Alltag der Menschen maßgeblich, heißt es in dem SZ-Bericht weiter.
Flexibilität und Mitwirkung gefragt
Die Transformation des Energiesystems verlangt Anpassungsfähigkeit und Mitarbeit der Bürger. Beim Thema Mobilität beispielsweise muss man sich im Klaren sein, dass man mit einer Batterieladung Strom mit einem Auto deutlich weniger weit kommt, als mit einer Tankfüllung Benzin oder Diesel. Zudem dauert das Laden viel länger als das Tanken. Mit dem Kauf eines Elektroautos müssen Autofahrer neue Routinen entwickeln und sich von alten Gewohnheiten verabschieden.
Die Rolle des Verbrauchers verändert sich mit der Energiewende. Sie müssen künftig einen aktiveren Part übernehmen und nicht wie bisher gewohnt, Strom und Wärme einfach nur konsumieren. Wer mit einer Wärmepumpe heizt, könnte dazu beitragen, die Stromnetze zu stabilisieren. Kohlekraftwerke und Gasturbinen übernahmen bislang diese Arbeit.
Haushalte müssen dazu den Netzbetreibern erlauben, bei Bedarf aus der Ferne auf die Anlagen zuzugreifen. Damit Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht kommen, schaltet man Wärmepumpen kurzzeitig an oder ab. Wärmepumpen-Nutzer verlieren eine gewisse Selbstbestimmung.
Kommunale Energieerzeugung – Schlüssel für den Erfolg
Laut Experten hängt der Erfolg der Energiewende von der Beteiligung der Bürger ab. Sie sind die wahren Treiber der Energiewende, lautet das Ergebnis einer neuen Studie der Agentur für Erneuerbare Energien. Experten sind sich sicher: Um den Ausbau der Windenergie voranzutreiben, müssen die Bürger an der Energieerzeugung, aber auch an dem daraus resultierenden Profit beteiligt werden. Ansonsten muss mit Widerstand gerechnet werden.
Windanlagen werden dann nicht gebaut. Die Projekte müssen für das Gemeinwohl sein. Vor allem in ländlichen Regionen hat die Bevölkerung die Chancen erneuerbarer Energien erkannt und treibt den Ausbau voran. Es sind neue Arbeitsplätze entstanden, die Steuereinnahmen und die Wertschöpfung vor Ort sind gestiegen.
Genügt das, um die Windpark-Gegner zufriedenzustellen? Fakt ist: Ohne Windkraft kann die Transformation des deutschen Energiesystems nicht gelingen. In Deutschland hat sich der Ausbau der Windenergie weiter beschleunigt und erreichte 2017 ein neues Rekordhoch. Beinahe 1.800 neue Windräder mit über 5300 Megawatt Leistung gingen vergangenes Jahr ans Netz, teilte der Bundesverband Windenergie (BWE) im Januar 2018 mit.
Allerdings wurden auch fast 400 alte Anlagen abgerissen. Alles zusammengerechnet, gab es 2017 1.400 mehr Windräder. Insgesamt sind es nun über 28.000 Anlagen. Auf hoher See nahm man zudem über 220 Anlagen mit 1250 Megawatt Leistung in Betrieb.
Windenergie überholt Atomenergie und Steinkohle
Immer deutlicher wirkt sich der rasante Ausbau der Windkraft auf den deutschen Energiemix aus. Im vergangenen Jahr stieg die Windenergie zur zweitwichtigsten Stromquelle hinter der Braunkohle auf, ließ das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme verlauten. Erstmals überholte sie damit Steinkohle und Kernenergie, die nun auf den Plätzen drei und vier rangieren.
Der Vorsprung beim Wind sei laut Bruno Burger, Fraunhofer-Professor, so groß, dass er nicht mehr eingeholt werden könne. Die Rotoren an Land und auf See hätten bis zum 18. Dezember 2017 97 Terawattstunden Strom erzeugt. Steinkohle kam auf 81 Terawattstunden, Kernenergie auf 69. Vorn lag den Daten zufolge weiterhin die Braunkohle mit etwa 130 Terawattstunden.
Für das Vorankommen der Transformation des Energiesystems braucht es einen Masterplan, der auch die Einwände der vielen Bürgerinitiativen berücksichtigt. Experten zufolge kann die Energiewende als Experiment angesehen werden. Laufen Entwicklungen in die falsche Richtung, müsse man, wenn erforderlich, umsteuern und Entscheidungen revidieren. Die Bundesbürger stimmen der Energiewende im Grundsatz mit großer Mehrheit zu und das sollte den Entscheidern das nötige Vertrauen dafür geben.