Zum Hauptinhalt springen 
Dieser Trafoturm in Schermbeck-Bricht von 1942 wurde zum Ausflugsziel mit E-Bike-Ladestation und Wildbienenhotel (Quelle: Martin Splitt)
Energietechnik | Energieverteilung

Aus dem Facharchiv: Elektropraxis

Alten Trafotürmen 
weiteres Leben geben

23.07.2020

Transformatorenstationen sind in den Stromnetzen unverzichtbare Elemente für eine preiswerte Stromversorgung. Sie sind für unseren stets steigenden Wohlstand bis heute unersetzlich, neuerdings auch als intelligente Netzstationen im Smart Grid.

Seiten

Unsere rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen mit immer höheren Bruttosozialprodukten sind maßgeblich mit Weiterentwicklungen von Stromanwendungen verknüpft. Bevor jedoch die ältesten Transformatorenstationen für immer verschwinden, gilt es, den überflüssig gewordenen Trafotürmen neues 
Leben einzuhauchen.  Die oft über 100 Jahre alten Trafotürme sind in Stein gemeißelter Ausdruck des in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts begonnenen Siegeszugs einer rasant um sich greifenden Stromversorgung [1]. Die ersten Turmstationen entstanden bereits zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. In den Anfängen der flächendeckenden Stromversorgung, speziell ab 1905, also in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als private und öffentliche Überlandwerke verstärkt den ländlichen Raum mit Strom zu erschließen begannen, entwickelte sich eine ganz eigene Turmspezies, genannt Turm- oder Freileitungsstationen. Architekten haben sich von der Faszination dieser neuen Art von Türmen anstecken lassen und Trafotürme individuell und künstlerisch gestaltet. So entstanden die phantasiereichsten Gebäudearchitekturen [1],[2]. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde der Bau von Turmstationen nach rd. 90 Jahren Existenz eingestellt. Die Verkabelung der Mittel- und Niederspannungsnetze war so weit fortgeschritten, dass künftig nur noch fabrikfertige Kabelstationen – wie von Beginn an schon in den Städten – auch im ländlichen Bereich errichtet wurden. Nach und nach wurden seitdem alte Turmstationen ausgemustert und durch moderne Netzstationen ersetzt. Einige dieser alten Türme wurden zu Denkmälern erkoren. Doch in den meisten Fällen wurden sie einfach abgerissen, z. T. aber erhalten, indem ihnen eine neue Verwendung zuteilwurde. Die Ausmusterung dieser alten Turmstationen hat aufgrund der Energiewende und der damit benötigten Verstärkung der Netze Fahrt aufgenommen. Mit dem beschleunigten Ersatz besteht akut die Chance, diese alten Trafotürme, diese regional und landschaftlich geprägten, schützenswerten, technisch-baulichen Kulturgüter mit nicht selten 100-jähriger Geschichte der Nachwelt zu sichern, anstatt sie in aller Stille verschwinden zu lassen. An einer Existenzsicherung sollte aus kulturellen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschichtlichen Gründen ein breites öffentliches Interesse bestehen. „Trafotürme sind Zeitzeugen, ein Stück Heimat, Identifikationsobjekte, Wegweiser, Landmarken, Vertreter einer Architekturepoche und prägende Elemente einer erhaltenswerten Kulturlandschaft“ bringt es der Landschaftsarchitekt Dr. Christian Poßer auf den Punkt [3]. Zudem lässt sich ein Zusatznutzen zur Nachhaltigkeit in der Natur anstreben, indem man sie zu Artenschutztürmen umbaut [1], [4].

Nachnutzungs
voraussetzungen

Um eine Nachnutzung zu realisieren, braucht es in allererster Linie engagierte und motivierte Bürger in der Nähe eines außer Betrieb gehenden Trafoturmes. Heutzutage kann man ohne große eigene Mittel Turmbesitzer werden, wenn man mit Energie, Zielstrebigkeit, Ausdauer und Phantasie an seiner Idee einer individuellen Umnutzung festhält. Dem Autor sind eine Reihe engagierter und kreative Mitmenschen bekannt, die ihre Ideen umgesetzt haben, darunter Architekten, Handwerker, Elektrizitäts- und Kulturbegeisterte, Elektrofachleute, Gastronomen, Lehrer, Künstler, Journalisten, Historiker, Naturschützer, Vereinsmitglieder, Gemeinderatsmitglieder oder Bürgermeister und schließlich Mitarbeiter von Netzbetreibern. Mitglieder von Netzbetreibern wissen als erste, wann eine Station ausgemustert wird, und können sich rechtzeitig an die betreffende Gemeinde oder eine Naturschutz- oder andere Organisation wenden, um eine Nachnutzung in die Wege zu leiten. Der Gemeinderat entscheidet maßgeblich über die weitere Existenz einer ausgedienten Trafostation. Kann die Gemeinde selbst die ausgemusterte Station nicht sinnvoll nutzen, etwa als Schlauchturm der Feuerwehr, Geräteschuppen, Buswartehäuschen, Botschafterin der Gemeinde, Infoturm oder in anderer Funktion, können Einwohner oder Vereine der Gemeinde ein Fortbestehen organisieren. Der Netzbetreiber oder die Gemeinde kann auch zu Naturschutzorganisationen Kontakt aufnehmen, um die Existenz des Turms als Artenschutzturm zu sichern, eine gerade in Zeiten vermehrten Insekten- und Vogelsterbens sehr sinnvolle Maßnahme. Nachfolgende Beispiele sogenannter „Turmschützer“ zeigen, auf welchen Wegen und durch welches Engagement bisher schon die erstaunlichsten Nach- bzw. Umnutzungen gelungen sind [1] bis [11].


Seiten