Frage:
Bei der Wartung einer Bahnsteigbeleuchtung haben wir festgestellt, dass aus der Verteilung ein Kabel NYY-O, abgesichert durch eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD), auf eine Abzweigdose geführt wurde. Von dieser Abzweigdose aus werden mit einem Kabel NYY-J mehrere SKII-Leuchten angeschlossen. Für mich stellt sich nun die Frage, nach welcher Norm ich mich richten muss, da sich die Aussagen zum Mitführen des Schutzleiters in der Ril 954.0107 der Deutschen Bahn von den aktuellen VDE-Bestimmungen unterscheiden?
Antwort:
Vorweg. Auf die vom Anfragenden zitierte Ril 954.0107 habe ich leider keinen Zugriff. Ich gehe aber davon aus, dass dem Anfragenden ein gültiges Bahn-Regelwerk vorliegt. Wichtig aber wäre nicht nur das Ausgabedatum von Ril 954.0107 zu kennen, sondern auch den Zeitpunkt der Errichtung der Beleuchtungsanlage.
Fakt ist, dass sich bezüglich des Mitführens eines Schutzleiters zu Betriebsmitteln/Verbrauchsmitteln der Schutzklasse II bzw. Betriebsmitteln/Verbrauchsmitteln mit doppelter oder verstärkter Isolierung bereits in DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2007-06 [1] eine gravierende Änderung ergeben hat. Auch wenn diese Änderung schon seit 2007 enthalten ist, kann davon ausgegangen werden, dass andere Normensetzer meist sehr lange brauchen, um die neuen Vorgaben in ihr jeweiliges Regelwerk zu übernehmen. Wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass von anderen Normensetzern nicht alles 1:1 übernommen wird. Das gilt insbesondere, wenn neuere Vorgaben in den VDE-Bestimmungen nicht äußerst sicherheitsrelevant sind. Schließlich gibt es in solchen Fällen auch in den VDE-Bestimmungen keine Verpflichtung zu einer Nachrüstung älterer elektrischer Anlagen.
Grundsätzlich gehe ich aber davon aus, dass im Bereich von Bahnanlagen die Bahn-Regelwerke Vorrang vor VDE-Bestimmungen haben. Letzteres muss ggf. mit den zuständigen Stellen bei der Deutschen Bahn abgeklärt werden.
Schutzleiter zu Betriebsmitteln/Verbrauchsmitteln der Schutzklasse II. Tatsache ist, dass seit 2007-06 entsprechend DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410) [1] die „Schutzisolierung“ (Schutz durch doppelte oder verstärkte Isolierung) als alleinige Schutzmaßnahme nicht mehr allgemein angewendet werden darf. Jedoch dürfen Betriebsmittel/Verbrauchsmittel der Schutzklasse II bzw. Betriebsmittel/Verbrauchsmittel mit doppelter oder verstärkter Isolierung im Allgemeinen ohne Einschränkung errichtet/eingebaut werden.
Die Forderung nach Mitführen eines wirksamen Schutzleiters war in der zurückgezogenen DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2007-06 [1] im Abschnitt 412.1.3 enthalten. In der nun gültigen DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2018-10 [2] ist diese Forderung im Abschnitt 412.1.2 angeführt.
Im Abschnitt 412.2.3.2 von DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2018-10 [2] ist hierzu folgendes festgelegt: „Für einen Stromkreis, der Betriebsmittel der Schutzklasse II versorgt, muss ein Schutzleiter in der gesamten Leitungsanlage durchgehend leitend mitgeführt und in jedem Installationsgerät an eine Klemme angeschlossen werden, es sei denn, die Anforderungen nach 412.1.2 sind erfüllt.
Anmerkung Mit dieser Anforderung ist beabsichtigt, das Ersetzen von Schutzklasse-II- Betriebsmitteln durch Schutzklasse-I-Betriebsmittel durch den Benutzer zu berücksichtigen.“
Wenn aber in der bestehenden elektrischen Anlage, in den Kabeln/Leitungen bis zur Abzweigdose ein Schutzleiter nicht mitgeführt wurde, muss das daher nicht falsch gewesen sein. Zutreffend ist der Zeitpunkt, zu welchem die Errichtung stattfand. Für alle Betriebsmittel/Verbrauchsmittel der Schutzklasse II, die nach 2007-06 neu errichtet wurden, wäre aber ein wirksamer Schutzleiter in den Kabeln/Leitungen notwendig gewesen.
Da bei der vom Anfragenden vorgefundenen Errichtungen die Zuleitung zur Abzweigdose ohne Schutzleiter ausgeführt ist und ab der Abzweigdose zu den einzelnen Leuchten, die Kabel/Leitungen plötzlich mit Schutzleiter ausgeführt sind, könnte etwas nicht in Ordnung sein.
Allerdings habe ich den Verdacht, dass die NYY-J-Kabel/Leitungen, die ab Abzweigdose zu den Leuchten der Schutzklasse II verlegt wurden, nicht aus normativen Vorgaben verlegt wurden und vermutlich auch nicht in weiser Voraussicht, dass es einmal eine solche Forderung nach Mitführen des Schutzleiters geben wird, sondern die Elektrofachkraft hatte einfach kein O-Kabel bei der Errichtung in seinem Materiallager. Das Mitführen eines Schutzleiters bei fest verlegten Kabeln/Leitungen war auch vor 2007 nicht verboten.
Fazit. Für eine genaue Betrachtung wäre das Errichtungsjahr der elektrischen Anlage von Bedeutung. Außerdem müsste geklärt werden, ob die Regelwerke der Bahn Vorrang haben.
Wichtig ist aber, dass ein mitgeführter Schutzleiter zwar in die Betriebsmittel der Schutzklasse II eingeführt werden darf/muss, aber dieser Schutzleiter darf nicht an innere leitfähige Teile angeschlossen werden. Ein solcher Schutzleiter muss entsprechend isoliert gegen innere leitfähige Teile angeordnet werden, z. B. durch Anschluss auf eine isoliert angeordnete Klemme.
Autor: W. Hörmann
Literatur:
[1] DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2007-06 (zurückgezogen) Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 4-41: Schutzmaßnahmen – Schutz gegen elektrischen Schlag.
[2] DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2018-10 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 4-41: Schutzmaßnahmen – Schutz gegen elektrischen Schlag.
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