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Energietechnik/-Anwendungen | Elektrotechnik

Versorgungssicherheit durch intelligente Netze

ep10/2008, 3 Seiten

Die mit der erneuerbaren Energieerzeugung und dem Energiehandel direkt zusammenhängenden Tendenzen zur Überlastung der Netze und die auch häufiger auftretenden Engpässe führen zu negativen Auswirkungen auf die großen europäischen Übertragungsnetze. Um zu verhindern, dass ein komplettes Netz zusammenbricht, müssen zu jeder Zeit die dynamischen Vorgänge in einem solchen Übertragungssystem erkannt, gemessen, visualisiert und analysiert werden.


Starke Verschiebungen beim Bilanzgleichgewicht Das intelligente Stromnetz der Zukunft soll in Europa die Versorgungssicherheit in der Stromversorgung nachhaltig gewährleisten. Doch bei der Aufgabe, die elektrischen Netze künftig sicherer zu machen, kommt es nicht nur auf abgestimmte Schutzkonzepte und Steuerungssysteme an, es muss auch sichergestellt werden, dass notwendige Maßnahmen sofort eingeleitet werden. Sogenannte Smart Transmission Systems haben deshalb die Aufgabe, alle Vorgänge im Netz so schnell wie möglich transparent machen, um die Möglichkeit der rechtzeitigen Einflussnahme zu eröffnen. Was das konkret heißt, sollte auch eine Podiumsdiskussion während der diesjährigen Hannover-Messe beantworten, die der ZVEI im Rahme seiner Veranstaltungsreihe „Life needs Power“ durchführte. Welche Bausteine müssen aber zu einem „intelligenten“, flexiblen Netz der Zukunft zusammengefügt werden? Dieser Frage gingen die Experten aus Forschung, Energieversorgung und Zulieferindustrie in ihren Ausführungen als erstes nach und stellten fest: Smart Grids sind mehr als nur klug zusammengestellte Komponenten der Informations- und Kommunikationstechnik. Technologische Grundlage bleibt nach wie vor die klassische elektrische Energietechnik. Innerhalb ihrer Gesetzmäßigkeiten müssen neue Elemente in das vorhandene Netz eingebaut werden. Weil sich jedoch durch die Zunahme des grenzüberschreitenden Stromhandels und der Einspeisung aus Windenergieanlagen - insbesondere in Regionen mit geringem Verbrauch - die aktuelle Situation bei den Netzbetreibern stark geändert hat, wächst die Zahl der Engpässe im deutschen und europäischen Übertragungsnetz signifikant. Zusätzlich steigt auch die Gefahr möglicher Schwingungs- und Spannungsprobleme in den Randzonen der Netze mit konzentrierter Windenergie-Einspeisung. Dabei entwickelt sich wegen der Kombination mit einer hohen Grundauslastung der Kuppelleitungen der Bedarf an schnell regelbaren Elementen zur Steuerung des Wirk- und Blindleistungsflusses rapide. Genau dieser Punkt war während der Diskussion ein beherrschendes Thema. Es wurde überdeutlich, dass starke Verschiebungen beim Bilanzgleichgewicht in den Netzen spürbar sind. Wird nicht massiv gegengesteuert, kommt es unweigerlich zu nicht beherrschbaren Ungleichgewichten. Zu Zeiten, in denen eine windschwache Starklast vorherrscht, wird es Wirkleistungsmangel geben. Bei der umgekehrten Situation mit windstarker Schwachlast wird es dagegen zu einem Wirkleistungsüberschuss kommen. Die technischen Lösungen, um solchen Ungleichgewichten wirksam zu begegnen, müssen deshalb im System vorhanden sein. Dezentrale Einspeisungen in den Griff bekommen Gleich mehrere Bausteine können helfen, das heutige Energienetz hin zu einem flexibleren und dynamischen Netz zu entwickeln. Zunächst einmal müssen dezentrale Stromerzeuger (Bild ) intelligent in das Gesamtsystem eingebunden werden. In virtuellen Kraftwerken können viele kleinere dezentrale Stromerzeugungsanlagen zu größeren Einheiten zusammengefasst werden. Virtuelle Kraftwerke ermöglichen eine einfachere und optimierte und damit auch planbare und transparente Betriebsführung, weil die unterschiedlichen Erzeuger durch die verfügbare intelligente Automatisierungstechnik zu einem virtuellen Bilanzkreis gekoppelt werden können. Dass diese dann besser plan- und steuerbar sind als seine einzelnen Bestandteile, liegt auf der Hand. Das wäre, so hieß es in der Diskussion, auch ein gangbarer Weg, um die durch das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) verursachte Einspeisung in den Griff zu bekommen. Zusätzlich wären Maßnahmen wünschenswert, dort wo es die Verbraucher zulassen, bedarfssteuernde Maßnahmen einzusetzen. So ist es ja auch schon als eine Teilaufgabe in der Dena-Netzstudie II vorgesehen. Als alleiniger Problemlöser ist diese Maßnahme allerdings nicht zu gebrauchen. Es wird vielmehr einen Wettbewerb unterschiedlicher Lösungsansätze geben. Energiemanagement - das Gebot der Stunde Die Weitbereichsüberwachung (Wide-Area-Monitoring) mit Schutz-und Leittechnik ist bestens geeignet, den Netzzustand zu beobachten und zu handeln. Hochauflösende Messungen liefern über große Entfernungen genaue Daten, die den Betrieb des Netzes erleichtern. Wesentlicher Vorteil ist die Möglichkeit, gleichzeitig die statischen - also langsamen Vorgänge - und die dynamischen Vorgänge im Netz zum Beispiel im Fehlerfall zu betrachten. Und das nicht erst im Nachhinein, um abschließend festzustellen, woran es wohl gelegen hat, dass ein Störfall eintreten konnte. Moderne Netzleittechnik muss zukünftig in der Lage sein, mehr Informationen und Datenmengen zu erfassen als bisher. Diese Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 10 848 BRANCHE AKTUELL Versorgungssicherheit durch intelligente Netze Die mit der erneuerbaren Energieerzeugung und dem Energiehandel direkt zusammenhängenden Tendenzen zur Überlastung der Netze und die auch häufiger auftretenden Engpässe führen zu negativen Auswirkungen auf die großen europäischen Übertragungsnetze. Um zu verhindern, dass ein komplettes Netz zusammenbricht, müssen zu jeder Zeit die dynamischen Vorgänge in einem solchen Übertragungssystem erkannt, gemessen, visualisiert und analysiert werden. Dezentrale Stromerzeuger müssen intelligent in das Gesamtsystem eingebunden werden - beispielsweise über virtuelle Kraftwerke EP1008-844-851 19.09.2008 15:19 Uhr Seite 848 Die neue Kraft. Merten und Ritto stehen seit vielen Jahren für innovative, intelligente und designorientierte Lösungen rund um die Gebäudesystemtechnik. Zwei führende Marken, deren Know-how sich perfekt ergänzt - ganz gleich, ob es um Technologien wie z.B. Funk, KNX, Twin Bus oder IP geht. Perfekte Voraussetzungen, um die Kräfte ab sofort zu bündeln. Ritto bleibt dabei Ritto. Und Merten bleibt Merten. Ganz nach dem Motto: einzeln stark, gemeinsam stärker. Was Sie davon haben? Neue Impulse, neue Lösungen, neue Kraft - um gemeinsam mehr zu bewegen. Neue Lösungen für Sie: www.merten-ritto.de Was entsteht, wenn sich zwei starke Marken perfekt ergänzen? EP1008-844-851 19.09.2008 15:19 Uhr Seite 849 Informationen müssen auch für das Bedienpersonal schneller aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden. Das Ziel ist die Verfügbarkeit von relevanten Betriebsdaten in Echtzeit, um kritische Betriebszustände von Anfang an zu vermeiden. Die Weitbereichsüberwachung ist somit europaweit für die sichere sowie effiziente Netz- und Betriebsführung großer Verbundnetze von stark zunehmender Bedeutung. Sie wird dazu beitragen, ein Frühwarnsystem gegen Instabilitäten im Netz durch die dynamische Überwachung auf der Basis von Online-Informationen aufzubauen. Vorhanden ist ein solches Frühwarnsystem allerdings noch nicht. Man sei aber bereits auf dem Weg, und die Hälfte dieses Weges habe man bereits hinter sich. Über eine permanente Aufzeichnung und Beobachtung von Signalen aus dem Netz sollen bereits sehr früh Trends und Zusammenhänge zwischen Betriebszuständen erkannt werden. Mit Hilfe dieser Informationen und elektronischer Leitsysteme wollen die Betreiber in einem nächsten Schritt versuchen, den zur Netzstabilität notwendigen Regelkreis zu schließen. Nötig sind dafür elektronische Stellglieder, die allerdings noch nicht überall im europäischen Netz installiert sind - auch in Deutschland nicht. Wie man Netze regelt, ist den Netzbetreibern klar. Was noch fehlt, ist die Installation der entsprechenden Technik. Konkret wurde der Wunsch geäußert, dass diese Technologien mit Hilfe eines Pilotprojektes im deutschen und/oder europäischen UCTE-Netz systematisch und im realen Betrieb erforscht werden sollten. Nur so wären Vorteile und Nutzen einzelner innovativer Bauelemente und Komponenten belegbar. Die Früherkennung eventueller Instabilitäten im Netz aufgrund von Spannungs- und Frequenzabweichungen oder wegen thermischer Überlast ist das A und O. Eins ist klar: Folgeschäden aufgrund großflächiger Stromausfälle müssen unbedingt vermieden werden. Das heißt aber auch, dass die regionale Verantwortungsstruktur für den Betrieb der Netze und die volkswirtschaftliche Zuordnung der Folgekosten großflächiger Netzstörungen geregelt werden muss, damit die bestehenden Hindernisse für Investitionen in solche innovativen Lösungen beseitigt werden. Investitionen sind nötiger denn je Darüber, dass dringend in die bestehenden Netze investiert werden muss, waren sich alle Gesprächspartner einig. Allerdings gibt es kein Patentrezept, zu einem zukunftssicheren europäischen Stromnetz zu kommen. Eine einfache, aber zugleich auch teuere Lösung wäre, die Spannung in den Hochspannungsnetzen zu erhöhen. „400 kV ist“, wie es ein Teilnehmer sagte, „doch relativ niedrig.“ Eine Gleichspannungstrasse vom Norden Europas bis in den Süden wäre eine weitere Möglichkeit. Sie ist zwar mit den Vorteilen einer Autobahn im Straßenverkehr vergleichbar, würde allerdings auch sehr viel kosten. Die Technik ist vorhanden und hat sich bereits vielfach bewährt - zum Beispiel in China (Bild ). Dort ist die HGÜ-Übertragung mittlerweile zur etablierten Technik geworden. Es ist unbestritten, dass zum Beispiel selbstgeführte Hochspannungsgleichstromübertragungen eine wirtschaftliche Lösung zur Anbindung von Offshore-Windparks im Norden an südliche Verbraucher sein können. Ein weiterer Baustein für leistungsfähigere Netze wäre die bessere Unterstützung des Personals in den Leitständen, um so schnell wie möglich kritische Netzsituationen zu vermeiden oder zu beheben. Immer größer werdende und komplexere Netze bieten auch immer mehr Angriffsflächen für Störungen. Die Netzleitstelle muss deshalb schnell und gezielt auf Ereignisse reagieren können, um die Störung so gering wie möglich zu halten und regional zu begrenzen. Die Netzleitsysteme müssen daher den Netzzustand präziser erfassen, vorausdenkend analysieren, besser visualisieren und in kritischen Situationen dem Bediener die beste Abwehrhandlung vorschlagen oder diese sogar automatisch ausführen. Ein anderer Punkt, der zur Diskussion stand, waren Einrichtungen für eine zustandsbasierte Instandhaltung. Aber auch hierfür sind nicht unbeträchtliche Investitionen in die Netzinfrastruktur notwendig. Ein so erweitertes, intelligentes Netz kann jedoch einen Beitrag zur Kostensenkung leisten, weil so die übliche periodische Wartung durch eine dem tatsächlichen Zustand des Netzes entsprechende Instandhaltung abgelöst werden. Die Zustandsüberwachung und Diagnose sollte dabei möglichst automatisch durch Einsatz entsprechender Sensorsysteme und einer nachgeschalteten Intelligenz erfolgen. 100 Millisekunden für die richtige Entscheidung Fest steht, dass eine neue, eine andere Infrastruktur notwendig ist. Wie diese jedoch aussehen soll oder aussehen kann, das muss im Einzelnen noch festgelegt werden. Wahrscheinlich sind sogenannte Hybridnetze - also eine Mischung aus Drehstrom-und Gleichstromnetz (HGÜ) - die richtige Lösung, weil Gleichstromnetze die immer wieder auftretenden Schwingungen ausgleichen könnten. Hinzu müssten Sicherheitssysteme und sehr schnelle Leitsysteme installiert werden. Denn wenn im Störfall noch 100 ms Zeit bleiben, um die richtigen Maßnahmen einzuleiten, ist allein aus diesem Grund der Operator in der Leitzentrale überfordert. Der Mensch ist an diesem Punkt zu langsam, die Technik aber nicht. Nur mit Investitionen und innovativen Lösungen - wie dem Einsatz von Leistungselektronik, einer fortgeschrittenen Netzautomatisierungstechnik, aber auch einem Last- und Zeitmanagement - und flexibleren Nutzungsformen elektrischer Energie können die künftigen Herausforderungen gemeistert werden. Ein schneller Schulterschluss zwischen den Netzbetreibern, der Industrie und den Forschungseinrichtungen ist dabei genau so wichtig wie ein Dialog mit Politikern, die den ordnungspolitischen Rahmen setzen müssen. Doch der Leidensdruck scheint noch nicht hoch genug zu sein. „Uns geht es“, so sagte es ein Netzbetreiber, „noch zu gut. Solange das Netz nur ein wenig wackelt, wird wahrscheinlich doch so schnell nichts getan!“ H.-U. Tschätsch Elektropraktiker, Berlin 62 (2008) 10 850 BRANCHE AKTUELL Die HGÜ-Übertragung ist mittlerweile zur etablierten Technik geworden Das Foto zeigt eine Umrichterstation der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsstrecke zwischen Tianshengqiao und Guangzhou in China. Die Glättungsdrosseln dämpfen die Harmonischen der Gleichspannung und glätten den Gleichstrom Fotos: Siemens EP1008-844-851 19.09.2008 15:19 Uhr Seite 850

Autor
  • H.-U. Tschätsch
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